Tatjana Pokorny
· 22.12.2019
Verteidiger und "Challenger of Record" können sich nicht auf Windfenster für den 36. America's Cup einigen. Jetzt ist das Schiedsgericht gefordert
Gut ein Jahr vor dem 36. America's Cup geht der Streit zwischen dem Emirates Team New Zealand und dem führenden italienischen Team Luna Rossa Prada Pirelli nun vors Schiedsgericht – die Cup-Verteidiger und der "Challenger of Record" können sich nicht über die zulässigen mini- und maximalen Windbedingungen einigen. Der Streit kommt nicht überraschend. Experten weisen seit Monaten immer wieder darauf hin, dass die Neuseeländer als Verteidiger bei der Bestimmung der Windbedingungen ein wertvolles Gestaltungsmittel in Händen halten. Und dem kommt infolge der verspätet an alle Mannschaften ausgelieferten OneDesign-Teile für die neuen Boote und der daraus resultierenden knapp gewordenen Zeit für die Konstruktion und den Bau der jeweils zweiten Team-Yacht eine gewachsene Bedeutung zu.
America's-Cup-Gewinner und Ineos-Team-UK-Berater Rolf Vrolijk hatte schon im Oktober in einem YACHT-Interview darauf hingewiesen, dass die Verteidiger dieses Gestaltungsmittel des Regelwerks nutzen werden. "Ein großer Vorteil der Verteidiger bleibt wie immer im Cup: Sie bestimmen die Regeln, können in konkrete Windfenster bauen." Nun kämpfen die Herausforderer mit den Italienern als Verhandlungspartner der Kiwis an der Spitze darum, diese Windfenster einzuschränken. Es ist auch ein Kampf gegen die Zeit, denn Konstruktion und Fertigung der jeweils zweiten Team-Yacht von Verteidiger und den vier Herausforderer-Mannschaften sind bereits angelaufen. Dabei wollen und müssen die Designer aller Syndikate möglichst genau wissen, in welchen Windbereichen gesegelt werden darf und in welchen nicht mehr.
Das sogenannte "Arbitration Panel" (Schiedsgericht) ist dem Australier David Tillett, dem Schweizer Dr. Henry Peter und dem Neuseeländer Graham McKenzie besetzt. Alle drei sind erfahrene Anwälte, die bereits in früheren Cup-Auflagen im Einsatz waren. Das Trio muss nun bindend entscheiden, worüber sich die Teams nicht einig werden können. Dabei geht es um die Windlimits sowohl für die Herausfordererserie Prada Cup Anfang 2021 als auch das 36. Duell um den America's Cup im März 2021. Laut Cup-Protokoll hätte die Einigung bis zum 20. Dezember erfolgen müssen. Dass sie scheiterte, führt die potenten Cup-Jäger nun vors Schiedsgericht.
Die Positionen der Rivalen sind klar: Die Kiwis kämpfen um ein maximal großes Windfenster bis 24 Knoten, während die Italiener sich für maximal 22 Knoten im Cup-Duell und maximal 20 Knoten in der Herausfordererserie einsetzen. Es gilt das Motto, je kleiner das Windfenster, je gezielter können die Konstrukteure ihre Boote darauf zuschneiden.
Für den 21. America's Cup wurden die Segelzeiten auf die Nachmittage gelegt. So kann sich der Wind stabilisieren, was wiederum eine höhere Chance bietet, dass die geplanten Live-Übertragungen pünktlich stattfinden können. Die Verteidiger wollen das Windfenster auch aus diesem Grund möglichst groß halten; das Risiko von Rennabsagen soll minimiert werden. Die Forderung der Herausforderer nach deutlich niedrigeren Windlimits spiegelt laut Verteidigern nicht die Normalität in Auckland wieder, wo im normalen Regattabetrieb regelmäßig in Winden bis 25 Knoten gesegelt wird.
Mit dieser Obergrenze hatte zunächst auch der 35. America's Cup vor Bermuda begonnen. Später war sie vom Wettfahrtleiter kurz vor Regattastart auf 24 Knoten herabgesetzt worden. Die Verteidiger trainieren in diesem Zyklus bereits seit Monaten mit ihrem ersten AC75-Boot "Te Aihe" in Winden auch jenseits der 25-Knoten-Grenze, stählen sich für anspruchsvolle Bedingungen. Während sich Verteidiger und "Challenger of Record" über alle anderen Regattabedingungen einigen konnten, bleibt das Windlimit der Zankapfel. Dazu verweisen die Verteidiger darauf, dass laut Protokoll die Windfenster für Herausfordererserie und Cup-Duell gleich sein müssen. Außerdem hätten laut Neuseeländern ihre Segler darauf hingewiesen, dass es leichter sei, die futuristischen Einrumpf-Foiler in stärkeren als in schwächeren Winden zu beherrschen, dass die Kiwis mit der jüngsten Kenterung ihrer "Te Aihe" und ihrer zügigen Wiederaufrichtung bewiesen haben, dass ein Kentern kein K.o.-Kriterium sein muss.
Wenige Tage vor Weihnachten war der neue Kiwi-Cupper beim Training in Auckland gekentert. Die Mannschaft brachte das Boot allerdings schnell wieder unter Kontrolle
Für Cup-Fans dürfte eine einfache Formel gelten: Je größer die Windfenster, je geringer das Risiko von Absagen im Stil vom 32. America's Cup in Valencia: Damals fielen gleich zum Auftakt sechs Renntage in Folge aus, weil das untere Windlimit damals bei sieben Knoten gelegen, aber nicht erreicht wurde. Die Mehrheit eines damals mit großem Aufgebot angereisten ZDF-TV-Teams war schließlich nahezu unverrichteter Dinge wieder abgereist. Experten gehen im aktuellen Streitfall davon aus, dass die von den Herausforderern angedachte 20-Knoten-Maximalgrenze als absichtlich niedrige Verhandlungszahl ins Spiel gebracht worden ist, damit am Ende der Verhandlung keine hohe Maximalzahl steht, von der nach Auffassung der Herausforderer vor allem die Neuseeländer profitieren würden. Der Streit sollte nach dem Protokoll binnen drei Monaten nach dem 20. Dezember 2019 entschieden werden. Der Entscheidungsprozess beginnt voraussichtlich mit einem Mediationsversuch, den der Schiedsgerichts-Vorsitzende David Tillett leiten könnte.