Carsten Kemmling
· 03.12.2002
Alinghi-Trimmer Christian Scherrer im YACHT-online-Interview über den Conner-Protest, die "Blackheart"-Anfeindungen, das bevorstehende Halbfinale und Weihnachtsgefühle
Christian Scherrer (32) aus Winterthur ist einer von acht Schweizer im 32-köpfigen Alinghi-Segelteam. Der Genua-Trimmer war beim Whitbread Race 1993/94 Wachführer auf der "Merit Cup" und arbeitete danach für das australische America's-Cup-Syndikat One Australia, dessen Boot 1995 spektakulär auseinander brach und sank. Außerdem segelte er bei der letzten Cup-Veranstaltung mit Jochen Schümann für FAST 2000.
YACHT online:
Scherrer: Ich habe auf meiner Trimmer-Position den erfahrenen Neuseeländer Simon Daubney vor mir. Der ist kaum zu schlagen, aber ich habe inzwischen zwei Rennen in der Vorrunde gesegelt. Ansonsten bin ich beim Two-boat-Testen voll eingespannt. Da arbeiten wir nach wie vor sehr hart.
YACHT online: Warum? Es läuft doch alles wie geschmiert.
Scherrer: Das ist das Problem. Da besteht die Gefahr, dass man nicht am Ball bleibt. Aber alle entwickeln sich weiter. Es gibt so viele Gebiete, wo man noch Zehntel herausholen kann. Das ist harte, zeitaufwendige Arbeit.
YACHT online: Es wird viel über das neuere Boot von Alinghi SUI 74 spekuliert, das bisher noch nicht zum Einsatz kam. Ist es mehr für den immer leichter werdenden Wind optimiert? Werden wir es im Halbfinale sehen?
Scherrer: Dazu kann ich nichts sagen. Wir nutzen natürlich den psychologischen Vorteil, dass niemand weiß, ob wir da noch etwas in der Hinterhand haben. Aber mit einem reinen Leichtwind-Schiff ins Rennen zu gehen ist sehr risikoreich. Die Bedingungen ändern sich hier extrem schnell. Da braucht man einen Allrounder. Zurzeit ist zum Beispiel sehr wenig Wind. Wir segeln meist erst mit der leichten Seebrise ab 14 Uhr und sind dann wie heute bis 8 Uhr draußen.
YACHT online: Wie speziell sind die Konstruktionen ausgelegt? Kann man mal eben aus einem Starkwind-Renner eine Leichtwind-Rakete machen?
Scherrer: Oracle BMW hat es ja vorgemacht. Aber das ist sehr teuer und aufwändig. Außerdem verliert man durch extreme Umbauten viel Trainingszeit auf dem Wasser. Wir brauchten Gott sei Dank bisher noch nicht so weitreichende Schritte zu gehen. Unsere Strategie ist aufgegangen.
YACHT online: Während es bei den gegnerischen Teams hoch hergeht, hört man von Alinghi eher wenig. Gibt es keine Meinungsverschiedenheiten? Ist es hinter den Kulissen wirklich so ruhig?
Scherrer: Gerade weil es Meinungsverschiedenheiten gibt, ist es so ruhig nach außen. Jeder, der etwas zu sagen oder zu meckern hat, darf sich zu Wort melden. Egal, welche Position er ausfüllt. Das wird ausdiskutiert. Wir haben da eine sehr gute Streitkultur entwickelt. Niemand muss sich bevormundet fühlen. Das ist eine unserer großen Stärken.
YACHT online: Wie wirken die "Loyal"-Kampagne der Kiwis und die Anfeindungen der "Blackheart"-Extremisten auf das Team?
Scherrer: Das ist schon sehr provokativ, und die Blackhearts disqualifizieren sich doch nur selbst. Die ganze Nummer ist doch nicht glaubwürdig. Auf der einen Seite ärgern sich die Leute über die reichen Teams, die ihnen den Cup wegnehmen wollen, und sagen, was das für negative Wirkungen auf die Wirtschaft von Neuseeland haben wird. Andererseits nehmen sie gern das Geld, das wir im Moment alle ins Land tragen. Unsere Kiwis waren besonders bei der Eröffnungsparade ziemlich angespannt, aber beim Segeln waren sie sehr cool. Spannend wird es ja erst, wenn wir wirklich gegen die Kiwis segeln sollten. Auf dieses Duell wartet hier jeder: Russell Coutts gegen Dean Barker.
YACHT online: Wie sehen Sie den Protest von Conner und Prada gegen OneWorld?
Scherrer: Ich finde es beschissen, dass das so weit gekommen ist. Das hätte vorher geklärt werden sollen. Syndikatsboss MacCaw hat sich um ein sauberes Image mit einer Umweltkampagne in Neuseeland bemüht. Jetzt ist er gebrandmarkt, auch wenn er bis ins Finale kommen sollte. Aber die ganze Sache kümmert uns nur wenig. Gut, dass wir bisher bei solchen gerichtlichen Auseinandersetzungen keine Energie verschwenden mussten. Wir haben unsere Arbeit auch auf dieser Ebene sehr sauber gemacht.
YACHT online: Kommen bei Ihnen im sommerlichen Auckland Adventsgefühle auf?
Scherrer: Natürlich. Gerade heute habe ich mit meinem Zimmergenossen Dominik Neidhart einen Adventskalender aufgehängt. Aber ich freue mich schon auf Weihnachten am Strand. Ich habe da eine kleine Hütte gemietet. Wenn wir das Halbfinale gewinnen, gewährt uns Jochen wohl drei Tage Weihnachtsferien.