Women’s America’s CupFliegende Holländerinnen, Team Germany kämpft

Tatjana Pokorny

 · 06.10.2024

Hier kommt der deutsche AC40-Foiler angeflogen
Foto: Ricardo Pinto/America's Cup
Das AC Team Germany ist in den 1. Women’s America’s Cup vor Barcelona durchgestartet. Der sehr leichtwindige Auftakt für die Qualifikationsgruppe B hielt schwere Prüfungen für alle Crews bereit. Die erste traf die deutschen Seglerinnen gleich hart, bevor sie besser in Fahrt kamen.

„Es war ergebnistechnisch sicher nicht der beste Tag meiner Karriere, aber es war trotzdem der Tag, auf den ich am stolzesten bin“, fasste Trimmerin Luise Wanser den Auftakt der Gruppe B im 1. Women’s America’s Cup aus deutscher Perspektive gut zusammen.

Rotation als Teamprinzip

Die 470er-Weltmeisterin beleuchtete mit ihrem Tagesfazit zum einen den nicht ganz unerwarteten letzten Platz des Women’s AC Team Germany im Klassement nach den ersten vier von acht Qualifikationsrennen. Zum anderen aber warf die Hamburgerin mit ihrer Aussage auch ein Schlaglicht darauf, wie hart der Weg der deutschen Frauen an die Startlinie der historischen Premiere der ersten America’s-Cup-Regatta für Frauen gewesen ist. Und wie stolz sie sind, es auf die Barcelona-Bühne geschafft zu haben.

Das Aufkreuzen an der Startlinie zum weiblichen America’s Cup ist neben den sechs Cup-Teams nur sechs weiteren Frauen-Teams gelungen. Eines davon ist das Women’s AC Team Germany. Als Steuerfrauen waren am Sonntag die schon im Youth America’s Cup aktive Skipperin Maru Scheel (Kieler Yacht Club) und die olympische 49erFX-Silbermedaillengewinnerin Tina Lutz (Chiemsee Yacht Club) im Einsatz. Als Trimmerinnen wechselten sich an Backbord hinter Maru Scheel Luise Wanser und Jill Paland ab.

Die 470er-Steuerfrau Luise Wanser verantwortete die Position in den ersten beiden Rennen, ihre Vereinskameradin Jill Paland vom Norddeutschen Regatta Verein übernahm für die Rennen 3 und 4. Auf der Stuerbordseite war Teamkapitänin Carolina Werner in allen vier Rennen als Trimmerin aktiv. Das gewählte Rotationsprinzip begründet das deutsche Frauen-Team mit der sportlichen Ebenbürtigkeit der sechs Seglerinnen für die vier stationären Positionen an Bord – und den Geist in der Mannschaft.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Die Powerzone liegt zwischen 70 und 90 Grad

Auch am zweiten Qualifiaktionstag der Gruppe B, der auf Montag vorgezogen wurde, wird es diese Wechsel geben. Am Steuer löst dann Victoria Jurczok (Verein Seglerhaus am Wannsee) bei voraussichtlich etwas mehr Wind als beim zunächst flauen Auftakt Tina Lutz ab. Zunächst aber mussten die deutschen Seglerinnen am Sonntag einige Nehmerqualitäten beweisen.

Im ersten Rennen blieb nur Rang sechs, nachdem der deutsche AC40-Foiler schon vor dem Start von den Foils gefallen war und in den flauen Winden lange nicht mehr hochkam. Das ist auch den Senioren im Louis Vuitton Cup passiert, bedeutete aber einen besonders harten Einstieg für die deutschen Frauen. Tina Lutz gab einen Einblick in die Situation: „Es hilft halt nichts: Wenn du von den Foils fällst, was willst du machen? Dann bist du Du unten und musst das Beste daraus machen.“

Wie das geht bei nur einer Handvoll Knoten Wind? Tina Lutz erklärt: „Man schafft es nur in einem bestimmten Winkel wieder hoch. Man muss genau in der Power-Zone zwischen 70 und 90 Grad sein, man muss diese Gradzahl steuern, um überhaupt eine Chance zu haben, wieder hochzukommen. Das war bei uns dann natürlich schwierig, weil wir überhaupt erst einmal zur Startlinie runter mussten, damit wir starten können. Du hast nur zwei Minuten Zeit, um über die Startlinie zu fahren. Das haben wir geschafft, aber dadurch haben wir natürlich extrem viel Zeit verloren.“

Women’s America’s Cup: Leichtwind-Härten zum Auftakt

Um wieder auf die Foils zu kommen, braucht das Boot etwa acht Knoten Wind. „Die reichen, wenn du richtig gut bist. Wenn du noch nicht richtig gut bist und noch mehr Übung brauchst, dann brauchst du mehr Wind“, erklärte die Olympia-Zweite und zweimalige 49erFX-Europameisterin Tina Lutz das komplexe Spiel mit den AC-40-Mini-Cuppern in lauen Lüften beim Women’s America’s Cup.

Man könne es mit Windsurf-Foiling vergleichen, so Tina Lutz: „Da hebst du beim ersten Mal vielleicht so bei zehn oder elf Knoten ab. Du musst es immer wieder machen, bis du das Gefühl dafür bekommst, dass du auch bei weniger Wind abheben kannst.“ Luise Wanser verweist auf den Leichtwindtag im kurzen Training vor dem Women’s America’s Cup, als das AC Team Germany die Boote gerade erst kennenlernte: „Da konnten wir noch gar nicht abheben. Wir haben seitdem sehr große Fortschritte gemacht.“

Die Disqualifikation, die das deutsche Frauen-Boot in Rennen 2 nach dem Überfahren der Kursbegrenzung um rund 100 Meter kassiert hatte, tat danach im zweiten Lauf weh. Sie hatte eine Vorgeschichte, wie Luise Wanser berichtete: „Es hat schon früh begonnen. Schon vor der Amwind-Tonne. Da mussten wir den Spanierinnen ausweichen. Die haben entsprechend den Protest und den Penalty bekommen.“

Enger Zweikampf mit Folgen

Der enge Zweikampf hatte aber für das deutsche Boot Folgen: „Wir mussten eine Extra-Wende machen und den Spanierinnen dann wieder ausweichen. Das war ein Harakiri-Manöver. Danach mussten wir wieder auf die Foils kommen. Auf der Software waren wir da noch innerhalb der Kursbegrenzung. Aber angeblich lag die Software da falsch. Und wir waren schon zu weit aus dem Boundary-Bereich rausgefallen. Das konnten wir so nicht sehen. Ich war die Trimmerin und wollte einfach so schnell wie möglich wieder auf die Foils kommen. Wir waren schon wieder dabei abzufallen, da kam die Disqualifikation.“

Die erfolgt laut Cup-Reglement, wenn die Boote die Kursbegrenzung um mehr als 85 Meter überfahren. Bemerkenswert in diesem Rennen war auch der Ausfall der schwedischen Top-Favoritinnen, denen später die durchschnittliche Punktzahl ihrer Ergebnisse für Lauf zwei zuerkannt wurde. Bei den Skandinavierinnen, die über ein eigenes Boot verfügen, darauf über Monate intensiv trainiert und das erste Rennen entsprechend der Prognosen gewonnen hatten, war die Kommunikation ausgefallen. Alle Reparaturversuche waren fehlgeschlagen. Am Abend fanden sie sich auf Platz vier deutlich unterhalb den Erwartungen wieder.

Aufwärts ging es für das deutsche Frauen-Team in Rennen drei. Da starteten sie zwar aus der zweiten Reihe, rückten aber im Fleetrace phasenweise bis auf Platz drei vor. Den hielten sie bis zum letzten Spurt ins Ziel, als es zum Bug-an-Bug-Duell mit Kanadas Concord Pacific Racing Women’s Team kam.

20 Millisekunden entscheiden über die Plätze 3 und 4

Optisch gingen das deutsche und das kanadische Boot nach packendem Kampf gleichzeitig über die Linie. Auch die veröffentlichte offizielle Zielzeit bestätigte das Bild: Beide Boote überquerten die Linie 1 Minute und 52 Sekunden nach den zunehmend stark agierenden holländischen Siegerinnen. Dennoch spuckte der Ergebnisrechner kurze Zeit später die Kanadierinnen als Dritte und die Deutschen als Vierte aus. Auf Nachfrage von YACHT online vermeldete die Wettfahrtleitung um Regattadirektor Ian Murray, der Vorsprung der Kanadierinnen habe 20 Millisekunden betragen.

Im vierten und letzten Rennen des Tages kam das Women’s AC Team Germany auf Rang fünf ins Ziel. Mit einer Tagesausbeute von sechs Punkten blieb zunächst nur der sechste Platz und die Hoffnung, alles Gelernte am Montag in bessere Resultate ummünzen zu können. Die Führung übernahm das Jajo Team DutchSail (27 Punkte) vor dem spanischen Sail Team BCN Women (24 Punkte) und dem Andoo Team Australia Women’s Team (23 Punkte).

Tina Lutz, die an Tag zwei am Steuer auf Steuerbord von Vicky Jurczok abgelöst wird, beschrieb, warum sich die vielen Monate der Vorbereitung im Simulator und Kiel und andere Entbehrungen trotzdem schon jetzt gelohnt haben. „Ich habe es auch dem Team gesagt: Als wir heute reingefahren sind, da hatte ich fast Tränen in den Augen, weil es mir so Spaß gemacht hat”, sagte die 33-Jährige.

Es gibt immer Kritiker, aber wenn sie es besser könnten, dann wären sie ja hier.” Luise Wanser

Das Ziel der Frauen bleibt auch für den zweiten Qualifikationstag das gleiche wie schon vor Beginn der historischen Regatta-Premiere. Luise Wanser sagte mit viel Kampfgeist: „Es zählt hier nicht das Ergebnis, sondern, dass wir dabei sind, dass wir die Erfahrung sammeln, dass wir es machen. Wir geben hier unser Bestes, weil wir um Erfahrung und damit für die Zukunft kämpfen.“

Jajo Team DutchSail stürmt den Women’s America’s Cup

Mannschaft des Tages – das erkannten auch die deutschen Seglerinnen respektvoll an – waren am Sonntag auf der Barcelona-Bühne die Holländerinnen. Das Jajo Team DutchSail eröffnete die zweitägige Vorrunde im neuen America’s Cup für Frauen mit den Rängen 5 und 3, bevor sie es mit zwei Rennsiegen auf dem Kurs und im Boot krachen ließen. Ihre Erfolge feierten sie überschwänglich und mitreißend. Sie waren aufgrund mangelnder AC40-Erfahrung nicht als Top-Favoritinnen in die Premiere des Women’s America’s Cup gestartet.

49erFX-Olympiasiegerin Odile van Aanholt, ihre Gold-Vorschoterin Annette Duetz in der Trimmer-Position für die Backbord-Steuerfrau Arianne van de Loosdrecht und die zweite Trimmerin Willemijn Offermann aber segelten den AC40er wie ein Rennpferd. „Sie waren immer früher an der Startlinie als wir, bang on“, nannte Luise Wanser einen der Gründe für die Klasseleistung der Jajo-Seglerinnen.

Die Niederländerinnen hatten den deutschen Seglerinnen auf Kurs Women’s America’s Cup deutlich mehr Trainings auf F69-Foilern voraus. Sicher auch das von aktuellem 49erFX-Gold gestärkte Selbstbewusstsein der angriffslustigen und sehr entschlossenen Odile van Aanholt. Insgesamt waren die „Fliegenden Holländerinnen“ mit einem dem deutschen Team nicht völlig unähnlichen Paket in Barcelona angereist.

Mit zwingenden Start auf Erfolgskurs

Auch das Jajo Team Dutchsail hatte sein Training weitgehend Simulator-gestützt durchgeführt. Das Budget ordnete Odile van Aanholt ohne genauere Angaben „etwa in dem Bereich des deutschen Budgets“ ein. Das lag bei etwa 300.000 Euro für Youth- und Women’s-Crew des AC Teams Germany. „Wir sind mit positiver Einstellung da rausgegangen. Wir wussten, dass wir wenig Zeit in dem Boot hatten. Wir haben uns gesagt, dass wir unser Bestes geben und Spaß haben wollen“, sagte Odile van Aanholt.

Unsere Starts waren wie Feuer.” Odile van Aanholt

Dann wurde sie konkreter: „Unsere Starts haben uns in die Position gebracht, in jedem Rennen richtig race zu können. Das erste Rennen war noch nicht so hübsch. Da fielen wir von den Foils. Es ist, wie auch Tina sagte, echt hart, in diesen Booten dann wieder hochzukommen, wenn du nur im Simulator trainiert hast. Diese Boote sind großartig, wenn sie foilen. Aber definitiv kompliziert, wenn sie es nicht tun.“ Das sei dann der Fokus für ihr Team in den verbliebenen Rennen gewesen: „Einfach auf den Foils bleiben!“ Das wurde mit jedem Knoten mehr Wind leichter.

Als Stärke ihres Teams bezeichnete Odile van Aanholt die Fähigkeit jeder Seglerin im holländischen Boot, die anderen zu coachen. „Wir haben uns die ganze Zeit gegenseitig gecoacht und uns angefeuert“, so die Skiff-Olympiasiegerin. „Jedes Mal, wenn die beiden auf der anderen Seite des Bootes was gut gemacht haben, haben wir das auch im Rennen bejubelt.“

Das große Bild im Blick

Im Jajo-Team ist der dreimalige Olympiateilnehmer und Cheftrainer Jan-Pieter Postma einer der Dreh- und Angelpunkte, der mit Odile van Aanholt die Kampagne angeschoben hatte. „Er ist wirklich wichtig, hat sichergestellt, dass wir überhaupt hier sind”, sagt sie. Skipper im holländischen Youth-Team unter Jajo-Dach war Odile van Aanholts Lebensgefährte, der zweimalige 49er-Weltmeister Bart Lambriex. „Im Youth-Team war die Kommunikation so klar, wie man das gerne hören will. Bart gibt uns viele praktische Tipps.“

Als Jajo-Coach ist außerdem die olympische Yngling-Silbermedaillengewinnerin Annemieke Bes aktiv. „Annemieke Bes ist unsere Haupttrainerin. Sie hat extrem viel Erfahrung mit Teams und damit, wie man Teams zusammenhält. Daumen hoch in ihre Richtung. Ich glaube nicht, dass ich jemals in einem Team wie diesem gearbeitet habe, das so schnell so gut zusammengekommen ist. Sie hat das große Bild im Blick, stellt sicher, dass wir auch mental alle happy sind”, sagt Odile van Aanholt.

Ich fühle mich sehr verantwortlich für alles, was passiert.” Odile van Aanholt

Auf die Frage nach der Führungsfigur in ihrem Team, sagte die Skipperin: „Das weiß ich gar nicht so recht. Wenn kein anderer die Verantwortung nimmt, dann nehme ich sie. Aber wir fühlen uns auch alle sehr verantwortlich im jeweils eigenen Job an Bord. Manchmal ist Speed die wichtigste Verantwortlichkeit. Dann kommt sehr viel Dringlichkeit in die Stimmen der Trimmerinnen. Und wir folgen ihnen komplett. Manchmal sind Racing und Taktik wichtiger, dann sind Willemijn und ich stimmgewaltiger. Es ist niemals leise an Bord.“

Boat Captain ist die Fünfte im Bund

Den Traum vom America’s Cup teilt sie mit vielen Landsleute. „Wir haben definitiv die Vision, ins High-Foiling und den America’s Cup einzusteigen. Vielleicht gibt es auch eine Frauen-Serie auf den AC40-Booten.“ Zum Women’s America’s Cup waren die Holländerinnen als Quintett angereist. Ihre fünfte Seglerin Ismene Usman weiß seit Wochen, dass sie nicht im Regatta-Einsatz sein wird.

Die Fünfte im Bunde ist als Boat Captain für das Frauen-Team in Barcelona. „Aber wir haben sichergestellt, dass sie im Training genauso viel Foiling-Zeit bekommt wie alle anderen, auch wenn die Zeit dafür auf nur zwei Tage reduziert war. Weil wir diese Reise teilen und sie uns geholfen hat hier zu sein. Sie ist jetzt unser Boat Captain und das ist noch so eine Sache hier: Es geht nicht nur um großartiges Segeln. Wir hatten heute null technische Probleme – das ist ihr zu verdanken. Sie macht einen super Job!“

Während das AC Team Germany sowohl im Youth-Cup als auch im Women‘s America’s Cup auf dem AC40 von Alinghi Red Bull Racing im Einsatz ist, bestreitet das Jajo Team DutchSail die Regatten auf dem Vier-Personen-Foiler von Luna Rossa Prada Pirelli. Klingt gut, möchte man meinen. Odile van Aanholt lacht: „Die sind sehr präzise und strikt mit uns.“

Der Women’s America’s Cup geht weiter

Der Women’s America’s Cup wird am 7. Oktober ab 14.10 Uhr mit dem zweiten Segeltag der Gruppe B fortgesetzt. Das deutsche Women’s AC Team Germany wird angriffslustig aus den Startblöcken kommen. Am 8. Oktober ist die Gruppe A mit den Cup-Teams erneut gefordert, wo nach Tag eins Luna Rossa Prada Pirellis Frauen die Führung vor dem britischen Team Athena Pathway übernommen hatte. Danach ziehen die jeweils besten drei Teams der beiden Gruppen ins Halbfinale ein, in dem am 11. Oktober wieder sechs Teams vier Rennen bestreiten. Die beiden besten Mannschaften bestreiten am 13. Oktober ein Duell um den Sieg im 1. Women’s America’s Cup.

REPLAY! Die Wiederholung der Live-Übertragung vom ersten Qualifikationstag der Gruppe B mit dem Women’s AC Team Germany:

Meistgelesen in der Rubrik Regatta