Tatjana Pokorny
· 29.08.2024
Das Thema polarisiert die Cup-Welt, die Segel-Rennställe, Beobachter und Fans: Heute beginnt vor Barcelona die Herausfordererserie zum 37. America’s Cup. Der Louis Vuitton Cup startet mit zwei Round-Robin-Runden durch. Jedes Team tritt zweimal gegen jedes andere an. Am Ende muss der schwächste der fünf Herausforderer seine Sachen packen. Die vier besten Herausforderer ziehen ins Halbfinale ein, machen unter sich aus, wer im Finale des Louis Vuitton Cup um das Recht kämpfen darf, die Kiwis ab 12. Oktober im 37. Match um den America’s Cup herausfordern zu dürfen.
Anlass zu vielen Diskussionen gibt die Neuerung, dass die neuseeländischen Cup-Verteidiger in den beiden Round-Robin-Runden mitmischen. Zwar sammeln sie dabei selbst keine Punkte, können aber ihren kommenden Gegner gründlich studieren. “Ich will nicht sagen, dass in irgendeiner Weise Ergebnisse manipuliert werden, aber es wäre möglich”, hielt bei der letzten Skipper-Pressekonferenz in Barcelona am Vortag zudem Ineos Britannias CEO und Skipper Sir Ben Ainslie fest.
Gleichzeitig erklärte der viermalige Olympiasieger, der mit seinem Team Ineos Britannia als “Challenger of Record” Verhandlungspartner der Kiwis auf Seiten der Herausforderer ist: “Die Teilnahme des Challengers wird von den herausfordernden Teams viel diskutiert. Die Teams denken, dass sie vielleicht stark sind. Warum sollten sie also gegen die Verteidiger antreten und zeigen, dass sie stark sind? Andere sagen: Vielleicht können wir etwas von den Verteidigern lernen. Am Ende ist es so: Wenn du Übungsrennen haben willst, kannst du die nicht ohne Verteidiger haben. Weil sie das Event organisieren.”
Am Ende ist fair, was vereinbart wurde.” Sir Ben Ainslie
Ben Ainslie holte zum heißesten Thema in Barcelona noch etwas weiter aus: “In der weiter zurückliegenden Geschichte gab es Verteidiger-Serien. Es gab mehrere Verteidiger. Das war der Weg der Verteidiger, Rennen zu bestreiten. Und das war sehr aufregend. Danach haben sie dann bis zum Finale nicht gesegelt. Aber in der jüngeren Geschichte gab es keine Verteidiger-Ausscheidungen. Deswegen wurde vereinbart, dass der Verteidiger ein gewisses Maß an Rennen bekommt. Ich denke, am Ende ist fair, was vereinbart wurde.”
Den Grund für seine Einschätzung lieferte der “Britannia”-Skipper bei seiner dritten Cup-Jagd unter britischer Flagge gleich mit: “Natürlich gibt die Teilnahme den Kiwis die Möglichkeit, die Herausforderer zu checken. Aber aus Herausforderer-Sicht gibt uns das auch eine großartige Möglichkeit zum Lernen. Die Kiwis haben das Event ultimativ gewonnen. Also lernen wir vermutlich mehr von ihnen als sie von uns.”
In einem persönlichen Kommentar schrieb America’s-Cup-Veteran und North-Sails-Präsident Ken Read seine Meinung zum Thema auf. Der Amerikaner hielt zunächst fest: “In meinen lange zurückliegenden America’s-Cup-Tagen gab es das ungeschriebene Gesetzt, dass NIEMAND MIT DEN VERTEIDIGERN trainiert. Es waren die “Alle Herausforderer gegen den Verteidiger”-Zeiten. Punkt.”
Die Kiwis bereiten die gesamte Mannschaft viel effektiver auf das Match vor als bei ihrer letzten Kampagne.” Ken Read
Ken Read fährt mit seinen Beobachtungen der aktuellen Cup-Edition fort: “Die Kiwis haben den Zeitplan so gestaltet, dass sie nicht nur ihre Rennfähigkeiten verbessern, sondern auch genau wissen, wo die Herausforderer in Bezug auf ihre Leistung stehen. Die Kiwis konnten nicht nur in der vergangenen Woche bei der Vorregatta, sondern können auch bei den beiden Round Robins zeigen, was sie wollen. Und sie müssen nichts zeigen, was sie nicht wollen, denn technisch gesehen segeln sie nicht um Punkte. Sie sind auf jeden Fall im America's-Cup-Finale dabei, egal was passiert. Sie testen gegen ihren Möchtegern-Gegner.”
Kiwi-Skipper Peter Burling relativierte die Situation naturgemäß, räumte bei der Pressekonferenz ein: “Ben hat es gut zusammengefasst. Damit ist Positives und Negatives verbunden. In Auckland (Red.: beim letzten America’s Cup) haben wir die Vorregatta, die Weihnachtsregatta, Übungsrennen und Medientage mitbestritten. Um ehrlich zu sein: Ich glaube, dass es großartig fürs Event ist, jedes Team gegen jedes racen zu sehen. Es hilft, die Spannung aufzubauen. Die Rennen bei der Vorregatta waren insbesondere am Sonntag großartig. Hoffentlich kommen noch mehr so spannende Rennen.”
Tatsächlich haben sich die Kiwis mit ihrer anfänglichen Teilnahme am Louis Vuitton Cup aber auch in eine Luxussituation gebracht. Sie können Stärken und Schwächen der Herausforderer in den direkten Duellen detailliert beleuchten, analysieren und gegebenenfalls Antworten darauf finden. Während die aussichtsreichsten Herausforderer nach der Round-Robin-Eröffnungsphase im Louis Vuitton Cup weiter in den Halbfinals und im Finale intensiv gefordert sein werden, haben die Neuseeländer im Anschluss an ihre Round-Robin-Teilnahme viel Zeit, ihr Boot in regattafreier Phase zu optimieren.
Unsere Zeit ist jetzt.” Tom Slingsby
Tom Slingsby, America’s-Cup-Sieger 2013 mit BMW Orcale Racing, Laser-Olympiasieger, jahrelanger SailGP-Dominator und aktuell Steuermann für den US-Herausforderer NYYC American Magic, sagte: “Team New Zealand hat (Red.: nach den Round Robins) eineinhalb Monate Zeit, bis für sie das Rennen (Red.: das 37. America’s-Cup-Match) beginnt. Sie können immer noch neue Komponenten einbringen. Sie können Änderungen vornehmen, die Zeit brauchen. Sie haben diese Möglichkeit, insbesondere, nachdem sie uns alle segeln gesehen haben. Das ist schön zu haben. Wir haben das nicht. Unsere Zeit ist jetzt.”
Auch Ken Read weist bei seinen Beobachtungen auf die fordernden zeitlichen Abläufe der Herausforderer-Runde hin: “Der Zeitplan ist für die übrigen Teams recht interessant. Die Vorregatta ist gerade zu Ende gegangen. Die Herausforderer haben keine Zeit, sich völlig neu zu konfigurieren. Sie dürfen nicht zu viel herumprobieren, wenn es darum geht, ein gleichmäßiges Tempo vorzulegen. Sie müssen in der Lage sein, sofort loszulegen, denn ab jetzt zählen diese Rennen.” Ab sofort zählt jeder Punkt.
Darüber ist sich auch Luna Rossa Prada Pirellis Steuermann Jimmy Spithill sehr bewusst. Er sagt zur Frage, ob es Sinn mache, den Verteidigern schon jetzt zu Beginn der Herausforderer-Runde alle Karten zu zeigen: “Das ist natürlich definitiv das Risiko für alle Herausforderer hier. Wir racen hier ums Überleben. Team New Zealand tut das nicht. Sie erhalten tatsächlich einen massiven Vorteil durch ihre Teilnahme. Gleichzeitig aber kanst du gegen das Team segeln, das im America’s Cup die Messlatte ist. Es ist also eine beidseitige Angelegenheit.”
Als “schockierend” empfindet Ken Read, “dass einer der Herausforderer schon in ein paar Wochen ausscheidet: “Nach dem Ende der doppelten Round Robin am 8. September wird ein Team nach Hause fahren.” Ken Read spricht seine Leser direkt und emotional an: “Überlegen Sie sich das einmal kurz: Ein Team, das Millionen von Dollar und zahllose Stunden (und Träume) in seinen Kampf um den Pokal investiert hat, wird dann bereits aus dem Rennen geworfen. Mir bricht das Herz, wenn ich nur daran denke.”
In einer ersten Bilanz fand Ken Read in seiner Betrachtung auch einen attraktiven Blickwinkel auf den 37. America’s Cup: “Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jedes Team die Aufgabe hatte, das schnellste Boot für die unterschiedlichsten Bedingungen zu entwerfen, einen vollständigen und organisierten Plan zu erstellen, innerhalb eines engen Zeitplans ständig an Verbesserungen zu arbeiten und das beste Team zu entwickeln. Sowohl auf dem Wasser als auch an Land.”
Ken Reads Appell an die Cup-Teams: “Denkt daran, dass Zuverlässigkeit der Schlüssel ist. Erleidet keinen großen Rückschlag, denn Zeit ist Euer größtes Kapital. Und vergesst nicht - alle großen Segelteams brauchen von Zeit zu Zeit auch ein bisschen Glück. Hmmm, wenn ich so darüber nachdenke - das klingt doch wie die Zutaten für den Erfolg bei einer beliebigen Segelbootregatta, oder nicht?”
Der Louis Vuitton Cup beginnt an diesem 29. August ab 14 Uhr mit den den ersten vier Duellen: Frankreichs “Orient Express” trifft auf Alinghi Red Bull Racings “BoatOne”. Italiens Luna Rossa Prada Pirelli Team misst sich mit der Kiwi-Rakete “Taihoro”. Ineos Britannia tritt gegen NYYC American Magic an, bevor im vierten und letzten Duell der “Orient Express” und “Luna Rossa” noch einmal gefordert sind. Die doppelte Round-Robin-Runde wird bei einer kurzen zweitägigen (5. und 6. September) bis zum 8. September fortgesetzt.
Die vier punktbesten Herausforderer ziehen ins Halbfinale ein. Der beste Herausforderer darf sich – so ist es Tradition – seinen Halbfinalgegner selbst wählen. Wer die Rennen am Bildschirm verfolgen möchte, kommt hier zu den Auswahlmöglichkeiten. Ob Original-Übertragungen in englischer Sprache oder deutschsprachig kommentierte Live-Sendungen – das Angebot ist breit gefächert. Die Sendungen beginnen immer um 14 Uhr.