Tatjana Pokorny
· 01.06.2017
Erst schrie sich Sir Ben Ainslie die Frustration während der Demütigung durch die Kiwis von der Seele, dann holte Land Rover BAR einen Kampfsieg über Frankreich
Der zweite Renntag der Rückrunde in der Qualifikation zum America's Cup stand im Zeichen eines britischen Dramas in zwei Akten. Erst wurden Sir Ben Ainslie und seine Männer vom Emirates Team New Zealand wie Schuljungen vorgeführt und demontiert. Dann holten sie im Segel-Thriller gegen Außenseiter Frankreich den für sie so wichtigen Sieg, der gleichzeitig die Franzosen an den Rand des Ausscheidens brachte. In beiden Fällen wurde einmal mehr deutlich, dass das Team Land Rover BAR große Probleme mit seinem Boot und dessen Handling hat. "Rita" ist schwer zu bändigen, wirkt nicht annähernd so leichtfüßig wie die neuseeländische "Aotearoa" in den Händen von 49er-Olympiasieger Peter Burling und überraschte ihre Segler am Donnerstag sogar mit einem fiesen Aussetzer, in dessen Folge das Boot von den Foils fiel wie ein Bild von der Wand, wenn der Nagel nicht hält.
Warum im krassen Gegensatz dazu die Neuseeländer die Konkurrenz an diesem Abend in ihrem einzigen Rennen überragten? Experten schreiben die Überlegenheit auch in den sehr leichten Winden um sieben Knoten mindestens anteilig den besonderen Foils der Kiwis zu. In der Pressekonferenz nach den Rennen antwortete Burling auf die entsprechende Frage nach den Knicken in den Leichtwind-Foils und deren kolportierte "Aggressivität" nur ausweichend – man würde damit schon eine ganze Weile arbeiten. Und ja, sie hätten sich bewährt. Konkreter erklärt Eberhard Magg, Mitgründer der ersten deutschen America's-Cup-Kampagne, Yachtdesigner und Match-Race-Germany-Veranstalter, den Vorteil, den die "Knick-Foils" den Neuseeländern tatsächlich bringen: "Durch die Knicke in den Foils liegt die Strömung im Foil früher an und erzeugt in den Bedingungen von heute früher den notwendigen Auftrieb. So konnten sich die Neuseeländer am Donnerstag in den leichten Winden viel besser auf den Foils halten und ihre Gegner dominieren." Das Ganze offenbar auch stabiler als die Konkurrenz, denn Peter Burling riss sein Boot in Manövern ohne große Geschwindigkeitseinbußen geradezu ruppig herum.
Die Dominanz der aktuellen Top-Favoriten im Kampf um die Position des offiziellen Herausforderers erkannte sogar der ehemalige Mitfavorit im Kampf um die Rolle des offiziellen Herausforderers für das Oracle Team USA an. Sir Ben Ainslie sagte: "In aller Fairness gegenüber Team New Zealand muss man sagen, dass sie in diesen Bedingungen wirklich gut gegen uns gesegelt haben. Sehr wahrscheinlich hätten sie uns ohnehin irgendwann überholt. Aber natürlich hätten wir ihnen das Leben gern ein bisschen schwerer gemacht."
Was die Akteure über ihre Leistungen und Fehlschläge am 5. Tag der Qualifikation zum 35. America's Cup sagten
Stattdessen lag Ainslies "Rita" nach der verunglückten Halse in Folge des Systemfehlers und mit ihren im Gegensatz zur Konkurrenz auffällig kurzen Foils auf Kursabschnitt zwei plötzlich wie ein riesiger Treibanker im Great Sound und rief mehr Mitleid als alles andere hervor. Der geschlagene Held Sir Ainslie beschrieb die aus seiner Sicht deprimierenden Sekunden der entscheidenden Rennsituation, in denen er sich erst den Frust von der Seele brüllte und dann in schneller Folge immer wieder "Was ist passiert?" rief, später so: "Wir hatten einen Systemfehler. Wir konnten unser Foil nicht mehr mehr kontrollieren. Unser neues Foil, das auf Steuerbordbug runtergelassen werden musste... Na ja, wir sind dann mit beiden Bugspitzen tief eingetaucht, haben alle Geschwindigkeit verloren. Wenn dir das in leichten Winden passiert, ist es einfach wahnsinnig schmerzhaft."
Bis die Briten ihren Kat wieder in Fahrt gebracht hatten, war das Rennen längst gelaufen. So gaben sie mit mehr als sechs Minuten Rückstand schließlich eine Runde vor Erreichen der Ziellinie auf. Das hat es im Vorspiel zum Cup-Match bislang noch nicht gegeben. Zu dem Zeitpunkt hatten die Kiwis das Ziel längst erreicht. Für Ainslie war es seiner Erinnerung nach das erste Mal in seiner glanzvollen Karriere, dass er ein Rennen aufgegeben hatte. Die Aufgabe geschah allerdings nicht – wie von einigen Reportern suggeriert – aus Frustration mit unfairem Anstrich, sondern vielmehr im Bemühen darum, ein verlorenes Rennen nicht länger als nötig auszudehnen. Lieber wollten die Briten ihrem Technik-Team ein möglichst großes Zeitfenster zur Vorbereitung auf das zweite noch ausstehende Duell gegen die Franzosen geben. Nach dem Motto: Rettet "Rita" und gebt uns ein paar PS mehr.
Viel schneller wirkte "Rita" aber auch im Duell gegen die Franzosen nicht. Die Briten gewannen wie schon gegen die Neuseeländer den Start – ihre bislang stärkste Disziplin. Doch das reichte nicht. Das Groupama Team France segelte auf dem zweiten Kursabschnitt mit Anlauf und besserer Geschwindigkeit von hinten an den Briten vorbei, als wäre es ein Leichtes. Mit 50 Meter Vorsprung führten Franck Cammas und sein Team auf dem Weg zur dritten Wendemarke. Die Briten aber ließen nicht locker, sorgen durch einen "Split" für Separation zwischen den Booten, fanden besseren Wind und kamen wieder heran. Ainslie attackierte, konnte sich sogar für kurze Zeit vor das Groupama Team France setzen, verlor die Führung aber wieder. "Wir waren vor dem Wind schneller und am Wind vermutlich langsamer", fasste sein Gegner Franck Cammas das Duell zusammen, das sich gegen Ende zu einem echten Thriller entwickelte. "Es war ein Rennen, dass wir hätten gewinnen können", haderte Cammas lächelnd, "aber so ist das Leben." Es waren schließlich die Briten, die sich in den letzten Segel-Minuten des schweren Tages so ideal auf dem Kurs positionierten, dass sie die bis kurz vor dem Ziel führenden Franzosen tatsächlich noch abfangen konnten." Da leuchtete das seglerische und taktische Können der Gold-Jungs an Bord von "Rita" wieder kurz auf.
Es bleibt aber dabei, dass sie ohne ihre zwei Bonuspunkte aus der Weltserie nicht schon jetzt sicher für die Halbfinalrunde der Playoffs qualifiziert wären. So, wie auch das Emirates Team New Zealand. Es sind das schwedische Team Artemis, das japanische Team SoftBank, dem am Donnerstag ein souveräner Sieg über Frankreich gelungen war, und die Franzosen, die aktuell noch vom Ausscheiden bedroht sind. Denn von fünf Herausforderern erreichen nur vier die nächste Runde.
Dass an diesem insgesamt fünften Renntag im 35. America's Cup auch die Titelverteidiger ein Duell absolvierten, ging in der Spannung der anderen Begegnungen beinahe unter. Dabei konnte sich das SoftBank Team Japan mit Steuermann Dean Barker im Match gegen die amerikanischen Technologie-Partner vor allem in der Vorstartphase stark in Szene setzen. Wozu Oracle-Steuermann Jimmy Spithill aktiv beitrug, indem er das rechtzeitige Eintauchen in die Startbox verpasste und einen Penalty bereinigen musste, bevor sein Team die Jagd auf das japanische Team eröffnen konnte. Barker fasste so zusammen: "Wir hatten ein gutes Rennen gegen Franck und seine Jungs und eine gute erste Hälfte gegen Oracle. Natürlich sind wir enttäuscht, dass uns das Rennen aus den Händen geglitten ist. Ich denke, dass wir aus dem Rhythmus gekommen sind. Aber das ist Teil von Regatten. Diese Boote sind in diesen leichten Winden sehr schwer zu managen. Das ist frustrierend, aber dieser Wettbewerb wird noch sehr lange andauern..." Es war Barkers Art mitzuteilen, dass er sein Team nicht ausscheiden, sondern in die Halbfinalrunde der Challenger Playoffs einziehen sieht.
Die leichten Winde um sieben Knoten sorgten am Donnerstag aber nicht nur bei den Seglern für eine ganze Reihe frustrierender Momente. Auch die Zuschauer an den TV- und Computer-Bildschirmen bei ServusTV oder Sky Sport mussten sich daran gewöhnen, dass die bislang so dynamischen und meist "fliegenden" Cup-Geschosse plötzlich wie sperrige und unbewegliche Flöße wirkten. Mit beiden Rümpfen im Wasser sind sie bei Winden nahe der Untergrenze von sechs Knoten schwerfälliger als gedacht. Es dauert lange, die Zwei-Tonnen-Katamarane nach Manövern wieder auf die Foils zu bringen.
Das Fazit des Renntages: Die Titelverteidiger und das Emirates Team New Zealand sind aus der aktuellen Perspektive die Mannschaften, die sich bislang überzeugender als alle anderen für das 35. Match um den America's Cup empfohlen haben. Was durchaus den Wettquoten der Buchmacher entspricht.