Tatjana Pokorny
· 03.06.2017
Die umstrittene Teilnahme der Verteidiger an der Herausforderer-Qualifikation wird mit einem Bonuspunkt belohnt. Und Skipper Spithill ärgert die Neuseeländer
Es klingt nicht richtig, ist aber dennoch passiert: Erstmals in der Historie des America's Cup haben die Verteidiger an der Herausforderer-Qualifikation teilgenommen und sind dafür auch noch belohnt worden. Grund für das Novum war die Entscheidung, dass jedes Cup-Team in diesem Zyklus aus Kostengründen nur ein Boot bauen darf. Damit die Verteidiger deswegen nicht ohne Vergleichs- und Testmöglichkeiten bleiben, während die Herausforderer in ihren Rennen Erfahrung sammeln, lernen und sich verbessern können, haben sich die Verteidiger einfach selbst mit in die Qualifikationsrunde der Herausforderer eingebucht. Das war von Beginn an nicht unumstritten und hat nun durch den Qualifikationssieg der Amerikaner eine zusätzliche Dimension erhalten. Das Oracle Team USA wird am 17. Juni mit einem Bonuspunkt in das 35. Match um den America's Cup starten.
Zugegeben, die Herausforderer hatten in dieser Qualifikation, in der jedes Team zweimal auf jedes andere traf, die gleichen Chance, haben sie aber nicht nutzen können. Das bislang so dominante, rasend schnelle und überzeugend agierende Emirates Team New Zealand verpatzte am Samstagabend den mit Spannung erwarteten Kampf um den Bonuspunkt im direkten Duell mit der stark auftretenden Mannschaft um Jimmy Spithill, kassierte eine ganze Serie von Penalties für einen Frühstart, ein zu enges Manöver und das Überfahren der Kursgrenze – und ging leer aus. Nun ist passiert, wovor vor allem die Kiwis gewarnt hatten: Der kleine Bonuspunkt mit vielleicht großer Wirkung geht aufs Konto der Verteidiger. Man darf sich zum Vergleich vorstellen, dass eine Fußball-Nationalmannschaft mit einem Tor Vorsprung in ein WM-Endspiel einzieht. Das klingt sicher nicht für jedes Ohr vernünftig.
Oracle-Skipper Jimmy Spithill aber verteidigte die Regelung am Abend nach der Entscheidung erneut: "Wir haben das von Tag eins an gewusst. Es ist ja keine Überraschung, von der wir gerade erst erfahren haben. Ich fand es irgendwie cool. Es hat eine etwas andere Komponente in die Rennen gebracht. Und ich denke, es war den Kampf wert. Und ich glaube auch, dass die Leute, insbesondere ihr Kiwi-Medien (Red.: Spithills wiederholte Anspielung auf sein schwieriges Verhältnis zu neuseeländischen Journalisten), uns ohne den Bonuspunkt unterstellt hättet, dass wir unser Leistungsvermögen verschleiert oder an den Ergebnissen gedreht hätten. Wir haben also wirklich diesen Hunger auf den Bonuspunkt bei allen Teams kreiert. Jeder Sieg, den man für ein America’s-Cup-Match bekommen kann, ist sehr wertvoll.“
Diese besonnen vorgetragenen Worte vorausgeschickt, ließ Spithill sich danach nicht lange bitten, die möglichen künftigen Herausforderer aus Neuseeland zu attackieren. Der Australier in amerikanischen Diensten ist bekannt dafür, potenzielle Gegner verbal anzugehen, um sie zu verunsichern und aus dem Konzept zu bringen. Die Kiwis waren ganz offensichtlich so gut, dass Spithill seine Verbalangriffe schon zu diesem frühen Zeitpunkt einläutet: „Beide Male, die wir gegen sie gesegelt sind, haben sie ziemlich fundamentale Fehler gemacht. Die Startlinie heute... Und ganz offensichtlich auch an der Top-Marke... Erneut! Wie schon beim ersten Mal, als wir aufeinander getroffen sind. Die Besetzung auf unserem Boot ist sehr schlagkräftig. Wir haben mit Tom Slingsby einen engagierten Taktiker. Und Kyle Langford ist auch immer involviert. Auf dem anderen Boot (Red.: gemeint sind die Neuseeländer) haben sie nichts davon. Das kann man an ihrer Kommunikation an Bord hören.“
Der Frage nach der möglichen Installation von mehr Pedalantrieben nach dem Vorbild des Emirates Team New Zealand dagegen wich Spithill aus: „Fast jedes System an Bord wird noch einmal genau angeschaut. Man kann sich zu diesem Zeitpunkt im Spiel nicht zurücklehnen. Wir müssen sehr viel schneller werden, wenn wir den Cup gewinnen wollen.“ Einen letzten Giftpfeil in Richtung Emirates Team New Zealand schoss Spithill am Ende der abendlichen Pressekonferenz noch ab – ob humorvoll oder ernst gemeint, das ließ seine betont ausdruckslose Miene offen. Auf die Frage, wen die Neuseeländer als beste Herausforderer zum Halbfinal-Gegner in den Challenger Playoffs wohl wählen würden, sagte Spithill: „Aus meinem Leck im Team New Zealand habe ich gehört, dass sie Ben Ainslie Racing gewählt haben.“
Auf diese Provokation Spithills reagierten vor allem die neuseeländischen Medien umgehend und aggressiv. Im "New Zealand Herald" hieß es wenig später: „Spithill hat ETNZ das Messer reingerammt.“ Spithills Vorhersage, ob nun tatsächliche Information oder – viel wahrscheinlicher – nur frech vermutet, traf ein. Was allerdings nach der bislang schwachen Vorstellung der Briten und ihres eigenwillig anfälligen Katamarans auch nicht allzu schwer zu erraten war. Peter Burling selbst sagte auf die Frage nach der Wahl seines Gegners für das Halbfinale der Challenger Playoffs: „Wir haben uns als Team zusammengesetzt und entschieden, dass wir Team BAR auswählen. Mit Blick auf die Vorhersagen für die kommende Woche glauben wir, dass es unsere beste Chance aufs Weiterkommen ist.“ Sir Ben Ainslies Antwort auf die wenig schmeichelhafte Wahl fiel fast verständnisvoll aus, obwohl er sich kaum daran erinnern wird, wann er, der erfolgreichste Olympiasegler der Sportgeschichte, zuletzt freiwillig von jemandem zum Gegner gewählt wurde: „Sicher hat Team New Zealand in dieser Qualifikation nachgewiesen, dass sie sehr gut segeln und über eine große Bandbreite von Bedingungen sehr schnell sind. Für uns wird es ein echter Kampf werden. Aber wir sind bereit und freuen uns darauf.“ Sir Ben ist bescheiden geworden, nachdem er auch zum Ende der Qualifikation zwar einen Kampfsieg mit 13 Sekunden Vorsprung vor den Japanern verbuchen konnte, sich aber anschließend mit 36 Sekunden Rückstand den Titelverteidigern beugen musste und den Amerikanern damit ihren achten von zehn möglichen Siegpunkten bescherte.
Die zweite Halbfinal-Paarung in den Louis Vuitton Challenger Playoffs bilden ab Sonntagabend automatisch Artemis Racing und das SoftBank Team Japan. Dass die Semifinal-Begegnungen der Herausforderer bereits am Tag nach dem Ende der Qualifikation beginnen, ist natürlich kein Zufall. Das lässt den Herausforderern kaum Zeit für größere Modifikationen, während die Verteidiger – mit den gesammelten Erfahrungen aus der Qualifikation im Gepäck – nun zwei Wochen Zeit für Umbauten und Verbesserungen haben und gleichzeitig die Leistungen der Herausforderer von der Außenlinie weiter intensiv beobachten können. Nachzutragen bleibt das Ergebnis aus dem Samstag-Duell zwischen dem wiedererstarkten schwedischen Team Artemis und den Franzosen, das zum Abschied der Cammas-Crew leider langweilig ausfiel – zu schwach war das Groupama Team France, zu dominant Artemis Racing. Steuermann Nathan Outteridge und sein Team brachten ihre „Magic Blue“ mit 2 Minuten und 35 Sekunden Vorsprung vor den flügellahmen Franzosen ins Ziel und Franck Cammas räumte bei seinem letzten Pressetermin ein: „Wir haben in den vergangenen zwei Tagen zu den falschen Boards (Red.: Foils) gegriffen.“ Dennoch stellte Cammas eine Fortsetzung der französischen Kampagne in Aussicht, sollte es beim aktuellen Konzept bleiben. Und kündigte an, mit seiner Mannschaft noch eine Weile vor Ort bleiben zu wollen, um den Lernprozess und die Entwicklung im Groupama Team France voranzutreiben.