Während die Machtverhältnisse insbesondere im Vorfeld der letzten Vorregatta so unsicher wie bei kaum einer der vorherigen Ausgaben in der Historie der ältesten Sporttrophäe der Welt waren, haben die Round Robins beim Louis Vuitton Cup zumindest etwas Klarheit geschaffen. Dennoch sind weiterhin sehr unterschiedliche Designansätze im Rennen um den Platz im finalen Match gegen die Verteidiger aus Neuseeland.
Selbst erfahrene Cup-Experten können derzeit keinen eindeutigen Favoriten ausmachen. Waren es zu Anfang der Ausscheidungsregatta Luna Rossa Prada Pirelli und American Magic, rückte zuletzt auch Ineos Britannia in den Favoritenkreis auf. Lediglich den Schweizern von Alinghi Redbull Racing traut kaum jemand den Einzug ins America’s Cup Match ab dem 12. Oktober zu.
Das enge Klassement scheint jedoch kaum verwunderlich, da in allen Teams gleichermaßen exzellente Segler zum Einsatz kommen und in der gleichen Klasse wie beim vergangenen Cup gesegelt wird. Allerdings wurden verschiedenste Faktoren von den Teams in der Entwicklung in beinahe allen Belangen unterschiedlich interpretiert und gewichtet. Lediglich in einem Punkt sind sich alle Teams deutlich einiger als bei der vergangenen Ausgabe vor Auckland: dem Foildesign.
Dass insbesondere die Hauptfoils stark den Anhängen der beim AC36 siegreichen „Te Rehutai“ ähneln, überrascht daher ebenfalls kaum. Diese hatten sich damals deutlich von der Konkurrenz unterschieden und wurden rückblickend als ein Schlüssel für den Erfolg der Neuseeländer ausgemacht.
Die gewonnenen Erkenntnisse mussten allerdings an das neue Regelwerk und das Revier vor der katalanischen Hauptstadt angepasst werden. Vor Barcelona sind Wellenhöhe von einem Meter oder vielleicht sogar mehr möglich. Solche Bedingungen hat es in Neuseeland nie gegeben. Selbst bei einem halben Meter sei es schwierig, die Boote zu beherrschen, erklärt Foil-Experte und Chefdesigner der Briten Dr. Martin Fischer. „Ventilation ist eine große Herausforderung. Die Foils dürfen nicht gleich den gesamten Auftrieb verlieren, wenn sie die Oberfläche durchstoßen.“ Deshalb ist die neue Generation Flügel deutlich weniger nach unten abgewinkelt, sondern gleicht mehr einem klassischen T-Foil. Dieses hat einen besseren Winkel, wenn ein Teil des Tragflügels das Wasser verlässt.
Das Regelwerk führte zudem zu einer allgemeinen Verbesserung der Foils. So erreichen die aktuellen AC75s nicht nur Geschwindigkeiten von über 54 Knoten, sondern heben sich auch deutlich früher aus dem Wasser. „Ein Schwachpunkt in Auckland war ganz klar, dass die Boote bei sehr wenig Wind Schwierigkeiten hatten abzuheben. Daher wurde unter anderem die Spannweite der Foils auf 4,50 Meter vergrößert.“ Das hat zur Folge, dass der sogenannte induzierte Widerstand ungefähr 20 bis 25 Prozent abnimmt, was laut Fischer ein erheblicher Gewinn ist.
Mit einer Besatzung von nur acht anstelle von damals elf Seglern und weniger Ballast in den Flügeln wiegen die neuen AC75 zudem rund eine Tonne weniger. Damit sind sie für hohe Flugzeiten unter verschiedensten Bedingungen von 6,5 bis 21 Knoten Windgeschwindigkeit ausgelegt.
Wir gehen davon aus, dass die Lösung von Alinghi nicht die beste ist.“ Dr. Martin Fischer
Um trotz reduzierter Crew ausreichend Energie zu erzeugen, wurden die 2017 so revolutionären Fahrradfahrer wieder erlaubt und der Energiebedarf insbesondere in den Manövern bestmöglich gesenkt. Konkret bedeutet das die Legalisierung von Selbstwendefocks sowie das Wegfallen von Backstagen.
Das wiederum in Kombination mit der verringerten Crewanzahl ließ Struktur im Heckbereich wegfallen und führte zu verkürzten Kapsel-Cockpits. Die Schweizer haben das auf die Spitze getrieben und ließen die Pods nicht nur frühzeitig zum Heck hin abfallen, sondern kappten sie radikal. Die „Kotflügel“ ziehen leicht in die Schiffsmitte, um eine möglichst turbulenzfreie Umströmung des Rumpfes zu gewährleisten. Dahinter ist das Heck komplett flach. Das Schweizer Team, das die Silberkanne nach den historischen Siegen 2003 und 2007 wieder ins Alpenland holen will, hatte seinen Boliden als erstes enthüllt und mit dem aggressiv anmutenden Design direkt ein Ausrufezeichen gesetzt. Die bisherige Leistung rechtfertigt das jedoch nicht. „Wir gehen davon aus, dass die Lösung von Alinghi nicht die beste ist“, hatte Dr. Martin Fischer den Ansatz der Konkurrenz bereits vor dem ersten Aufeinandertreffen kommentiert. Bislang scheint er damit Recht zu behalten. Den Schweizern gelang der Halbfinal-Einzug beim LV-Cup nur auf dem letztmöglichen Platz. Die Franzosen schieden aus.
Der deutsche Physiker und Yachtdesigner Fischer hat mit seinen britischen Cup-Jägern ebenfalls eine sehr besondere Yacht entworfen. Diese wirkt mit dem extrem tiefen und voluminösen Bustle (s.u.) und dem hohen Cockpit-Freibord zunächst sehr klobig, die auffällige Lackierung tut ihr Übriges. Allerdings könnte die neue „Britannia“ so tatsächlich am besten auf die Bedingungen vor Barcelona zugeschnitten sein.
Denn der Auswuchs an der Unterseite des Rumpfes, der bei allen AC75s der neuen Generation verstärkt ausgeprägt ist, hat multiplen Nutzen. Zunächst soll der Bustle den Endplatteneffekt unterstützen, also den Druckausgleich zwischen Lee und Luv bestmöglich verhindern. Gleichzeitig soll er mit Volumen starkes Eintauchen unterbinden und möglichst wenig bremsen. Deshalb ist er im unteren Bereich sehr scharf geschnitten, sodass kein großer Widerstand erzeugt wird, wenn dieser Teil das Wasser trifft.
Hier galt es, eine wichtige Designentscheidung zu treffen, welche auch die unterschiedlichen Ausprägungen erklärt. „Es gibt ein Trade-off zwischen dem Widerstand beim Abheben, also wenn der Rumpf noch im Wasser ist, und der Effizienz, wenn das Boot dann fliegt“, so Fischer. Wenn das Schiff in der Luft ist, würde man am liebsten nur eine vertikale Platte haben, die den Druckausgleich verhindert. Das sei wiederum zum Abheben ziemlich schlecht. Das britische Team scheint die Funktionalität in den Wellen von Barcelona stärker fokussiert zu haben als andere Syndikate. Diese wiederum dürften die Aerodynamik priorisiert haben.
Bislang wurde auch an sehr leichtwindigen Tagen mit glattem Wasser gesegelt, welche dem britischen Cupper vor allem zu Beginn der Ausscheidungsregatta Schwierigkeiten zu bereiten schienen. Sowohl die Endgeschwindigkeit als auch die Manöversicherheit lag weit unter den Standards der übrigen Herausvorderer. Zum Ende der Serie gelang es den Briten insbesondere durch bessere Kommunikation an Bord und daraus resultierend verbessertes Handling und mutmaßlich auch Anpassungen am Boot und den Tragflügeln diesen Rückstand aufzuholen.
Sogar soweit, dass man sich mehrfach gegen die zunächst so dominanten Italiener durchsetzte und so an die Spitze der Tabelle nach den Round Robins kletterte. Steuermann Sir Ben Ainslie hatte sich vor allem bei der letzten Vorregatta noch mehrfach über “fehlende PS” beklagt. Das Designteam im Hintergrund scheint seinen Forderungen jedoch nachgekommen zu sein, kein anderes Team konnte bislang eine so steile Entwicklungskurve vorweisen.
Auch der extrem flache und minimalistische Gegenentwurf der US-Amerikaner offenbarte in den ersten AC75-Wettfahrten vor Barcelona Stärken und Schwächen. „Es gibt verschiedene Wege, um an das gleiche oder an ein ähnliches Ziel zu gelangen“, so Fischer. „Ich glaube nicht, dass die Unterschiede dramatisch sind.“ „Patriot 2.0“ zeichnet sich durch den geringsten Widerstand durch das kleinste Volumen aus. Dafür wurden die Radfahrer sogar liegend untergebracht, um die Sidepods noch weiter abzusenken.
Letzteres scheint ihnen allerdings zwischenzeitlich zum Verhängnis geworden zu sein. Denn Radfahren in liegender Position ist weitaus ineffizienter als das Pedalieren in der regulären aufrechten Position. Dazu kommt die vermutlich schlechtere Durchlüftung der Radfahr-Cockpits. Die Athleten befinden sich vollständig unter Deck und die Öffnung nach oben wird zum Teil durch eine aerodynamische Abdeckung verschlossen.
Mit der gleichen Anzahl an Radfahrern (vier) wie alle anderen Teams dürfte American Magic so deutlich weniger Energie generieren. Diese ist bei wechselhaften Bedingungen und in den Manövern allerdings entscheidend, da alle Trimmeinrichtungen davon abhängen. Lediglich die Einstellung der Foils wird durch Elektromotoren ermöglicht. In einigen Rennen kam es so bereits zu einer gewissen Einschränkung der Manöverfreiheit.
Mit Luna Rossa Prada Pirelli steht derweil mit dem optisch extravagantesten Cupper im Halbfinale. Die 2021 noch mit Foil-Flüsterer Fischer im Match unterlegenen Italiener arbeiten mit ihren Linien am nächsten an den Verteidigern. Darüber hinaus präsentierten sie sich von Anfang an stark und konnten sogar den Neuseeländern einen Sieg abluchsen. Ein erneuter Einzug ins America’s Cup Match ist daher möglich aber angesichts der letzten Resultate längst nicht gesichert.
Dort wartet Verteidiger Emirates Team New Zealand. Jene haben mit „Taihoro“ die wohl souveränste Weiterentwicklung der letztmaligen Siegeryacht präsentiert und diese dominant über den Kurs gebracht. Ungeschlagen blieben sie dennoch nicht. Ob es sich dabei um tatsächliche Schwächen von Boot und Crew handelte oder vielmehr um Tests, ist von außen nicht ersichtlich. Denn die Kiwis segelten die Round Robins als Verteidiger in einer Sonderrolle. Die Wettfahrten mit ihrer Beteiligung gingen für kein Team in die Wertung ein.
Die Sonderrolle beinhaltet auch, dass die Neuseeländer sich ab dem Halbfinale zurückziehen und nicht mehr Teil des Louis Vuitton Cups sind. Somit hat das Team jetzt über einen Monat Zeit, bis es wieder auf den Rennkurs muss. Ein Monat, in dem zweifelsohne mit den nun gewonnenen Erkenntnissen nochmals an allen Stellschrauben gedreht wird, zuletzt gab es einen Foiltausch.
Zeitgleich fehlt in dieser finalen Periode andererseits die Regattapraxis. Ineos Britannias Leistungsanstieg während des LV-Cups ist nur ein Beleg für die enorme Wichtigkeit dieser. Ob das den Herausforderern reicht, um das historische Novum von drei aufeinanderfolgenden Cup-Siegen für die Neuseeländer zu verhindern, wird sich ab dem 12. Oktober zeigen.