Tatjana Pokorny
· 02.10.2024
Hat sich Ineos Britannia an einem der bislang schwersten Segeltage im Louis Vuitton Cup die entscheidenden Vorteile im Kampf um den Louis Vuitton Cup erarbeitet? Nur einen Tag nach dem ärgerlichen Vorstartpatzer in Rennen 8, wirkten Ben Ainslie, sein Co-Pilot Dylan Fletcher und ihre Crew am Mittwoch vor Barcelona wie ausgewechselt. Auf dem Programm standen im Finale der Herausforderer-Runde vor Barcelona die Rennen 9 und 10.
Bei ausgeglichenem Stand von 4:4 zwischen Ineos Britannia und Luna Rossa Prada Pirelli wurde der sechste Renntag im Finale um den Louis Vuitton Cup eingeläutet. Noch am Vorabend hatte sich der viermalige Olympiasieger Ben Ainslie harte Nachfragen zum Penalty gefallen lassen müssen. Da war „Britannia“ in Rennen 8 der Kursbegrenzung in der Vorstartphase zu nahegekommen, war dann in den starken Winden ins Schlittern gekommen und hatte die imaginäre Linie überfahren. Die Bestrafung hatte die Briten auf dem falschen Fuß ins Rennen starten, verlieren und nicht gut aussehen lassen.
Ob sein Team nur mit Geschenken der Italiener würde gewinnen können? Solche und ähnlich provokante Fragen hatte Ainslie danach parieren müssen. Er tat es ruhig und höflich. Doch wer ihn etwas besser kennt, der weiß, dass Druck dieser Art Ben Ainslie in der Vergangenheit in aller Regel nur stärker gemacht hat. Es gibt sogar Ainslie-Kenner, die sagen, dass der 47-Jährige Hochdruck der besonderen Art braucht, um seine beste Form abrufen zu können.
Ainslie konterte das Ungemach vom Dienstag am Mittwoch entschlossen und überzeugend. In zwei Rennen siegten die Briten zweimal. Den trockenen Kommentar dazu gab Ineos Britannias CEO, Skipper und Steuermann Ainslie direkt nach dem Doppelsieg auf dem Wasser: „Das war auch ein bisschen eine Antwort für die italienischen Medien, die fragten, ob wir Rennen auch alleine gewinnen können. Ich glaube, das haben wir heute ganz gut zeigen können.“
Daran gibt es keinen Zweifel. Den Sieg in Finalrennen 9 sicherten sich die Briten am frühen Mittwochnachmittag vor Barcelona mit bissig-guter Vorarbeit in der Vorstartphase. Da zwangen sie „Luna Rossa“ im Last-Minute-Split-Start auf die rechte Seite, während sie selbst der linken Kursbegrenzung entgegenstrebten. Das Duell blieb bis zur Beinahe-Simultan-Rundung am ersten Tor sehr spannend. Danach zollten die weiter attackierenden Italiener ihrem im Vergleich zu den Briten kleiner gewählten Vorsegel Tribut.
„Es sieht aus, als würden wir es hier mit einem kleinen Unterschied der Segel zu tun haben. Das ist der Grund, warum sich die Jungs etwas schwertun. Wir haben etwas mehr Wind erwartet, aber wir sind noch im Spiel. Die Jungs fighten hart. Da kann immer noch alles passieren”, hatte “Luna Rossa”-Coach Philippe Presti schon während des Rennens ehrlich eingeräumt. Nur ist “nichts” mehr passiert.
“Luna Rossa” kam an die konsequenten Briten nicht vorbei. Im Ziel fehlten den Azzurri 23 Sekunden. “Es war ein wirklich schönes Rennen”, sagte Francesco Bruni mit der ihm eigenen Leidenschaft. Doch räumte Jimmy Spithills italienischer Co-Pilot auch gleich ein: “Wir hatten ein bisschen Probleme mit dem Vorsegel.” Dazu sei es an diesem Tag in der aufgewühlten See, so Bruni, maximal schwer gewesen, die Ruderkontrolle zu wahren. Das nicht ideale Segel-Setup habe diese Problematik noch verschärft.
Wir waren ständig am Kontrolllimit, mussten ständig um die richtige Balance kämpfen.” Dylan Fletcher
Auch Rennsieger Dylan Fletcher beschrieb die Bedingungen auf Barcelonas America’s-Cup-Bühne als äußerst fordernd. “Es waren die Winde aus Ost-Südost, die zu diesem harschen Seegang geführt haben. Die verursachen eine wesentlich kürzere und schärfere Welle als der Garbi. Wir konnten das Boot also nicht so segeln wie wir es gestern noch getan haben.”
Auch sein Boss Ben Ainslie beschrieb die Mittwochsduelle als “albtraumartig schwierige Aufgabe, nicht von den Foils zu fallen”. Während die Winde bei 16, 17 Knoten im Vergleich zum 20- bis 23-Knoten-Powerplay am Vortag zwar etwa leichter waren, machte der ruppige Seegang den Foilern ihre Arbeit extrem schwer. Man sah sie wie Lenkdrachen immer wieder leicht vom Kurs wegzucken – und die Crews sie wieder auf die Ideallinie zurückbringen.
Beim Stand von 5:4 für Ineos Britannia begann mit Rennen 10 im Finale der Herausforderer-Runde zum 37. America’s Cup das zweite Duell am 2. Oktober. Da sicherte sich die “Britannia” schon am Start einen wertvollen Vorteil. Francesco Bruni würde später sagen: “Da hatten wir keinen tollen Start. Da haben wir einfach ein paar Meter und etwas Speed von der Linie weg verschenkt. Sie hatten den Bug leicht vorne. Ich glaube, sie haben danach keinen einzigen Fehler mehr gemacht.”
Das Rennen selbst verlief umkämpft. Peter Lester, America’s-Cup-Veteran und TV-Legende aus Neuseeland, beobachtete von Rennen 9 zu Rennen 10 einen Stil-Wechsel bei den Italienern, die “Britannia” immer wieder attackierten. Die Abstände zwischen “Britannia” und der jagenden “Luna Rossa” schmolzen mitunter auf 20, 30 Meter zusammen, doch der so elegant wirkende Silberpfeil kam nicht am britischen Boliden vorbei. Und “Britannias” Co-Piloten Ben Ainslie und Dylan Fletcher ließen sich von den Dauer-Attacken von Jimmy Spithill und Checco Bruni weder aus dem Konzept bringen noch zu Fehlern provozieren.
Die unglückliche Bilanz aus Sicht von Luna Rossa Prada Pirelli zog am Abend im America’s-Cup-Hafen von Port Vell Francesco Bruni: “Wir haben heute in zwei Rennen zwei unterschiedliche Fehler gemacht und zwei Punkte verloren. So einfach ist das.” Was es für den Rennstall von Patrizio Bertelli im siebten America’s-Cup-Anlauf zur Wende braucht? Bruni sagte: ”Ich weiß, dass wir es besser können. Das müssen wir am Freitag abliefern.”
Am 4. Oktober wird Ineos Britannia um 14.10 Uhr mit drei Matchpunkten in den vielleicht letzten Renntag im Louis-Vuitton-Cup-Finale starten. Den nach Plan als Ruhetag vorgesehenen 3. Oktober, so Bruni, werde sein Team wie schon in der Vergangenheit zu 30 Prozent der Erholung widmen. Der Rest des Tages werde “der intensiven Analyse” und “vielleicht sogar Segeln” gewidmet. “Das entscheiden wir als Team”, so der 51-jährige Co-Steuermann aus Palermo, dessen Rennstall mit dem Rücken zur Wand steht.
Anders zogen naturgemäß die Briten am Abend nach zwei Siegen und vor drei Matchpunkten Bilanz: “Es ist ein fatastischer Tag fürs Team. Endlich ist der Gleichstand gebrochen. Auf diesen Tag haben wir lange gewartet”, sagte Radfahrer Neil Hunter, der für Ineos Britannias Power-Gruppe in die Pedalen tritt.
Für ihn und seine Teamkameraden kommt die vor Serienbeginn festgelegte Pause von 24 Stunden gerade recht: “Die letzten Tage waren unerbittlich. Die Arbeit hat nicht mehr aufgehört. Das gilt nicht nur für die Rennen. Wir haben aus dem Boot alles herausgeholt, was nur irgendwie möglich war. Es war eine große Woche fürs Team.”
Die Frage, die am Abend beide Teams und ihre Fanlager beschäftigte: Wird das Licht des “Roten Mondes” in diesem Cup-Zyklus am Freitag verlöschen, oder können die Azzurri sogar mit zwei Siegen zurückschlagen und sich selbst noch einen Matchpunkt bescheren?
Auf der America’s-Cup-Bühne werden am 4. Oktober womöglich wieder leichtere Winde wehen. “Wir erwarten Winde aus einer ähnlichen südöstlichen Richtung wie heute. Vielleicht etwas südlicher und leichter. Es könnten so ähnliche Bedingungen werden wie in dem Rennen, in dem wir in Führung lagen, als es abgebrochen werden musste”, sagte Dylan Fletcher.