Tatjana Pokorny
· 17.06.2017
Die Kiwis zeigen großes Segelsportkino vor Bermuda, deklassierten die Titelverteidiger erneut. Für die beginnen nun "die wichtigsten fünf Tage der Kampagne"
Die Titelverteidiger wollten nach dem 0:2 zum Auftakt am Sonntag unbedingt ihren ersten Punkt einfahren, doch sie hatten keine Chance. Das Emirates Team New Zealand hatte das Oracle Team USA auch am zweiten Tag des 35. Duells um den America's Cup fest im Griff. Mit dem schnelleren Boot und besseren Manövern als noch am Vortag zeigten die Kiwis erneut großes Sportkino auf der wunderschönen Segelbühne vor Bermuda – die als Segelrevier keine Wünsche übrig lässt. Die entscheidende Erkenntnis nach bislang vier Begegnungen: In den aktuell vorherrschenden anspruchsvollen drehenden und böigen östlichen Winden um neun bis zwölf Knoten kann die amerikanische "17" nicht mit der neuseeländischen "Aotearoa" mithalten.
Nach den Rennen 3 und 4 standen die beiden Steuerleute der Cup-Teams bei der Pressekonferenz auf Bermuda Rede und Antwort. Spithill räumte den Neuseeländern aktuelle Vorteile ein, während Burling trotz vier Siegen in Folge besonnen blieb
"Das wirkt hier alles wie 1995 und nicht wie 2013", sagte ein amerikanischer Journalist nach den erneuten deutlichen Niederlagen des Oracle Team USA im Tonfall einer Beerdigungsrede. 1995 hatten die Kiwis Amerika erstmals den America's Cup entrissen. Und wie! Die deutlich schnellere neuseeländische "Black Magic" hatte damals Dennis Conners' "Young America" mit 5:0 vom Kurs gefegt und war als dritte Nation in die Geschichtsbücher gesegelt, die Hand an die verschnörkelte Silberkanne legen durfte. 2013 dagegen hatten die Kiwis mit Steuermann Dean Barker im Duell mit dem Oracle Team USA 8:1 geführt, die dramatische Schlacht nach dem Jahrhundert-Comeback der Amerikaner aber noch mit 8:9 verloren. Weil das Reglement im laufenden 35. America's Cup jedoch restriktiver ist als noch vor vier Jahren, glauben heute weniger Experten daran, dass die Amerikaner das Blatt noch einmal so wenden können wie 2013 vor San Francisco.
Ein Blick in die Statistiken der ersten vier Begegnungen im 35. Match um den America's Cup unterstreicht die Dominanz der Neuseeländer: Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Kiwis betrug in Rennen 1 22,61, die der Amerikaner 21,38 Knoten. Im zweiten Rennen waren es bei Neuseeland 23,21 Knoten im Vergleich zu 21,23 Knoten bei den Amerikanern. In Rennen drei erreichten die Kiwis einen Schnitt von 28,63, die USA einen Schnitt von 27,58 Knoten. Im bislang letzten Duell gewannen die Neuseeländer mit 27,28 Knoten gegen die Amerikaner mit 26,71 Knoten. Die Speed-Dominanz der Kiwis ist deutlich.
Spithill kommentierte auf der Pressekonferenz: "Es ist einfach offensichtlich, dass diese Jungs (blickt zu Peter Burling) schneller sind als wir. Wir müssen jetzt in der anstehenden fünftägigen Pause alles auf den Tisch packen und überprüfen. Nichts wird unseren Augen entgehen. Alles steht zur Disposition." Auf die Frage, ob sich sein Team dabei auch etwas von den Kiwis abschauen könne, sagte Spithill: "Manchmal lernt man am meisten, wenn man mal über den Zaun hinüber schaut. Wir haben aber glücklicherweise auch eine enorme Tiefe im Team. Wir haben schon einmal gezeigt, dass wir zurückkommen können. Vor uns liegen die fünf wichtigsten Tage dieser Kampagne!" So lange haben beide Teams Pause. Erst am 24. Juni (Samstag) wird das Duell beim Stand von 3:0 für das Emirates Team New Zealand mit den Rennen 5 und 6 fortgesetzt.
Sollten die Kiwis das Cup-Duell weiter dominieren, könnte das Match bereits am 25. Juni zu Ende gehen. Sieben Pluspunkte sind für den Triumph erforderlich. Da die Neuseeländer mit einem Minuspunkt in die Serie gestartet waren, müssen sie sogar acht Rennen gewinnen, um die Silberkanne wieder nach Auckland in den eigens für sie gebauten Sicherheitsraum in der Royal New Zealand Yacht Squadron zu bringen. In Neuseeland fiebern Hunderttausende mit ihren Seglern, stehen an Renntagen morgens um 5 Uhr auf, um die Live-Übertragungen zu sehen. "Das spornt uns unglaublich an", sagte Peter Burling.
Die Frage von YACHT online, wie Team-Gründer Larry Ellison mit den vier Niederlagen in Folge umgeht, antwortete Spithill am Sonntagabend ausweichend, aber zuversichtlich: "Ich habe nach dem Rennen noch nicht mit ihm gesprochen, denn wir sind ja gleich hierher (zur Pressekonferenz) gekommen, um Zeit mit euch zu verbringen. Ich glaube, dass Larry ein wichtiger Grund für das letzte Comeback war. Er hat nie den Glauben an uns verloren. Er glaubte daran, dass wir zurückkommen und es schaffen können. Ich habe keinen Zweifel, dass er auch jetzt gerade so denkt."
Neuseelands 26-jähriger Steuermann Peter Burling blieb bei seiner Cup-Premiere weiter zurückhaltend: "Wir haben vier Punkte gewonnen – vier fehlen uns noch. Wir haben nach den ersten beiden Rennen ein bisschen aufgeräumt und heute viel besser gesegelt als gestern. Aber wir sind immer noch weit davon entfernt, perfekt zu segeln. Stillstand können wir uns nicht leisten, denn dann würden diese Jungs (blickt zu Jimmy Spithill) uns kriegen." Humor bewies 49er-Olympiasieger Burling auch. Als er gefragt wurde, ob der neuseeländische Katamaran Geheimnisse berge, machte er seinem Spitznamen "Pistolen-Pete" alle Ehre und schoss lächelnd zurück: "Dann würden wir sie wohl kaum hier teilen..."