Ein Coach nur reicht im vielschichtigen America’s-Cup-Spiel schon lange nicht mehr aus. Die beiden Finalisten im Louis Vuitton Cup – Luna Rossa Prada Pirelli und Ineos Britannia - operieren mit einem Heer kluger Helfer und jeweils drei Trainern. Die haben unterschiedliche Aufgaben, decken mit ihren Fähigkeiten das ganze Bedarfsspektrum eines America’s-Cup-Teams ab.
Das Trainer-Dreigestirn für Ineos Britannia bilden der sehr erfahrene Brite Rob Wilson, sein Landsmann Ian Williams und der Spanier Xabi Fernandez. Rob Wilson teilt mit Skipper und Steuermann Ben Ainslie seine erste Teilnahme an einer Opti-Weltmeisterschaft: 1989 erlebten beide ihre WM-Premiere in der Kinder- und Jugendjolle Optimist im japanischen Yokohama. Wilson segelte später Tornado, bis der Katamaran aus dem olympischen Programm genommen wurde und der Mann aus Shepperton ins Trainerlager wechselte.
Rob Wilson war als Coach in der Extreme Sailing Series aktiv, begleitete die Paralympics-Siegerin 2012 Helena Lucas zu ihrer Goldmedaille im Heimatrevier und wurde zum 35. America’s Cup 2017 von Ben Ainslie für dessen erste Cup-Kampagne unter britischer Flagge als Trainer angeheuert. Rob Wilson kam, um zu bleiben. Der olympische Gold- und Silbermedaillengewinner Xabi Fernandez ist ebenfalls seit dem 35. America’s Cup an der Seite von Ben Ainslie aktiv. Der viermalige Weltumsegler bestritt zwei Cup-Kampagnen mit den Briten als Segler, bevor für die aktuelle Cup-Edition auf die Trainerseite wechselte.
Nummer drei im britischen Trainer-Bund ist mit Ian Williams ein ausgewiesener Duellsegel-Spezialist: Ian Williams ist als siebenmaliger Matchrace-Weltmeister eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Der studierte Jurist und Londoner Anwalt hatte 2005 seinen Job aufgegeben, um sein Geld fortan im professionellen Segelsport zu verdienen. Der Erfolg gab ihm Recht.
Deutschlands Segelfans hatten den smarten Briten 2013 und 2014 als Sieger im Match Race Germany am Bodensee kennenlernen können. Hier triumphierten auch weitere der aktuell am Louis-Vuitton-Cup-Finale beteiligte Top-Akteure: “Britannia”-Steuermann Ben Ainslie gewann das Match Race Germany 2009, “Luna Rossa”-Pilot Francesco Bruni triumphierte 2011 auf dem Bodensee. Wie Ben Ainslie und sein Team Ineos Britannia, verlässt sich auch der italienische Rennstall auf ein Coach Trio.
Hamish Willcox, dreimaliger 470er-Weltmeister mit David Barnes in den frühen 1980er Jahren und acht als Coach mitgeprägte Olympische Spiele mit einmal Gold und viermal Silber, fünf America’s-Cup-Einsätze mit zwei Siegen (2010 mit dem Oracle Team USA, 2017 mit dem Emirates Team New Zealand) machten den Neuseeländer zur Legende.
Entwickelt hat der ehemalige Coach der Kiwi-Ausnahmesegler und America’s-Cup-Verteidiger Peter Burling und Blair Tuke auch ein Trainingstool namens “Road to Gold”. SailGP-Boss Russell Coutts bezeichnete “Road to Gold” als “nicht nur großartig für Coaches”. Auch ambitionierte Segler weltweit könnten es nutzen, “um sich selbst zu coachen und zu überprüfen, wo sie stehen”.
An der Seite von Hamish Willcox bei seinem sechsten Cup-Engagement und dem dritten für die Azzurri, sind im 37. America’s Cup der erfahrene Matchracer, Olympia- und Cup-Segler Philippe Presti und der jüngere, technisch talentierte Kollege Jacopo Plazzi Marzotto. “Wir ergänzen uns hervorragend”, sagt der Franzose Presti, den die YACHT in Barcelona zum Gespräch über seine Aufgaben und die Coach-Rolle im America’s Cup traf. Den zweimaligen Finn-Gold-Cup-Gewinner nennen sie bei Luna Rossa Prada Pirelli meist nur “Filippo”.
Der 59-Jährige aus Arcachon bestreitet seinen siebten America’s Cup. Die Cup-Premiere erlebte er mit seinen Landsleuten und Le Défi Areva 2003. Dreimal war Philippe Presti danach für das Oracle Team USA dabei, hat beim legendären Comeback-Sieg der Amerikaner 2013 auch mit Ben Ainslie gearbeitet. Der ist jetzt Gegner von Prestis italienischen Schützlingen. Man kennt sich. Noch viel besser kennt Philippe Presti seine beiden Steuerleute Jimmy Spithill und Francesco Bruni.
2007 haben sie in Valencia unter italienischem “Luna Rossa”-Dach ein Team gebildet: Jimmy Spithill steuerte das eine Boot, Philippe Presti das andere. Der damals 34-jährige Francesco Bruni war Trimmer. Philippe Presti wechselte danach mit Beginn der Mehrrumpf-Ära im America’s Cup auf die Trainer-Seite. Es war die Zeit, als wir von den großen und langsamen Booten auf die schnellen Mehrrumpfboote gewechselt sind. Ich empfinde heute meinen Ritt mit Luna Rossa als erfüllend.”
Den Grund dafür bieten Presti die Akteure, die das Team Luna Rossa Prada Pirelli ausmachen: “Ich genieße die inhaltliche Tiefe in diesem Team, alle diese guten Jungs im Segelteam, diese klugen Köpfe, diese Energie. Ich hätte in meinen Cup-Anfängen nie gedacht, das es so ist. Ich habe nicht diese inhaltliche Tiefe und Intensität gespürt, die jetzt da ist.”
Den 59-Jährigen begeistern die die Stars im Segelteam ebenso wie die Aufsteiger. “Die erfahrenen Leute haben wirklich viel gesehen. Sie sind klug und eine starke Herausforderung. Dann sind da die neuen, jungen und hungrigen Segler, die alles wollen. Das ist fantastisch und reizt mich”, sagt Philippe Presti. Shooting Star und Youth-America’s-Cup-Gewinner Marco Gradoni ist einer von ihnen. “Er hat es fast ins Team geschafft. Er ist extrem smart, in einer fast schon beunruhigenden Weise”, sagt der Coach beeindruckt.
Wäre Philippe Presti, den man mit etwas Glück auch einmal in spontan formierten America’s-Cup-Bands an der Gitarre und mit Vorliebe für Blues erleben kann, nicht Segler und Coach geworden, “wäre ich vermutlich Lehrer”, sagt er selbst. Bei den Italienern sieht er sich verantwortlich im Race-Management-Bereich.
Philippe Prestis Schwerpunkte sind Kommunikationskoordination, die Taktik und die Strategie, insbesondere die Vorstartphase und das Matchracing. Wir haben mit Hamish einen super erfahrenen Coach und mit Jocopo einen super Techniker. Wir arbeiten eng zusammen. Dann kommen die Ingenieure und andere, geben Feedback. Ich koordiniere alle diese Gruppen.”
Der America’s Cup ist kein Sport-Event. Er ist ein Management-Wettbewerb. Von Kopf bis Fuß.” Philippe Presti
Die Trainer im America’s Cup beobachten das Geschehen auf dem Wasser eng. Mit ihnen auf den Begleitbooten sind bei Luna Rossa Prada Pirelli Team-Direktor und Skipper Max Sirena, Operations Manager Gilberto Nobili, Boat Captain Michele Cannoni. Dazu die Ingenieure, Foil-Spezialisten, Wind-Analysten und weitere Experten. Im Verbund wollen sie auf jedes nur erdenkliche Ungemach, auf jede Herausforderung reagieren können.
Auf den Bildschirmen an Bord der Begleitboote sehen sie die gleichen Live-Bilder wie auch die Zuschauer an Land. Die eigenen Bootsdaten können sie integrieren. Was die Teams nicht haben, aber gerne hätten? Philippe Presti sagt: “Wir haben nur begrenzten Zugang zu Renninformationen. Die Racing-Software ist nicht unsere. So hat sich der America’s Cup entwickelt. Ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt.”
Was er damit genau meint? “Wir nehmen die Entscheidungen auf dem Wasser so auf, wie wir sie auf den Bildschirmen sehen. Das ist designt, gebaut und kontrolliert von Team New Zealand. Sie geben uns etwas und wir nutzen, was sie uns geben. Beim letzten Cup beispielsweise hatten wir eine Menge anderer Informationen. Die Sache ist die: Wenn sich etwas vor deinen Augen abspielt, dann brauchst du Informationen, um deine Strategie darauf aufzubauen. Heute fehlen uns diese Informationen.”
Welche das beispielsweise sind? “Es gibt Möglichkeiten, Informationen dazu in der Software zu haben, ob Du beim Eintauchen in die Startbox zu spät oder zu früh dran bist.” Also eine Art Prognose? “Ja, wie eine Art Routing-Programm, das Vorhersagen gibt. Diese Informationen haben wir nicht. Aber so ist das Spiel.”
Neu ist seit dem 36. America’s Cup auch das Spiel mit zwei statt nur einem Steuermann. Eingeführt haben es Jimmy Spithill und Francesco Bruni vom Luna Rossa Prada Pirelli Team. Motivation dafür lieferte die eingeschränkte Sicht bei nur einem Piloten auf der neuen AC75-Yachten und auch aerodynamische Vorteile bei stationär platzierten Crews. “Früher war es ein Steuermann, der die Strategie im Kopf hatte. Jetzt sind es zwei. Der Ball mus von einem zum anderen gespielt werden. Das ist nicht leicht zu spielen.”
Ich versuche herauszufinden, wo die Löcher im Kuchen sind. Da kann ich ansetzen, etwas tun oder jemanden finden, der etwas tun kann.” Philippe Presti
Die Entscheidungen im Rennen fälle der Steuermann, der den Ball gerade in der Hand habe. “Der positioniert das Boot dort, wo er denkt, dass es gerade sein müsste”, erklärt Philipp Presti, “der andere gibt Informationen und Input.” Für Diskussionen ist im Zeitalter der mit 40 und sogar über 50 Knoten übers Wasser rasenden Foiler keine Zeit.
Wie schwer es war, aus den als Menschen und Seglern so unterschiedlichen Typen Jimmy Spithill und Francesco Bruni eine Einheit zu schmieden? “Wir sind noch die gleiche Gruppe wie 2007, kennen uns sehr gut”, sagt Philippe Presti lächelnd. Der Coach glaubt, dass “die Unterschiede gut sind, wenn du sie gut managst”. Das Wichtigste sei, dass sich beide gegenseitig sehr respektieren.
Wir haben eine Beziehung kreiert, die gesund ist.” Philippe Presti
“Sie hören einander zu. Sie akzeptieren die Fehler des anderen. Das ist wirklich anspruchsvoll. Damit muss man zurechtkommen. Es könnte auch Anspannung herrschen, aber das ist nicht so. Wir haben Stunden im Simulator verbracht, die Pläne diskutiert, erklärt, was passiert.”
Im Fußball studieren Torhüter vor wichtigen Spielen die typischen Bewegungen und Vorlieben der Torschützen. Und andersherum: Die Spieler studieren, wie sich ein Torhüter vorzugsweise bewegt, ob er Lieblingsecken hat oder Schwächen. Tun die Teams im America’s Cup mit Blick auf ihre Duelle ähnliches? Studieren sie die bevorzugten “Moves” der gegnerischen Steuerleute?
“Das ist genau meine Rolle”, sagt Philippe Presti. Luna Rossa Prada Pirelli studiert und analysiert die Aktionen und Reaktionen von Ben Ainslie und Dylan Fletcher an den Steuern der gegnerischen “Britannia”. Umgekehrt ist es genauso. “Wir tun das in Tiefe”, sagt Philippe Presti. Ob er das eine oder andere Ergebnis dieser Studien verrät? “Natürlich nicht!”
Aber man weiß, wie die Gegner in bestimmten Reaktionen reagieren? “Das ist exakt das, was ich versuche zu tun: Ich beobachte alles, höre allem zu. Denke über die Plays nach, beobachte die Reaktionen der Jungs. Ich habe Ben in San Francisco gecoacht, weiß also ein bisschen, wie er reagiert. Dylan kenne ich etwas weniger, weil er spät ins Spiel kam. Ich höre ihre Kommunikation mit und versuche zu verstehen, was und wie sie denken.”
Von dem Punkt an versuche sein Team, eine Gegenmaßnahme zu ergreifen. “Wir überlegen, wie wir unsere Strategie auch auf Basis des Gegners entwickeln können. Ins Spiel kommt dazu immer, zu was ein Boot leistungstechnisch im Stande ist.” Weil aber von den Gegnern ähnlich akribische Vorarbeit erwartet wird, spielt zudem das Überraschungsmoment eine Rolle.
“Natürlich sind Überraschungen wichtig.Wir haben eine Idee dazu, wie sie denken. Aber du weißt auch, dass sie sich ändern können. Und die Bedingungen ändern sich. Sie lernen aus Fehlern. Sie lernen mit zunehmender Erfahrung. Und wir tun das Gleiche. Es ist ein Spiel. Ich kenne ihren Matchracing-Coach sehr gut: Ian Williams. Wir sind viel gegeneinander gesegelt. Ich weiß, dass sie auf höchstem Nieveau agieren.”
Bis zu drei Minuten vor einem Start können Coaches mit dem Team reden. Danach sind die Segler auf sich gestellt, darauf aber dank ihrer Coaches maximal gut eingestellt.