America’s CupInterview mit Stéphan Kandler – ”Wir werden Chancen haben”

Tatjana Pokorny

 · 22.09.2023

Frankreichs Orient Express Racing Team verfolgt im 37. America's Cup langfristige Ziele
Foto: Alex Carati/37. America's Cup
Der französische Herausforderer zum 37. America’s Cup gilt als David im Kampf gegen fünf Goliaths. Mit halbem Budget, aber viel Entschlossenheit und Passion führen der Deutsch-Franzose Stéphan Kandler und Bruno Dubois das Orient Express Racing Team bei Frankreichs Cup-Comeback ins Powerplay auf der Cup-Bühne von Barcelona

Die erste Vorregatta zum 37. America’s Cup hat zwar am vergangenen Wochenende das US-Team American Magic vor den ebenfalls stark auftretenden neuseeländischen Verteidigern gewonnen. Doch Sieger vieler Herzen waren vor Vilanova i la Geltrú am vergangenen Wochenende die Franzosen. Die Außenseiter dieser Cup-Edition gingen nach nur 15 Tagen Training auf den neuen AC40-Foilern beherzt ans Werk. Les Bleus überzeugten beim sehenswerten Vorspiel mit schneller Auffassungsgabe und guten Ergebnissen.

Mit Passion und Entschlossenheit im Kampf um den America’s Cup

Zwar hat die erste von drei Vorregatten keine Auswirkungen auf den Kampf um den Cup-Gipfel im kommenden Jahr. Dennoch zeigte das Vorspiel, wer seine sportlichen Hausaufgaben jetzt schon gut gemacht hat und welche Teams beim Powerplay in der Einheitsklasse der Miniatur-Cupper schnell auf Ballhöhe kamen. Die Franzosen hatten die mit großem Abstand kürzeste Vorbereitungszeit, glänzten aber mit einem Sieg im ersten Rennen und Platz drei in der Endabrechnung.

YACHT online war an Tag eins der Vorregatta, die rund 45 Kilometer entfernt von Barcelona auf dem Balearen-Meer vor begeistertem Publikum ausgetragen wurde, mit Orient-Express-Teamchef Stéphan Kandler auf dem Wasser unterwegs. Im Interview an Bord – und noch einmal nach der Vorregatta – sprach der deutsch-französische Sohn von Ortwin Kandler, der einst das ehrgeizige Segelförderprojekt AeroSail hierzulande mitbegründete und deutscher Airbus-Manager war, über seine Passion für den America’s Cup, die französische Mission und die Chancen, die das Orient Express Racing Team als David im Kampf mit den fünf Cup-Goliaths haben wird.

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Stéphan, ihr hab die erste Vorregatta zum America’s Cup mit einem Sieg im ersten Rennen und Platz drei insgesamt stark eröffnet. Wie wichtig war die Regatta für euch, die auf die Herausfordererrunde im kommenden Jahr keinen Einfluss hat?

Obwohl die Regatta hier nicht zählt, ist es wichtig für uns, solche Rennen zu bestreiten. Es ist wichtig für uns zu sehen, was die anderen Teams machen. Was sie im Training gemacht haben. Davon können wir lernen. Wir sind später eingestiegen als die anderen, haben viel aufzuholen.

Wann habt ihr angefangen?

Nach dem America’s Cup habe ich mir gesagt: Wenn ich die bestehenden Projekte sehe –  und wie die gemanagt werden –, dann sollte man das auch in Frankreich können. Darüber habe ich mit Bruno Dubois gesprochen. Er hat gleich gesagt, ich will auch America’s Cup machen. Will man heute ein America’s-Cup-Team managen, ist es gut, zu zweit zu sein. Also haben wir gesagt: Er macht den Sport und die Technik, ich kümmere mich mehr um die Sponsoren und die anderen Sachen.

Der America’s Cup ist mein Kindheitstraum” (Stéphan Kandler)

Was braucht es zusätzlich zu Mut und Leidenschaft, um so ein großes Projekt wie eine Herausforderung zum America’s Cup zu führen, in dem große Teams mit Budgets jenseits der 100 Millionen Euro operieren?

Es ist vielleicht nicht Mut, aber sicher braucht man im America’s Cup sehr viel Entschlossenheit. Ich habe es in meinem ganzen Leben so erlebt: Wenn man etwas will, muss man auch Wege gehen, die nicht immer geradeaus führen. Man muss bereit sein dafür, dass es schwierig ist. Dazu kommt die Leidenschaft, die einen jeden Tag treibt.

Du bist in einer sehr segelaffinen Familie aufgewachsen. Dein Vater war der frühere Aero-Sail-Mitgründer und deutsche Airbus-Manager Ortwin Kandler …

Ja, die Leidenschaft habe ich als Kind schon entwickelt. Der America’s Cup ist mein Kindheitstraum. Ich wollte deswegen diesen Traum erfüllen. Ich habe lange gedacht, dass es mir nie gelingen wird. Dann habe ich es 2007 zum ersten Mal mit der K-Challenge gemacht. Das ist im Anschluss schiefgegangen, weil die Amerikaner und Schweizer ihren Krieg hatten (Red.: Es kam nach dem 32. America’s Cup zum Stiftungsurkunden-Duell zwischen Team Alinghi und Oracle BMW Racing, wodurch weitere Teams wie auch die Deutschen über Jahre vom Cup ausgesperrt blieben). Wir haben versucht zu überleben, aber es ging nicht. Dann habe ich mir gesagt: Die Chance wird wiederkommen. Zunächst dachte ich aber erneut, dass ein Comeback nicht gelingen wird.

Was hat dich doch zurückgebracht?

Die Leidenschaft ist immer dabei. Doch das war nicht der Hauptgrund. Was ich von den anderen Teams gesehen habe, sagte mir, dass es nicht unmöglich ist. Ich dachte, wir könnten es sogar besser machen. Die Schiffe (Red.: gemeint sind die AC75-Einrumpffoiler im zweiten Durchgang nach der Premiere im 36. America’s Cup) sind fantastisch! Und dass wir mit Team Neuseeland einen Deal für unser neues Schiff bekommen konnten, ist wirklich toll.

Mit dem Design-Paket der Neuseeländer haben wir uns Sicherheit gekauft” (Stéphan Kandler)

Der Deal ist ungewöhnlich: Euer Team hat alle Design-Daten für die neue AC75-Yacht von den Kiwis bekommen. Der Datenfluss währte bis Baubeginn eurer Boote. Jetzt seid ihr bei der Weiterentwicklung und Optimierung auf euch gestellt …

Das Boot ist schon seit Mai bei Multiplast im Bau. Wir hoffen, dass es nächstes Jahr gut dabei ist. Die Vereinbarung über das Design-Paket von den Neuseeländern war und ist sehr gut für uns, weil wir uns damit eine Sicherheit gekauft haben. Wir wollten nicht nur dabei sein. Das ist uns sehr wichtig. Wenn man kein gutes Boot hat, muss man gar nicht mitmachen. Das macht keinen Spaß. Vor allem, wenn man es mit knappem Budget macht wie wir. Wir müssen manchmal schwierige Entscheidungen treffen. Die man vielleicht anders treffen würde, wenn man das Budget hätte …

Das sind sicher auch radikale Entscheidungen. Könnten sich die auch positiv auswirken?

Das stimmt. Mal sehen, wie wir es schaffen.

Ist es denkbar, im kommenden Jahr sogar an den Kiwis vorbeizukommen, obwohl ihr mit deren Grundkonzept operiert?

Durchaus. Wir haben sehr gute Leute im Team, die dafür bereit sind. In Frankreich gibt es sehr viele Leute mit sehr viel Erfahrung. Wir sind davon überzeugt, dass wir Chancen haben werden. Wir haben viel Arbeit vor uns, aber das ist Teil der Herausforderung.

Operiert euer Segelteam auf Augenhöhe mit dem Cup-Establishment?

Wir hatten zur Vorregatta in Vilanova gerade einmal 15 Trainingstage auf den AC40-Yachten. Das ist nicht viel, besonders, da andere so viel gesegelt sind. Deswegen ist es für uns sehr wichtig, dass es diese Vorregatten gibt. Sie sind Chancen für uns. Unser Team hat das nach wenig Training sehr gut gemacht.

Man sieht: Die Neuseeländer sind voll da. Und wir müssen noch viel lernen” (Stéphan Kandler)

Ist auch die SailGP-Erfahrung eurer Crew um die Steuerleute Quentin Delapierre und Kevin Peponnet für Erfolge im America’s Cup wichtig?

Ja, die ist auch sehr wertvoll. Als Training für Konkurrenzsituationen beispielsweise. Aber es sind andere Schiffe. Auf den AC40-Yachten muss die Crew anders arbeiten, andere Reflexe haben. Wir fangen also etwas Neues an. Aber die Crew hat genug Talent. Die sind jung und sehr motiviert.

Wie stark seid ihr im Design-Bereich aufgestellt?

Sehr gut, würde ich sagen. Benjamin Muyl, unser CTO und Entwicklungsleiter, der hat fünfmal America’s Cup gemacht. Zweimal mit England, zweimal mit Oracle und einmal mit uns, mit der K-Challenge. Dazu haben wir mit Franck Cammas als Chef der Leistungsabteilung einen technisch sehr versierten Mann dabei, der Erfahrungen aus vielen innovativen Projekten, aus der Ultim-Klasse und anderen mitbringt.

Euer Team ist inzwischen auch nach Barcelona umgezogen …

Ja, seit Mitte August sind alle da: die Segler, die Techniker. Die nächste Stufe folgt im Herbst, wenn wir die AC75 fertigstellen.

Siehst du schon erste Trends mit Blick auf die Güte der Teams?

Bei den AC40-Regatten lassen sich kaum Rückschlüsse auf die Team-Stärke für den America’s Cup selbst ziehen. Aber man sieht: Die Neuseeländer sind voll da. Und wir müssen noch lernen.

Gemeinsam werden wir eines der schönsten Kapitel des französischen Sports schreiben” (Stéphan Kandler)

Wird euer Budget reichen, sodass es nicht zu viele Einschränkungen gibt?

Seit Orient Express als Partner dabei ist, haben wir keine Angst mehr. Nun ist auch L’Óreal an Bord. Wie Orient Express ist L’Oréal eine ikonische französische Marke, die das Knowhow und die Exzellenz unseres Landes in der ganzen Welt verkörpert. Unsere drei Teams – Challenger, Youth und Women – teilen diese Ambition. Wir sind sehr stolz darauf, die L’Oréal-Gruppe als offiziellen Partner des Orient Express Racing Teams zu haben. Gemeinsam werden wir eines der schönsten Kapitel des französischen Sports schreiben. Gemeinsam können wir vieles machen, das uns besser und schneller macht! Wir haben große Ambitionen für die kommenden Jahre.

Ihr denkt und plant also über diesen 37. America’s Cup hinaus?

Auf jeden Fall. Wir wollen ein starkes Team für die Zukunft aufbauen.

Seid ihr damit in Frankreich ein großes Thema in der Öffentlichkeit?

Der America’s Cup war zuletzt nicht so populär in Frankreich. Jetzt sind wir wieder dabei und bauen es neu auf. Wir müssen eine gute Kampagne machen. Wir müssen beweisen, dass wir auch bei geringen Budgets im Wettstreit mit den besten Teams wettbewerbsfähig sind. Wir werden sicherlich nicht alle Rennen gewinnen, wollen aber eine neue Stimmung erzeugen.

Wie sieht euer Budget im Vergleich zu den Cup-Giganten etwa aus?

Wir haben vielleicht die Hälfte von dem, was sie haben. Und wir fangen bei null an. Wir müssen das Basiscamp neu aufbauen, die Ausrüstung neu zusammentragen. Andere müssen nicht mehr so viele Tools kaufen …

Bei uns gibt es nicht so viel Geheimniskrämerei” (Stéphan Kandler)

Hat das Orient Express Racing Team eine Teamphilosophie?

Wir wollen hart und vernünftig arbeiten. Wir wollen eine neue französische Cup-Generation aufbauen. Women’s und Youth America’s Cup werden für uns auch sehr wichtig sein. Wir werden mit zwei sechsköpfigen Teams in diese beiden Wettbewerbe gehen und wollen viel Innovation da reinbringen. Unsere Sponsoren sind schon sehr begeistert.

Kann man euer Headquarter in Barcelona besuchen?

Natürlich! Bei uns gibt es nicht so viel Geheimniskrämerei …

Wie groß ist Euer Cup-Team insgesamt?

Wir sind etwa 40 Leute.

Auch das ist weniger als die Hälfte im Vergleich zu Teams wie Ineos Britannia oder Alinghi Red Bull Racing … Haben die Kiwis mit Barcelona eine gute Cup-Bühne gewählt?

Auf jeden Fall! Es ist nicht nur für Europäer, es ist für die ganze Welt ein toller Austragungsort. Die Leute wollen nach Barcelona. Die Stadt und ihr Hafen sind sehr attraktiv für Hospitality. Ich glaube, dass schon mehr als 200 Superyachten ihre Plätze fürs kommende Jahr reserviert haben. Die J-Class kommt, die Zwölfer. Das wird riesig! Ich bin davon überzeugt, dass wir die größte Segel- und Lifestyle-Schau erleben werden.

Wo ist für dich im Moment zu Hause?

Das weiß ich nicht (lacht). Zwischen Barcelona, Paris, den Weingütern meiner Familie in der Nähe von Narbonne und bei Avignon und Toulouse.

Wie fühlt ihr euch als Dvid gegen fünf Goliaths?

Wir können uns nur verbessern. Wir können nur gewinnen. Dazu brauchen wir Geduld.

Ist das eine Stärke von dir?

Nein, überhaupt keine (lacht). Ich kann geduldig sein, aber es muss dabei immer etwas passieren. Nur eine Situation ist nicht genug für mich.

Dann bist du ja beim America’s Cup genau richtig …

Deswegen gefällt es mir ja auch so gut.

Erster Start, erster Sieg: Wie die französischen Außenseiter bei der ersten Vorregatta zum 37. America’s Cup vor Vilanova i la Geltrú überraschten:

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