Tatjana Pokorny
· 05.06.2017
Im Schlusspurt hat Artemis im Duell mit den Japanern eine totale Auftaktpleite der Europa-Teams verhindert. Die Briten müssen nach Bruch schon bangen
Langweilig war der Auftakt zu den Halbfinal-Duellen der Challenger Playoffs am Montagabend nicht. Etwas einseitig aber verlief eine der beiden Begegnungen schon. Was daran lag, dass erneut Sir Ben Ainslie britisches Team Land Rover BAR im Match gegen die top-favorisierten Neuseeländer von einem technischen Problem an Bord seines Katamarans "Rita" ausgebremst wurde. Wie der Skipper und Steuermann später berichtete, war nach Rundung der zweiten Wendemarke auf dem dritten Abschnitt ein lautes berstendes Geräusch zu hören, dazu Ainslies genervter Aufschrei. Schnell fiel der Katamaran auf seine Rümpfe. Das Team nahm die Fahrt aus dem Boot und gab schon kurze Zeit später nach der ersten Inspektion seine Aufgabe bekannt. "Gott sei Dank haben wir das gemacht", berichtete Ainslie später, "sonst wären wir vermutlich jetzt noch da draußen und würden viele einzelne kleine Kohlefaserstückchen auffischen."
Anfangs hatte die Mannschaft noch Hoffnung, möglicherweise schnell genug zum zweiten Rennen des Tages den Ersatzflügel stellen zu können. Doch aus dem theoretisch rasant möglichen Austausch wurde nichts, weil die Briten ihre Boot nicht schnell genug in den Hafen bringen konnten. "Unser Begleitboot musste uns schleppen, weil wir selbst nicht mehr segeln konnten", so Sir Ainslie, "das hat 20, 30 Minuten gedauert." Damit war die Zeit bis zur zweiten Begegnung mit dem Emirates Team New Zealand schon fast abgelaufen, und die Neuseeländer kreuzten allein an der Startlinie auf. Für die Kiwis waren es zwei leicht verdiente Punkte an diesem Tag – worüber sich der junge Steuermann Peter Burling natürlich freute. Wenn auch nicht übermäßig. Seine Mannschaft absolvierte das zweite Rennen ohne Gegner, ließ es sich dabei nicht nehmen, die "Aotearoa" wie ein stolzes Rennpferd durch die Startbox zu treiben, über den Kurs zu preschen, eine kleine Muskelschau abzuhalten sowie ein paar Tests zu absolvieren. Später erzählte Burling freimütig, dass auch den Neuseeländern im Training einmal ein wichtiges Teil im Flügel gebrochen war. Doch das, so Burling, sei lange her.
Für die Briten war es der zweite teure Bruch in einem Rennen gegen das Emirates Team New Zealand, nachdem am Freitag schon ein Systemfehler zu einem entscheidenden technischen Versagen und der daraus folgenden Niederlage gegen die Kiwis in der Qualifikation geführt hatte. Dieses Mal kostete das Materialversagen zwei Punkte. Womit Burlings Männer nur noch drei Siege brauchen, um in das Finale der Challenger Playoffs einzuziehen. Auf die Frage, ob er – Ainslie – noch Vertrauen in seine Technik hätte, machte der viermalige Olympiasieger notgedrungen gute Miene zum bösen Spiel. Ja, er vertraue seinem Material absolut. Sein Team hätte zwar einen wirklich harten Tag gehabt, aber schon vorher bewiesen, dass es zurückschlagen könne. Dafür blieben Land Rover BAR am späten Abend allerdings keine 24 Stunden mehr, denn die nächsten beiden Duelle mit den lässigen Kiwis sind bereits für Dienstagabend angesetzt. Die interessante Prognose: Es soll am Dienstag noch ein bisschen windiger werden. Und am Mittwoch sogar so windig, dass möglicherweise wieder nicht gesegelt werden kann. Ursprünglich hatte man den Briten nachgesagt, dass sie in stärkeren Winden schneller sein sollen. Ob das wirklich so sein kann, müssen sie nun beweisen, wollen sie nicht am Dienstag an den Rand des Cup-Abgrunds segeln.
Man möchte nicht in Sir Ben Ainslies Haut stecken: Erst sollte er in der Pressekonferenz den Bruch an Bord erklären, der zur Aufgabe der Briten führte. Was er natürlich nicht im Detail tat. Dann musste er nach inzwischen schon mehreren technischen Problemen auch noch versichern, dass er seinem Material absolut vertraut. Was auch sonst hätte er sagen sollen?
Ausgeglichener verlief das zweite Halbfinal-Match zwischen Artemis Racing und dem SoftBank Team Japan, obwohl es danach in der ersten Begegnung am Montagabend zunächst nicht ausgesehen hatte. Denn unter japanischer Flagge überraschten Dean Barker und sein Team mit einer beachtlichen Vorstellung und einer fast 100-prozentigen "Flugzeit" auf den Foils. Den einzigen Patzer des Rennens machten sie schnell wieder gut. Weil Barker kurz vor dem Runden der ersten Marke seine Foils tiefer eintauchen lassen wollte (um Abdrift zu vermeiden), dabei allerdings zu viel riskiert hatte und von einer Welle erwischt worden war, die den Kat runterzog, tauchten die Rümpfe ein und ließen Artemis Racing für kurze Zeit vorbeiziehen. Das ließen die Japaner aber nicht lange auf sich sitzen, zogen ihrerseits mit guter Geschwindigkeit schon bald wieder vorbei und brachten das Rennen souverän mit 23 Sekunden Vorsprung ins Ziel. Eine Überraschung auch für die Experten – die meisten hatten Artemis Racing als Favoriten eingestuft. Dies auch deshalb, weil die Schweden in der Qualifikation als einzige und gleich zweimal die Titelverteidiger hatten besiegen können, während das SoftBank Team Japan zwar schnell, aber nicht konstant segelte und eine ganze Reihe Niederlagen kassiert hatte.
Bevor der Tag nun aber zum europäischen Auftakt-Fiasko hatte werden können, berappelten sich die Schweden und besannen sich auf ihre Favoritenrolle. Zwar fielen sie nach gelungenem Start im zweiten Rennen einmal von den Foils und wurden prompt von den Japanern überholt, doch errangen sie erneut die Führung und setzten sich schließlich mit guter Positionierung durch. Dabei half das SoftBank Team tatkräftig mit, das eine Halse verpatzte, in deren Folge Skipper Dean Barker beim hektischen Seitenwechsel im Sprint über die Trampoline auch noch wegrutschte und hinfiel. "Das war so nicht geplant und hat wohl ein bisschen unkoordiniert gewirkt", sagte der 44-Jährige später und konnte dabei herrlich über sich selbst lachen. Beide Rennen zwischen Artemis Racing und dem SoftBank Team Japan waren schön anzusehen. Es ist offenbar ein Duell auf Augenhöhe, das weitere Spannung verspricht. "Das sind kaum Unterschiede im Geschwindigkeitspotenzial beider Boote festzustellen", konstatierte Nathan Outteridge. Auch Barker war am Abend zufrieden: "Unser Boot ist schön schnell. Das gilt insbesondere für die Amwind-Abschnitte."
Die Halbfinal-Begegnungen werden am Dienstag ab 19 Uhr fortgesetzt und bei Servus TV sowie Sky Sport (kostenpflichtig) übertragen. Für den Aufreger des Tages sorgte indes Oracles ehemaliger Regel-Berater Tom Ehmann, der seit Kurzem den Blog "Sailing Illustrated" täglich mit Cup-News füllt. Am Montag machte er darauf aufmerksam, dass es offenbar eine Ergänzung zum aktuellen America's-Cup-Protokoll gibt, die bislang niemandem aufgefallen ist. Während im Original-Protokoll steht: "(...) wenn der Gewinner der America's-Cup-Qualifikation ein Teilnehmer am Match ist, dann soll er mit dem Punktstand von einem Punkt (1) in das Match starten." (Red.: Mit dem Match ist das finale Cup-Duell zwischen Verteidiger und Herausforderer gemeint.) Ehmann weist am Rande darauf hin, dass es eine rekordverdächtige Anzahl von Zusätzen zum Protokoll gegeben habe. In einem vom 29. Juni 2015 steht: "(...) wenn der Gewinner der America's-Cup-Qualifikation ein Teilnehmer am Match ist, dann soll der Teilnehmer, der nicht die America's-Cup-Qualifikation gewonnen hat, mit einem Punkstand von minus einem (- 1) Punkt in das Match starten." Damit ist nicht mehr richtig, dass ein Team im 35. Cup-Match sieben Siege zum Sieg benötigt. Da die Verteidiger die Qualifikation gewonnen hatten, wird jeder ihrer potenziellen Herausforderer mit einem Minuspunkt starten.