America’s Cup“Luna Rossa”-Gala nach Bruch – das Spithill-Spiel läuft

Tatjana Pokorny

 · 01.10.2024

"All hands on deck": Nach der Bruchlandung sind alle "Luna Rossa"-Segler und Helfer von den Begleitbooten auf dem Silberpfleil gefordert
Foto: Ricardo Pinto/America's Cup
Der fünfte Finaltag der Herausforderer-Runde zum 37. America’s Cup hielt die Teams und ihre Beobachter in Atem. Die Tageszusammenfassung fällt mit 1:1 sehr viel schlichter aus, als es Drama und Kampf auf dem Kurs waren. Beim Zwischenstand von 4:4 stürmt das Duell zwischen Ineos Britannia und dem Luna Rossa Prada Pirelli Team mit Top-Speed von 55,5 Knoten seiner Entscheidung weiterhin ausgeglichen entgegen. Wirklich?

Gerade, wenn man denkt, es könnte ein rein sportlicher, hochspannender Renntag werden, hat der Louis Vuitton Cup wieder neue Wendungen parat. So war es auch in den Rennen 7 und 8 am Dienstag in der America’s-Cup-Stadt Barcelona.

Hochspannung im Kampf ums America’s-Cup-Ticket

Das Luna Rossa Prada Pirelli Team und Ineos Britannia boten den Zuschauern - und sich selbst – mehr Aufregung, als ihnen lieb sein konnte. Dass es am Abend beim Stand von 4:4 immer noch keine Vorentscheidung im Ringen der Cup-Schwergewichte um nur ein Ticket ins 37. Match um den America’s Cup gegeben hatte, ließ die anhaltende Hochspannung nur noch weiter wachsen.

Dritter “Mitspieler” an diesem 1. Oktober war erneut Garbi: Der typische spanische Sommerwind entsteht aufgrund des Temperaturgefälles zwischen Meer und Land. Er treibt trockene und warme Luftmassen aus der Wüste in Spaniens Südosten und kommt aus Südwest. Garbi mischte sich am Dienstag mit Macht ins Geschehen ein, bescherte den Teams nach gerade eben möglichen Starts eng am Cup-Limit von 21 Knoten während der Rennen immer wieder auch Druck von bis zu 23 Knoten.

Die Italiener tauchten im ersten Rennen des Tages tief in die Startbox ein, dicht verfolgt von “Britannia”. Dann aber vollzog “Luna Rossa” ein fein gesetzte und sehr scharfe Wende. Damit überraschten “Luna Rossas” Co-Piloten Jimmy Spithill und Francesco Bruni die Briten und übernahmen die Luv-Position an der Startlinie. Dieser frühe Vorteil ging an “Luna Rossa”, die auch das Bug-an-Bug-Powerplay bis zur linken Kursbegrenzung gewann.

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Plötzlich ging der Silberpfeil in den Sturzflug

Mit einer bewusst eng gesetzten Wende direkt in Lee der “Britannia” zwangen die Azzurri ihre Gegner zum sofortigen Wegwenden. Bald darauf erreichten die Italiener auf dem Cup-Kurs die äußerste rechte Begrenzung. Doch kurz vor dem Wenden gab es an Bord Probleme mit dem linken Foil-Arm, der sich zunächst nicht ins Wasser bewegen ließ. Als das schließlich gelungen war, wendete “Luna Rossa” und sah sich plötzlich wieder mit den Briten konfrontiert.

“Britannia” hatte mit freundlicher Unterstützung eines Winddrehers auf der linken Seite aufgeschlossen und wendete nun auf dem Kurs zur Backbord-Marke des Luvtors auf die italienische Anlegelinie – ein smarter Schachzug im Duell auf Augenhöhe. “Luna Rossa” rundete am Luvtor die Steuerbordmarke und preschte mit mehr als 50 Knoten davon. Die Briten taten im Split das Gleiche auf der anderen Seite.

Zu gerne hätte man erlebt, wie sich dieses Armdrücken auf dem Vorwindgang fortgesetzt hätte. Doch weitere Erkenntnisse waren weder Seglern noch Zuschauern in diesem Rennen vergönnt. Denn plötzlich stürzte der “Silberpfeil” mit dem Bug voran ab und tauchte tief in Barcelonas Fluten ein. Dem nassen Schock folgte der Stillstand des Bootes. Via Anbordkameras war zu sehen, wie Teile der Verkleidung übers Deck flogen. Sie hatten sich durch die schiere Geschwindigkeit beim Sturzflug ins Wasser gelöst und wurden von den Gischtbergen übers Deck gewirbelt.

“Luna Rossa”-Blitzreparatur in 30 Minuten

Die Briten absolvierten danach noch zwei Runden im Solo, bevor die Italiener das Rennen offiziell aufgaben. “Wir haben aufgegeben, nachdem wir die Briten noch ein paar Runden haben drehen lassen”, kommentierte Jimmy Spithill das Szenario am Abend. Am Nachmittag waren nach dem Crash und der Aufgabe alle verfügbaren Helfer an Bord von “Luna Rossa” geströmt, fielen wie ein emsiger Bienenschwarm über Italiens Cup-Stolz her.

Die Techniker und das Support-Team machten sich an die Arbeit, kamen mit Kohlefaserrollen an Bord, um die notwendigen und in der kurzen Zeit bis zum nächsten angesetzten Start möglichen Reparaturen durchzuführen. Nach einer halben Stunde intensiver Arbeit war die italienische „Silberkugel“ nicht nur wieder einsatz-, sondern auch rennbereit. Die Crew war entschlossen, im zweiten Rennen des Tages das Blatt wieder zu Gunsten von Luna Rossa Prada Pirelli zu wenden.

Dass dieses Vorhaben gelang, machten die Briten selbst mit einem ärgerlichen Fehler in der Vorstartphase möglich. Sie kamen der Kursbegrenzung zu nah, wendeten zu spät, gerieten in den erneut druckvollen Winden ins Schlittern und rutschten über die imaginäre Linie. Dafür kassierten sie einen schmerzhaften Penalty, von dem sie sich trotz großem Kampf nicht mehr erholten.

Es war ein bisschen ein unnötiger Fehler.” Luke Parkinson

Die zwölf Sekunden Rückstand am ersten Tor drückten sie zwar bis zur Rennhalbzeit auf sieben Sekunden runter. Doch am Ende fehlten 16 Sekunden, als Italiens Radfahrer schon ihre geballten Fäuste in den blauen Himmel über Barcelona reckten. “Britannias” Flight Controller Luke Parkinson sagte am Abend in Barcelona: “Wir hatten ordentlich Wind. Es gab natürlich wieder einen sportlichen Vorstart zwischen Jimmy und Ben. Alles hat sich sehr schnell auf die Kursbegrenzung zubewegt. Wir haben einfach die Distanz ein wenig verloren.”

Das schnellste Segelrennen jemals?

Weiter sagte Luke Parkinson: “Es ist wirklich frustrierend, so einen Fehler im Start zu haben. Aber diese Dinge passieren. Wir haben aber danach ziemlich gut gekämpft.” Das Vorbeikommen aber gelang nicht. “Wir wissen, dass unser Boot wirklich schnell ist. Die Boote sind recht ebenbürtig. Es geht also mehr um die Winddreher, die kleinen Vorteile auf dem Kurs. Wir haben das Boot heute sehr gut gesegelt im zweiten Rennen, aber die Italiener haben auch einen guten Job gemacht, uns die ganze Zeit blockiert”, sagte Luke Parkinson.

Es müsste eines der schnellsten Segelrennen jemals gewesen sein.” Luke Parkinson

Zu den strammen Windbedingungen sagte Luke Parkinson: “Das waren ziemlich starke Winde heute. Vielleicht die stärksten, in denen wir je gesegelt sind.” Zum Schaden bei “Luna Rossa” sagte Parkinson: “Wir segeln diese Boote am Limit. Da kann man sehr leicht einmal ein Problem bekommen. Heute ist es ihnen passiert. Hoffentlich passiert es uns nicht. Es ist Teil des Sports, wenn du Design-Grenzen verschiebst.”

Team-CEO, Skipper und Steuermann Ben Ainslie fasste den fünften Renntag so zusammen: “Wir erleben hier sehr enge Rennen. Beide Rennen heute hatten ihre Herausforderungen. ‘Luna Rossa’ hatte eine große Herausforderung im ersten Rennen, hat dann tolle Arbeit geleistet, sich wieder neu aufzustellen. Im zweiten Rennen hatten wir selbst ein paar Probleme, sind mit einem kleinen Rückstand ins Rennen gestartet. Wir haben einen guten Kampf geliefert, aber sie waren fantastisch, ihren Vorsprung zu verteidigen.”

Morgen ist ein großer Tag.” Ben Ainslie

Zum vermeidbaren Vorstartfehlern im zweiten Rennen erklärte Ben Ainslie: “Wir hatten einen Plan, wo wir sein wollten. Aus verschiedenen Gründen ist das nicht gelungen. Wir hatten ein Problem mit der Kontrolle des Bootes. Das hat uns in eine ziemlich gruselige Position gebracht. Deswegen ist aber niemand in Panik. Wir formieren uns neu und werden weiter hart pushen. Je länger dieses Duell andauert, je wichtiger werden die Punkte.”

Wer zieht ins America’s-Cup-Match ein?

Dem Argument, dass einige der britischen Siege italienische “Geschenke” in Folge von technischen Problemen gewesen seien, mochte Ben Ainslie nicht ganz zustimmen. “Dieses Spiel wird von Zuverlässkeit und Leistung bestimmt. Wir hatten unsere eigenen Themen. Wir haben ein Rennen verloren, weil das Zeitlimit griff. Da lagen wir weit vorne. So ist es im Sport. Ich glaube, dass beide Teams ziemlich gleich stark sind.”

Ben Ainslie will das enge Duell um den Louis Vuitton Cup und die Eintrittskarte ins 37. Match um den America’s Cup auch als Motivation sehen: “Ich liebe einen guten Kampf. Wenn Du im Sport bist und das höchste Niveau erreichen willst, musst du bereit sein für einen guten Kampf.”

Den wünschte sich am Abend auch “Luna Rossa”-Steuermann Jimmy Spithill: “Zwei saubere Rennen morgen, das wäre schön. Worüber ich glücklich bin: Jedes Mal, wenn wir ein Thema hatten, sind wir stärker und stärker und stärker geworden. Am oberen Ende hat man immer mit Widerständen zu kämpfen. Wir wissen: Das können wir.” Mit dem Momentum des Sieges nach der Bruchlandung auf seiner Seite, legte Spithill in den Interviews nach dem Rennen einen bewusst selbstbewussten Auftritt hin.

Die Reparatur im Nascar-Stil gelöst

Zur Bruchsituation sagte der 45-Jährige bei seiner achten America’s-Cup-Kampagne: “Wir haben es heute im Nascar-Stil gelöst. Du musst machen, was du kannst. Eine Abdeckung in solchen Bedingungen zu verlieren, ist schon eine bedeutende Sache.” Auf weiteren Bruch an Bord, etwa möglicherweise am Bug abgerissene Windinstrumente, wollte der zum dritten Mal für das italienische Team steuernde Spithill auch auf mehrere Nachfragen nicht mehr eingehen.

Zu der Bemerkung “Vielleicht handelt es sich um ein OneDesign-Problem” ließ sich der mit allen Wassern gewaschene Cup-Star noch locken. Und zu einem Kommentar zum Hergang: “Aus irgendeinem Grund haben wir den Lift verloren. Wir wissen nur nicht warum. Es ist zu früh, das genauer zu sagen. Es hat uns zu dem Zeitpunkt sicher die Führung gekostet.”

Jimmy Spithill genoss es nach diesem Renntag sichtlich, die Stärken seines Teams ins Rampenlicht zu rücken: “Ich glaube, dass das Momentum nach unserem Sieg im zweiten Rennen auf unserer Seite ist. Die Antwort darauf, was in Rennen eins heute passiert ist? Ich habe das Gefühl, dass es unsere beste Antwort bislang war. Wir werden das Momentum morgen mitnehmen.” Dazu verwies der Mann, der 1999 bei seinem ersten America’s Cup mit erst 20 Jahren der jüngste Skipper in der Cup-Geschichte war, auf die starke italienische Fanunterstützung in Barcelona.

Louis-Vuitton-Cup-Finale: Rennen 9 und 10 am Mittwoch

Das tat Spithill nicht ohne Seitenhieb auf die britischen Rivalen. Der Australier ist bekannt dafür, bei großen Wettbewerben hin und wieder auch sehr bewusst ins verbale Waffenarsenal zu greifen und sagte: “Wir haben ganz klar die größte Fangemeinschaft hier. Da ist niemand auch nur in der Nähe. Ich glaube nicht, dass ich schon mal eine britische Flagge gesehen habe, seit ich hier bin. Das ist die eine Sache. Und, Mann, wir kaumen täglich kaum in unser Teamcamp rein, weil da so viele Unterstützer sind.”

Louis Vuitton Cup, Finale, die Live-Übertragung der Rennen 7 und 8 am 1. Oktober:

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