Tatjana Pokorny
· 22.05.2013
Regattadirektor Iain Murray hat nach dem Unfalltod von Andrew Simpson neue Regel-Empfehlungen veröffentlicht. Sie offenbaren das Cup-Dilemma
Das America's-Cup-Management hat zwei Wochen nach dem Unfalltod von Andrew Simpson infolge eines Crashs von Artemis Racing eine lange Liste von Regel-Empfehlungen veröffentlicht, die nun mit Behörden, dem veranstaltenden Golden Gate Yacht Club und den Herausforderern abgestimmt werden sollen.
Im Kern stehen Forderungen nach einer neutralen Untersuchung aller AC72-Boote und ihrer Flügelsegel, eine deutliche Reduzierung des Windlimits um zehn Knoten (Maximum: 23 Knoten) sowie eine Erweiterung der Sicherheitsbestimmungen für die Ausrüstung an Bord der Katamarane und an Bord der Begleitboote.
Einschneidende Auswirkungen dürfte vor allem die Forderung nach dem eingeschränkten Windlimit haben, sollte sie tatsächlich zur Anwendung kommen. Die niedrigeren Grenzwerte, oberhalb derer keine Wettfahrt gestartet werden darf, würde nur wenige Wochen vor dem Start des Louis Vuitton Cups das Format drastisch ändern, auf das sich die Herausforderer in unterschiedlicher Weise vorbereitet haben.
Es könnte einzelne Teams dafür bestrafen, dass sie bei der Konstruktion ihrer Boote die Möglichkeit von Starkwinden einkalkuliert und entsprechende Kompromisse eingegangen sind – insbesondere die Neuseeländer um Grant Dalton. Diese haben mit Blick auf das Cup-Finale im durchschnittlich flaueren September ohnehin schon geschmerzt. Wird nun aber das Limit auch für die Herausforderer-Serie im Juli und August herabgesetzt, käme das möglicherweise einer Entwertung gut durchdachter Konstruktionen gleich.
"Der Vorschlag deckt das Dilemma auf, in dem die Veranstalter stecken", sagt der zweimalige America's-Cup-Teilnehmer Tim Kröger, "sie müssen nach dem tödlichen Unfall reagieren, ändern dadurch aber auf halbem Weg die Spielregeln. Das ist aus sportlicher Sicht fragwürdig und zeigt leider, wie falsch der Weg insgesamt ist."
Insgesamt 37 Änderungsvorschläge beinhaltet das Vorschlagspapier von Iain Murray. Die Liste der vorgeschriebenen Sicherheitsausrüstungen für die Katamarane, ihre Besatzung und auch die Begleitboote ist lang. Sie reicht von fluoreszierenden Helmen, sich selbst aufblasenden Auftriebsmitteln und Körper-Protektoren über ein elektronisches Zählsystem für die Anzahl der Crew-Mitglieder bis hin zu Sauerstoffflaschen für jeden Segler, die auch ohne eigenhändige Aktivierung Leben retten sollen. Rettungstaucher, Rettungsschwimmer und Ärzte müssen nach den Vorschlägen jederzeit in der Nähe der AC72-Katamarane verfügbar und in Sekundenschnelle einsetzbar sein.
Dass die Vorschläge vom Regattadirektor und nicht von der eingesetzten Arbeitsgruppe veröffentlicht wurden, hat mit der Angst vor einer Klagewelle zu tun. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sollen von möglichen Rechtsansprüchen freigehalten werden.
Der Blick auf die einzelnen Empfehlungen macht deutlich, welche Horror-Szenarien die Experten bei ihrer Formulierung vor Augen hatten. Sie stellen damit den Sinn und die Sicherheit des neuen Cup-Formats auf den extrem schnellen Flügelkats erneut in Frage.
Ein weiterer Hinweis von Iain Murray enthüllt, wie sehr die Teams in ihrem neuen Hochrisikosport entgegen aller Empfehlungen und Regeländerungen doch auf sich gestellt bleiben: "Keine der Empfehlungen kann jemals das Risiko von Verletzungen oder Tod eliminieren. Es ist eine von Natur aus risikoreiche Aktivität, und die Teilnehmer müssen die volle Verantwortung für alle involvierten Risiken annehmen."
Noch ist nicht klar, ob die Teams Artemis Racing und Luna Rossa sich für eine Teilnahme entscheiden werden. Beide Mannschaften haben sich eine weitere Bedenkzeit eingeräumt. Lediglich Team New Zealand erwägt keinen Ausstieg, hadert aber mit den neuen Regeln. Es scheint ausgeschlossen, einen Kompromiss zu finden, der fair ist und den Wünschen und Ansprüchen aller Teilnehmer gerecht wird.