Lars Bolle
· 16.12.2020
Erstmals trafen vor Auckland die vier Teams des 36. America's Cup aufeinander. Es war beeindruckend, lieferte Erkenntnisse und schürt Spekulationen
"Ich hatte schon bessere Tage." Mit diesem einfachen Satz fasst Sir Ben Ainslie, Steuermann des britischen Herausforderers Ineos Team UK, die ersten beiden Rennen zusammen. Er hätte auch sagen können: "Das war ein Desaster." Sowohl das Match gegen die Italiener als auch gegen die Amerikaner mussten die Briten wegen technischer Probleme aufgeben. Im ersten Match gab es wohl Probleme mit dem Ruder, danach funktionierte offenbar die Verstellung der Foil-Arme nicht richtig. So sind die Ergebnisse dieser beiden Begegnungen kaum aussagefähig. Allerdings sahen die Briten, so lange sie segelten, auch jeweils chancenlos aus. Eine wichtige Erkenntnis gab es dennoch:
Kurz vor dem Start gegen die Italiener gelang es deren australischem Steuermann Jimmy Spithill, bekannt für seine aggressive Vorstarttaktik, die Briten in Lee zu unterwenden und zum Anluven zu zwingen. Beide Boote fielen von den Foils und standen. Die Briten fingen sich sogar noch eine Stoppstrafe ein, weil sie mit dem Bug in den Sicherheitsbereich rund um das italienische Boot einfuhren. Danach brauchten die Briten so lange, um auf die Foils zu kommen, dass die Italiener auf und davon waren. Die Erkenntnis: Wer am Start nicht foilt, verliert sofort mehrere hundert Meter.
Vor Auckland trafen heute am frühen Morgen ab 3.00 Uhr die vier Teams des 36. America's Cup erstmals beim Christmas Race aufeinander. Was da zu sehen war, beeindruckte. Bei 15 bis 19 Knoten Wind segelten die neuen 75-Fuß-Einrumpfer am Wind mit über 30 Knoten, etwa zehn Knoten schneller als die 50-Fuß-Katamarane der vergangenen Auflage. Vorm Wind ging es auf fast 50 Knoten hoch, den Topspeed markierten die Neuseeländer mit 49,1 Knoten. Es gab rasante Manöver, Wendeduelle, Abstürze. Teilweise war es eng und spannend, teilsweise eher langweilig wegen großer Abstände. Zu unterschiedlich ist noch das Potenzial der Teams, zu viele Unbekannte sind noch im Spiel.
Es ist zwar nur ein reiner Show-Event, dennoch stellt das Christmas Race das erste Aufeinandertreffen unter Wettkampfbedingungen dar. Es geht um Prestige, vor allem aber um einen ersten Abgleich der Boote sowie um das Sammeln wichtiger Daten. Besonders unter letztgenanntem Aspekt müssen die ersten Begegnungen wohl gewertet werden.
Da war zunächst das Match Italien gegen Neuseeland, was wegen einer gemeinsamen Vorgeschichte Spannung versprach. Beide Teams hatten am meisten Zeit, ihre Konstruktionen zu entwerfen. Denn der Verteidiger Neuseeland und der erste Herausforderer, das italienische Team Luna Rossa, bestimmten das Regelwerk des neuen Cups. Die Konstrukteure beider Teams konnten sich deshalb sehr früh mit den innerhalb der Regeln möglichen Designs auseinandersetzen; die beiden anderen Herausforderer, neben den Amerikanern die Briten, waren da außen vor. Das ermöglichte den Neuseeländern und Italienern einen monatelangen Konstruktionsvorteil.
Die komplette Aufzeichnung aller vier Races
Außerdem konnten Herausforderer und erster Verteidiger früh auf sehr gute Computersimulationen zurückgreifen. Beide haben das Programm genutzt, das die Neuseeländer schon für den vergangenen Cup entwickelt hatten. Luna Rossa hatte eine Lizenz des aktuellen Programms gekauft und auch gleich einige Entwickler unter Vertrag genommen. Das heißt, beide Teams nutzen nicht nur dieselbe Software, sondern haben auch die Leute, welche diese entwickelt haben.
So sahen sich auch die Rümpfe beider Teams bei den ersten Entwürfen sehr ähnlich. Jetzt, bei den zweiten gebauten Booten, die alle Teams im Einsatz hatten, gingen die Neuseeländer vor allem im aerodynamischen Bereich radikalere Wege.
Es ist also anzunehmen, dass die Neuseeländer das Race gegen die Italiener nutzten, um herauszufinden, wie sich diese Änderungen gegenüber dem Ursprungsentwurf auswirken. Kurzum: Sie wirken. Die Neuseeländer gewannen mit über einem Kilometer Vorsprung.
Ganz anders sah es dagegen im Match gegen die Amerikaner aus. Dort stand Cup-Veteran Dean Barker am Steuer, und ihm gelang es, einen schon am Start herausgesegelten Vorsprung vor seinem Kontrahenten Peter Burling mit zwölf Sekunden ins Ziel zu retten. Es war ein spannendes Match, das einzige spannende, mit Wendeduellen etwa, und doch auch irgendwie merkwürdig.
Denn schon am Start kamen die Neuseeländer nicht richtig in die Vorstartbox, hatten Schwierigkeiten, auf die Foils zu gelangen; der Bordfunk ließ auf technische Probleme schließen. Dann jedoch schien wieder alles in Ordnung zu sein, und die Neuseeländer holten kontinuierlich auf. Dieses Spiel wiederholte sich. Immer, wenn die Neuseeländer herankamen, passierte irgendetwas, etwa eine unnötige Rollwende kurz nach der Leemarkenrundung mit anschließendem Splashdown, dem Herunterfallen von den Foils, was den Rückstand wieder vergrößerte. Auf der letzten Kreuz arbeiteten sich die Neuseeländer wieder bis kurz hinter die Amerikaner heran, schafften am Luv-Tor eine Innenposition und die Führung, die Amerikaner mussten sogar wegen zu geringen Abstandes eine 50-Meter-Stoppstrafe hinnehmen. Doch kurz danach fielen die Neuseeländer wieder von den Foils, die Amerikaner passierten.
Es wäre nicht verwunderlich, wenn die Neuseeländer in diesem Match ausprobierten, wie es ihnen gelingt, aus einem Rückstand heraus durch die Abwinde des Gegners hindurch nach vorn zu segeln. Man kann sagen: Es gelingt ihnen.
Nach diesem ersten Tag können die Neuseeländer als deutlich überlegenes Team gewertet werden, danach die Amerikaner und die Italiener. Die Briten sind wegen ihrer technischen Probleme schwer einzuschätzen. Doch allzu viel sollte in diese ersten Matches auch nicht hineininterpretiert werden. Es ist noch viel Zeit bis zum Beginn des Cup-Finales am 6. März.
Die nächsten Rennen sind für Freitag früh, 3.00 Uhr deutscher Zeit angesetzt. Die Races sind außerdem live und in Wiederholungen über die Cup-Webseite, auf Youtube sowie Facebook zu verfolgen.