Tatjana Pokorny
· 10.06.2017
Sie sind als Favoriten in das Finale der Herausfordererrunde gestartet und halten bislang, was sie versprochen haben: Team New Zealand führt 4:2 gegen Artemis
Ein Foil-Poker, packende Duellszenen und zwei oftmals ebenbürtige Teams: Der zweite Renntag im Finale der Challenger Playoffs war einer nach dem Geschmack von Seglern und Fans. Am Ende mit Vorteilen für die Kiwis, die am Sonntag nach dem Auftaktsieg von Artemis zwei Begegnungen für sich entscheiden konnten und vor der Entscheidung am Montagabend mit 4:2 führen. Damit haben sich die zweimaligen Cup-Sieger aus Neuseeland im Kampf um den Einzug in das 35. Duell um den America's Cup zwei Matchpunkte erarbeitet. Erschwerend kommt aus Sicht der bravourös kämpfenden Schweden dazu, dass die Wetterprognose abnehmende Winde vorhersagt. Und die gelten eher als die Schokoladenseite der Neuseeländer mit ihrem Steuermann Peter Burling.
Der Druck wächst. Vor allem für die Schweden. Gegner Neuseeland hat am Montag zwei Matchpunkte. Artemis-Steuermann Nathan Outteridge sagt, worauf es am Finaltag der Herausfordererrunde für sein Team ankommt, wenn es das Blatt noch wenden will
Warum das so ist, konnte man am Sonntag gut beobachten: Artemis Racing war beim Stand von 1:2 überzeugend in den zweiten Renntag gestartet. Mit den kürzeren Starkwind-Foils unter dem Boot und extrem viel höherer Geschwindigkeit liefen die Schweden den Neuseeländern nach dem Start von Rennen 4 in Luv oben drüber und übernahmen die Führung an der ersten Wendemarke souverän. In böigen Winden bis zu 15 Knoten dominierten die Schweden das Rennen, während die Kiwis weniger frisch als gewohnt und sogar fehleranfällig wirkten. Als Artemis dann auf dem fünften Kursabschnitt wieder einmal ein dicker Patzer unterlief und das Boot fast außer Kontrolle geriet, rückten die Kiwis ihnen zwar sehr nah und protestierten auch, bekamen aber nicht mehr als grünes Licht für "Kein Penalty" zu sehen. Dennoch entwickelte sich für kurze Zeit ein hochspannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch auch einen weiteren Protest der Neuseeländer wiesen die Schiedsrichter auf dem Wasser ab. Die Kiwis kamen den Schweden immer wieder nah, aber vorbei kamen sie nicht. Und schließlich preschten die Schweden als Erste über die Linie. Outteridge antwortete kurz nach dem Rennen auf die Frage nach dem Grund für das missratene Manöver lachend: "Da habe ich es doch wieder für alle interessant gemacht..."
Im zweiten Rennen des Tages und der insgesamt fünften Finalbegegnung traten beide Teams mit jeweils einem frischen Grinder beziehungsweise Radfahrer an. An Bord der Kiwis ersetzte ein neuer Radprofi den vorherigen Radprofi. Schon vor dem Start hatte sich mit Blick auf die abnehmenden Winde die Frage gestellt, ob nun die Kiwis mit ihrem Leichtwind-Setup zum Zuge kommen würden. Sie kamen! Erneut waren es zwar zunächst die Schweden, die besser durchstarteten und Marke 1 mit drei Sekunden Vorsprung passierten. Bis dahin glich der Rennverlauf dem ersten Duell. An Marke 3 schoben sich die Kiwis aber schon vor die Schweden. Steuermann Peter Burling spielte seine Kreuzkurs-Vorteile wie einen ganzen Satz Asse im Ärmel aus. Ganz offensichtlich funktionierten die längeren Foils der Kiwis bei diesen Bedingungen besser. In Winden um 10 Knoten konnte das Emirates Team New Zealand seinen Vorsprung allein zwischen Marke 4 (0:18 Sekunden) und Marke 5 (0:39 Sekunden) mehr als verdoppeln, hatte phasenweise mehr als 600 Meter Vorsprung. Die Schweden beendeten dieses Rennen nicht einmal, hatten technische Probleme und wollten jede Minute bis zum Start von Rennen 6 zur Überarbeitung nutzen.
Zum sechsten und letzten Rennen am Sonntag wurden in beiden Teams erneut ein Grinder und ein Radfahrer ausgetauscht. Artemis Racing fand sich kurz nach dem Start in der Leeposition wieder, konnte die Neuseeländer hochluven und tat das in feiner Matchrace-Art auch. In einem weiten Bogen ging es mit den innen kontrollierenden Schweden um Marke eins. Zu diesem Zeitpunkt konnten Burling und seine Männer nur reagieren. Durch Separation und bessere Manöver aber waren sie schnell wieder im Spiel. Nachdem den Schweden ein kleiner "Bremser" unterlaufen war, hatten sie an Marke drei nur noch drei Sekunden Vorsprung. Schon auf dem vierten Abschnitt waren die beiden Katamarane gleichauf. Zu diesem Zeitpunkt wurde für beide Mannschaften eine "Flugzeit" von 100 Prozent angezeigt. Keine aber brachte die ins Ziel. In der Folge zeigten die Neuseeländer wieder, was sie als Favoriten in dieses Finale geführt hatte: bessere Wenden, blitzsaubere Manöver und höhere Geschwindigkeiten.
Doch plötzlich, das Ziel an der letzten Wendemarke schon vor Augen, unterlief Peter Burling ein ganz seltener Fehler. Die "Aotearoa" fiel von den Foils, lag wie ein schweres Floß im Wasser. Von hinten kamen die Schweden mit hohem Tempo unerbittlich näher. Es dauerte lange, bis die Kiwis ihren Katamaran wieder in Bewegung und auf die Foils bringen und in Richtung Ziellinie treiben konnten. Fast gleichauf rasten das blaue schwedische und das rot-schwarze neuseeländische Geschoss der Linie entgegen. Was für ein Herzschlagfinale für die Zuschauer auf den Tribünen und an den Fernsehbildschirmen in aller Welt. Der Schlussspurt geriet völlig unerwartet zum Thriller, den das Emirates Team New Zealand mit nur einer Sekunde Vorsprung im Ziel glücklich gewann. Der Zieldurchgang erinnerte an das packende Schlussduell im 32. Match um den America's Cup 2007, als Alinghi die Neuseeländer mit einer Sekunde Vorsprung besiegte. Damals verwandelte der Cartoonist Mark O'Brian das klassische Cup-Motto "There is no second" in die heitere Schlagzeile "There is one second", die auch am Sonntagabend passte.
Burling räumte später ein: "Ganz klar war das mein Versagen. Wir haben einfach die Anlegelinie verpasst. Unser Plan war es, durch das Gate zu segeln und dann nach vielleicht weiteren 10, 20 Sekunden zurück zur Ziellinie zu halsen. Wir waren aber nicht wirklich bereit für die Halse und hatten durch die Halse nicht beschleunigen können. So einfach ist das: Du machst einen kleinen Fehler, und eine deutliche Führung verwandelt sich in nichts. Wir sind einfach glücklich darüber, dass die Jungs sich dann da so reingekniet, das Board runterbekommen und es wieder aufs Foil geschafft haben und wir schließlich beschleunigen konnten."
Auf die Frage, warum in diesem Finale bislang kaum agressive Angriffe im klassischen Matchrace-Stil in der Vorstartphase zu sehen waren, die es in der Vorrunde und in den Halbfinal-Begegnungen durchaus gegeben hatte, sagte Nathan Outteridge: "Es wirkte so, als hätte Team New Zealand heute in den Vorstarts versucht, uns so weit wie möglich zu meiden. Sie sind wirklich weite Distanzen weg von der Startlinie gesegelt, um dann umzudrehen und der Startlinie mit hoher Geschwindigkeit entgegenzusegeln. Dadurch hat es kaum Interaktion gegeben." Outteridges Beschreibung entlockte dem bei der Pressekonferenz neben ihm sitzenden Peter Burling ein seltenes breites Grinsen – der 26-Jährige amüsierte sich sichtlich. Outterdige fuhr fort zu erklären: "Wir sind ganz zufrieden mit unseren Start-Qualitäten und ziemlich aggresiv. Wir haben die Sicherheit, es mit ihnen aufnehmen zu können. Ich bin sicher, dass Peter dazu auch etwas zu sagen hat..."
Burling nahm den ihm von Outteridge zugespielten Ball – immer noch grinsend – entgegen, setzte dann wieder seine ernste Miene auf und sagte: "Aus unserer Sicht ging es heute nicht so sehr um die Starts, um es einmal offen zu formulieren. Unser Hauptziel war es, die erste Marke in guter Position zu erreichen und das Rennen von dort aufzurollen. Es war klar, dass Artemis' Konfiguration für diese ersten kurzen Reach-Sprints wirklich schnell war. Ich denke, wir haben uns sowohl im ersten als auch im dritten Start selbst sehr gute Möglichkeiten geschaffen, vor allem am Wind, wo wir schnell waren. Und ich war wirklich zufrieden mit der Art und Weise, wie uns das gelungen ist." Die wichtigste Aussage tätigte Burling gegen Ende der Pressekonferenz: "Wir sind nicht so sehr beunruhigt, wenn wir hinten liegen. Wir haben großes Vertrauen darin, dass wir sie immer noch überholen können. Aber definitiv bevorzugen wir es, vorn zu liegen." Die dringendste Aufgabe für die am Montag gegen zwei Matchpunkte der Neuseeländer ansegelnden Schweden beschrieb Nathan Outteridge: "Wir müssen sie so stark kontrollieren, wie wir nur können." Gelehrt haben die Finalrennen 4, 5 und 6 der Challenger Playoffs: Sind die Neuseeländer erst einmal enteilt, können sie sich in der Regel nur noch selbst schlagen. An diesem Sonntag wäre das beinahe passiert.