Carsten Kemmling
· 15.02.2003
130 Meter vor der Ziellinie überholt Alinghi Team New Zealand und siegt mit sieben Sekunden Vorsprung. Es steht 2:0. Bericht aus Auckland
Wahnsinn. Was für ein Rennen! Was für ein Team!! Alinghi gelingt es, ein schon verloren geglaubtes Rennen auf den letzten Metern vor dem Ziel umzudrehen. Coutts und Co holen auf der finalen Vormwind-Strecke 33 Sekunden auf und erringen einen Sieg, der psychologisch fast schon eine Vorentscheidung sein könnte.
Dabei beginnt der Segeltag nicht gerade viel versprechend. Startverschiebung. Die Bedingungen halten keinen Vergleich mit dem gestrigen Tag stand. Drehender Wind um fünf Knoten. Die Sonne knallt mit 28 Grad. Zweieinhalb Stunden müssen die beiden Teams warten, bis sich die Seebrise aus Südost einigermaßen stabilisiert.
Alinghi nutzt die Wartezeit, indem das Team Geschwindigkeits-Testläufe mit dem Sparringsboot absolviert. „Dabei gibt es viel einzustellen“, sagt Jochen Schümann. „Wir versuchen das optimale Setup zu finden.“ Aber diese Routineabläufe helfen auch die Nerven zu beruhigen. Man kommt nicht dazu über das was-wäre-wenn nachzudenken. Automatismen beruhigen die Nerven. Es ist ein ähnlicher Effekt, wenn ein Tennisspieler vor dem Aufschlag den Ball auf den Boden prellt.
Die Neuseeländer müssen auf das so genannte Anpassen mit dem Trainingsboot verzichten. NZL 81 ist bei dem gestrigen Bruch Festival ebenfalls arg ramponiert worden. Was genau passiert ist, wollte Dean Barker nicht preisgeben. Jedenfalls ist die Crew während der Wartezeit zur Untätigkeit verdammt. Sie hat ein Sonnensegel über dem Großbaum gespannt und dümpelt auf der Bahn. Es sieht cool aus angesichts der trainierenden Alinghi Boote.
Als das Startschiff einigermaßen fest liegt, beginnt Russell Coutts die Probeanläufe zur Startlinie. Fast 30 Mal übt er den Anlauf zur Linie. Es gilt, ein Gefühl für die Anliegelinien zu bekommen und das Zeitgefühl zur Startlinie für herrschenden Bedingungen. Barker absolviert gerade einmal halb so viel Testläufe. Er scheint sich sehr sicher zu sein.
Die Spannung steigt, als die Starttonne endlich ausgelegt wird. Auf den Zuschauerbooten wird getanzt, getrommelt. Sie bewegen sich immer näher an den Regattakurs heran. Der „Course Marshal“ hat seine liebe Not, sie von der Bahn fernzuhalten. Das Rennen muss um eine weitere halbe Stunde verschoben werden, bis die Backbordseite des Kurses frei ist.
Dann geht es los. Als die Gegner in die Startbox eintauchen schwirren zehn Hubschrauber in der Luft. Kuhglocken ertönen als Alinghi diesmal mit blau ohne Wegerecht auf Team New Zealand zufahren muss. Die Schweizer sehen beim dial up sehr stark aus. Beim Aufschießer lassen sie schnell die Fochschot ausrauschen und stoppen dadurch sehr effektiv. Die Kiwis schießen geradezu in Luv vorbei und haben keine Chance, eine kontrollierende Position auf der rechten Seite von Alinghi einzunehmen. Sie müssen wegwenden
Danach ist Alinghi am Heck und führt schließlich zur Linie. Team New Zealand ist in der Defensive. Es muss schließlich beim Start wegwenden und Alinghi die bevorteilte linke Seite überlassen, Nach einer erneuten Wende beginnt ein langer Speedvergleich mit Wind von Steuerbord. Das ist es, worauf alle gewartet haben. Jetzt muss sich zeigen, was Hula wirklich wert ist.
Aber es tut sich lange Zeit nichts zwischen den beiden Booten. Es scheint, dass Alinghi höher segelt aber Team New Zealand schneller. Der Weg nach Luv (VMG) ist gleich. Alinghi erwischt, wie beim Start geplant, links etwas mehr Wind und einen kleinen Dreher. Coutts wendet, aber er schafft es knapp nicht, vor Barkers Bug zu kreuzen. Erst kurz vor der Tonne funktioniert es Dank mehr Wind auf der linken Seite. Alinghi ist an der Luvtonne 12 Sekunden vorne.
An der Kreuz waren beide Boote gleich schnell. Jetzt muss sich Hula auf dem Vorwindkurs beweisen. Da soll die Designinnovation besonders wirksam sein. Und tatsächlich, die Kiwis können tief halten und greifen mit gutem Speed auf die Leeseite an. Wenn Alinghi jetzt halst und Barker schnell mit dem gleichen Manöver reagiert, liegen die Schweizer sofort im Windschatten.
Alinghi rollt das Stagsegel weg, dreht an und.... dreht wieder zurück. Eine Scheinhalse. Aber Barker hat aufgepasst. Erkopiert das Manöver. Noch einmal das gleiche Spiel und dann beim dritten Mal funktioniert es. Barker lässt sich täuschen und halst nach links (von unten betrachtet). Alinghi fährt mit freiem Wind nach rechts.
Aber es bringt nichts für Alinghi. Im Gegenteil. Barker bekommt Wind und wandelt den Rückstand in eine 34 Sekunden Führung um. „Wir haben einfach alles falsch gemacht auf diesem Schenkel“, sagt Jochen Schümann. „Falsche Seite, falsches Segel und und und....“ In der letzen Halse wechselt das Team den Spinnaker. Ein perfektes Manöver, aber es ist zu spät. Die Neuseelädner sind vorbei.
Auf der folgenden Kreuz zeigen Schümann und Co Geduld. Sie greifen nicht hektisch an sondern folgen konservativ. Einige interpretieren das schon als Resignation. Denn der Abstand wird größer und Alinghi folgt immer noch ohne sich zu wehren. Aber kurz vor der Tonne haben die Schweizer nach ein paar wohlüberlegten Wenden plötzlich den Abstand halbiert auf insgesamt 26 Sekunden.
Alle erwarten jetzt, dass das Rennen gelaufen ist und NZL 82 wieder vor dem Wind wegfährt. „Mit dem Spinnaker ist es eine Rakete“, lässt der Neuseeländische Live Kommentator verlauten. Weit gefehlt. Alinghi holt 8 Sekunden auf und macht damit deutlich, dass der Wind auf dem ersten Spikurs für den Verlust verantwortlich war.
An der Leetonne ist Alinghi auf 14 Sekunden dran, und man hat das Gefühl, jetzt setzen sie auf der Kreuz zum Überholen an. Nach einer schnellen Wende könnten sie eigentlich die überlegene Höhe ausspielen und die Kiwis abkneifen. Aber es klappt nicht. Also greift Coutts in die Trickkiste. Scheinwende, und noch eine, und noch eine... Beide Boote stehen fast auf der Stelle und wenden trotzdem. Jetzt zählt die Crewarbeit. Wer bekommt sein Boot schneller wieder zum Laufen. Und dabei zeigen die Kiwis, dass sie sich nicht vor Alinghi zu verstecken brauchen. Sie parieren alle Angriffe. Das ist meisterhafter Sport.
Coutts will nicht zurückstecken und startet ein Wendeduell mit insgesamt 33 Wenden. Team New Zealand deckt aggressiv die linke Seite ab, die auf allen Schenkeln bisher die bessere war. Und auch diesmal weht der Wind dort frischer. Der Vorsprung wächst wieder um 12 auf 26 Sekunden. Es ist erstaunlich, wie hartnäckig Alinghi das Wendeduell durchzieht, obwohl das Team bei jeder Wende minimal verliert. „Wir mussten einfach etwas unternehmen“, sagt Jochen Schümann später.
An der Luvtonne scheint das Rennen schon gelaufen. Aber dann kommt das entscheidende Manöver von Alinghi: Ein tack-jibe-set. Sie kommen mit Wind von Steuerbord an die Tonne, wenden (tack), und halsen (jibe) sofort und ziehen dabei den Spinnaker hoch (set). Team New Zealand halst zwar parallel ist aber schon so weit voraus, das Alinghi frei auf die linke Seite kommt. Dort weht wieder deutlich der bessere Wind.
Alinghi kommt näher und näher. Ihr Trimm sieht deutlich anders aus als beim Gegner. Der hat seinen Mast weit nach vorne gekippt. Murray Jones im Mast freut sich: „good pressure, good pressure“, ruft er durchs Mikrofon. Aber dann ist die Anliegelinie zum Ziel erreicht. Alinghi muss halsen und Barker geht mit. Er muss nur noch gerade ins Ziel fahren.
„Ich weiß auch nicht, warum sie das nicht gemacht haben“, sagt Schümann. Sein Team luvt extrem an für einen letzten verzweifelten Angriff und was er nicht erwartet hätte: Barker geht mit. Es ist der entscheidende Fehler. Alinghi ist deutlich schneller, „weil wir einen flacheren Spi gesetzt hatten, der insgesamt viel besser lief als der andere auf der ersten Vorwind-Strecke.“
Die Schweizer passieren fast unbehelligt, halsen noch zweimal und sind als Sieger im Ziel. „Das war unglaublich. Damit hätten wir selbst nicht mehr gerechnet“, sagt ein überglücklicher Schümann. So ausgelassene Freude hat man auf dem Schweizer Schiff selbst nach dem Louis Vuitton Cup nicht gesehen. Bertarelli fällt allen um den Hals, reckt die Arme in die Höhe und selbst der coole Russell Coutts hüpft wie ein Irrwisch. Ein unglaubliches Rennen
Kuhglocken läuten überall auf der Bahn. Ohnmächtiges Entsetzen auf den Kiwi-Booten. Der Hubschrauber mit der überdimensionalen schwarzen „loyal“ Flagge verlässt scheinbar völlig entnervt das Stadion. Die Besatzung der „Iceberg“ lehnt desillusioniert an dem lebensgroßen Stier, den sie auf dem Bug montiert hat. Das Schiff mit den dreißig roten Glücks-Socken an der Reling dümpelt im Schwell des großen Alinghi Mutterschiffs.
Es ist ein Desaster für Dean Barker und seine Crew. Der gestrige Tag war schon an Härte kaum zu überbieten. Aber so ein Rennen so knapp zu verlieren, das zehrt extrem an den Nerven. Gut für die Kiwis, dass sie morgen am Ruhetag eine Auszeit nehmen können. Vielleicht ist dann der Frust vergessen.
„Wir müssen das Positive im Kopf behalten“, sagt der Skipper. Und davon gibt es durchaus genug. Das Schiff war schnell, die Crewarbeit gut wie auch die meisten der taktischen Entscheidungen. Aber am Ende war Alinghi wieder vorne. Das Schema aus dem Louis Vuitton Cup scheint sich fortzusetzen.