Tatjana Pokorny
· 18.09.2024
Wer hätte das gedacht? Der vierte Halbfinaltag im Louis Vuitton Cup servierte Wendungen wie ein richtig guter Krimi. Die Favoriten Ineos Britannia und Luna Rossa Prada Pirelli waren jeweils mit 4:1 Vorsprung in ihre Duelle gestartet. Die Briten trafen dabei auf erneut in sehr leichten Winden gut aufgelegte Schweizer. Die Eidgenossen machten aus dem 1:4 von Montag im ersten Duell nach dem Ruhetag ein 2:4. Mit etwas größeren Foils schienen Alinghi Red Bull Racings “BoatOne” etwas leichter durch die Flautenfallen zu kommen.
Schon der Start war ganz nach Plan für die Eidgenossen verlaufen, die angesichts von drei Matchpunkten gegen sich mit dem Rücken zur Wand standen. Alinghi Red Bull Racing wollte die linke Seite und bekamen sie auch. Danach taten sich die Schweizer weniger schwer als die Briten mit den Winden am untersten Limit. “Britannia” quälte sich wie schon am Montag, absolvierte einige Abschnitte des sechsten Halbfinalduells mit Alinghi Red Bull Racing, als würden sie mit angezogener Handbremse über den Kurs fahren.
Bei jedem Manöver zitterten die Fans mit, ob die am vergangenen Wochenende bei Winden über zwölf Knoten noch dominant über den Kurs gepreschte “Britannia” sich wohl auf den Foils würde halten können. Das gelang mehrfach nicht und war der Grund, warum die Schweizer nach konzentriertem Lauf einen weiteren Siegpunkt einheimsen und auf 2:4 verkürzen konnten. “Wir fühlen uns sehr wohl in diesen WInden und dieser Welle”, versicherte der glückliche Co-Pilot Max Bachelin gleich nach dem Rennen.
Wir hatten ein bisschen zu kämpfen.” Ben Ainslie
“Britannias” Skipper und Steuermann Ben Ainslie verneigte sich kurz vor der Leistung der Schweizer Rennsieger und attestierte Alinghi Red Bull Racing ein gutes Rennen. Es sei “hart in diesen Bedingungen”. Wer ihn ein bisschen besser kennt, der weiß, dass dieser mit allen Wassen gewaschene und mit vier olympischen Goldmedaillen hochdekorierte britische Steuermann nun alles dafür tun würde, sein Team im verbliebenen Rennen des Tages ohne weitere Zitterpartien ins Louis-Vuitton-Cup-Finale zu bringen.
In der zweiten Begegnung zwischen den britischen und den Schweizer America’s-Cup-Jägern tanzte “Britannia” zwar immer noch nicht leichtfüßig durch die nun auch mal zehn Knoten starken Winde. Doch sie fiel unter ihrem in der Pause zwischen den beiden Läufen schnell eingetauschten größeren Großsegel nicht mehr so oft von den Foils. Im Gegenteil: “Britannia” wirkte nun fast wie ein neues Boot. Dafür kassierten die etwas zu entschlossenen Briten schon beim Einfahren in die Startbox einen Penalty für zu frühes Eintauchen.
Ungläubige Ausrufe von Co-Pilot Dylan Fletcher-Scott signalisierten, wie knapp diese Entscheidung gewesen sein muss. Nach schneller Bereinigung von der Strafe, ging “Britannias” Crew bewusst auf die rechte Seite, wo mehr Druck herrschte. Nicht nur die TV-Kommentatoren hatten das anhand der Wolkenformationen schon vorher ausgemacht. Die erste Marke rundete “Britannia” in zehn Knoten Wind mit 25 Sekunden Vorsprung. Dann galoppierte sie auf dem Vorwindabschnitt mit mehr als 40 Knoten zunächst davon.
Mehrere schwierige Halsen erlebt “Britannias” Crew danach wie am Abgrund. Gerade eben so schaffte es das achtköpfige Team mit den vier Radfahrern, das Boot auf den Foils zu halten. Zweimal verloren sie dabei an Speed, doch konnte Alinghi Red Bull Racings “BoatOne” daraus kein Kapital mehr schlagen. An der zweiten Luvtonne hat die “Britannia”-Crew das Rennen bei einem Vorsprung von 50 Sekunden fest im Griff, als die Winde wieder schwächer wurden.
Für die Leute an den Bildschirmen mag es so ausgesehen haben, als hätten wir schlecht gesegelt. Aber es war echt hart da draußen.” Ben Ainslie
Mit enormer Konzentrationsleistung brachten Ben Ainslie, Dylan Fletcher-Scott, die Trimmer Bleddyn Mon und Leigh McMillan sowie die Radfahrer Ryan Todhunter, Harry Leask, Luke Parkinson und Neil Hunter “Britannia” unfallfrei ins Ziel, während Alinghi Red Bull Racings “BoatOne” auf dem Weg zum letzten Tor noch einmal von den Foils fiel – da war das Duell entschieden. “Britannia” blieb sauber in den Druckfeldern auf der linken Kursseite.
Im Ziel waren es 70 Sekunden Vorsprung, die den britischen Sprung ins Louis-Vuitton-Cup-Finale besiegelten. “Wir sind sehr erleichtert, dass wir den heutigen Tag überlebt und es geschafft haben. In diesen Bedingungen kann einfach alles passieren”, sagte Ben Ainslie.
Nach dem 5:2-Finaleinzug seines Teams richtete Ainslie auch respektvolle Worte an die geschlagenen Schweizer und ihren Skipper Arnaud Psarofaghis: “Sie haben heute ein großartiges erstes Rennen bestritten und uns im zweiten stark unter Druck gesetzt. Es ist offensichtlich hart, nicht in die nächste Runde einzuziehen. Ihr seid ein großartiges junges Team, habt Vielversprechendes für die Zukunft gezeigt. Es wird toll sein, euch beim nächsten Mal wiederzusehen.”
Für die Eidgenossen war die fünfte Niederlage bei zwei Siegen eine zu viel. Die Schweizer sind im Louis Vuitton Cup ausgeschieden. Ihre Jagd auf die “Auld Mug” ist in diesem 37. America’s-Cup-Zyklus beendet. Skipper und Steuermann Arnaud Psarofaghis verabschiedete sich direkt nach dem Zieldurchgang mit emotionalen Worten, die er zunächst an Ben Ainslie und Ineos Britannia richtete: “Es war uns ein Vergnügen, das Halbfinale gegen Euch zu bestreiten. Wir haben viel gelernt und wir wissen, was zu tun ist. Wir möchten uns bei euch bedanken und wünschen euch das Beste für den weiteren Wettbewerb. Wir werden euch anfeuern!”
Zum Schweizer Aus im Halbfinale sagte Arnaud Psarofaghis: “Wir haben gestern und heute angefangen, das Boot ziemlich gut zu segeln. Aber das war wohl ein bisschen zu spät. Ich bin stolz darauf, das wir Teil dieses Wettbewerbs waren. Ich denke, es geht mehr ein großer Dank an die ganze Landmannschaft, das Design-Team, an unsere Unterstützer, an Mister Ernesto und Mister Mateschitz, die uns die Möglichkeit dazu gegeben haben.”
Weiter sagte Arnaud Psarofaghis: “Ich denke, wir sollten das nicht hier beenden. Wir haben hier etwas angeschoben, mit dem wir weitermachen sollten. Ich sage es noch einmal: Wir hatten kein Problem mit dem Boot, mit seinen Systemen oder der Hydraulik. Für mich ist es die größere Sache, dass wir vielleicht auf der Segelseite versagt, alle anderen aber ihre Ziele erreicht haben. Das war also wirklich schön für uns. Wir werden sehen, was in der Zukunft geschieht, aber ich bin stolz, Teil dieses jungen Teams zu sein.”
Der zweimalige America’s-Cup-Gewinner und Teamchef Ernesto Bertarelli sagte zum Aus seiner seit Dezember 2021 neu aufgebauten Mannschaft in Barcelona: “Ich bin stolz auf dieses Team und die Partnerschaft mit Red Bull. Wir wären gerne noch weiter gekommen, aber darum geht es ja im Sport. Glückwunsch an Ineos Britannia für ihre Leistung. Sie sind schnell und machen wenig Fehler, und wir wünschen ihnen alles Gute für den weiteren Verlauf des Wettbewerbs.”
Ernesto Berterelli dankte auch den Unterstützern: “Ich möchte mich bei den Partnern des Teams und den Fans für die große Unterstützung im Vorfeld des Wettbewerbs und in den letzten Wochen bedanken, sowohl in der ganzen Welt als auch hier in Barcelona bei den Dock-Outs, die für unvergessliche und emotionale Momente gesorgt haben.“ Zu einer möglichen Fortsetzung der neuen Teamgeschichte sagte Bertarelli zunächst nichts. Was üblich ist im America’s Cup, weil erst mit dem neuen Sieger klar werden wird, wie und wohin die älteste und bekannteste Regatta in Zukunft segeln wird.
Während im Unicredit Youth America’s Cup Italiens Nachwuchs mit Superstar Marco Gradoni als Spitzenreiter glänzten, erlebten Luna Rossa Prada Pirellis Senioren Jimmy Spithill und Francesco Bruni mit ihrer Crew einen kohlefaserschwarzen Tag auf See. Auch sie hatten in ihrem Halbfinale gegen NYYC American Magic am Mittwochmorgen beim Stand von 4:1 “nur” noch einen Punkt aus zwei angesetzten Läufen zu holen. Sie bekamen: keinen!
Dabei wurden im Verlauf der Rennen bei vielen Erinnerungen wach an das historisch imposanteste Comeback der America’s-Cup-Geschichte, als das Oracle Team USA 2013 aus einem 1:8 Rückstand bei sieben Matchpunkten für Neuseeland noch einen 9:8-Sieg für die Amerikaner machten. Damals beteiligt: Jimmy Spithill als Steuermann und Tom Slingsby als Stratege auf dem US-Boot. Dazu außerdem noch Sir Ben Ainslie als Taktiker. Heute waren “Luna Rossa”-Steuermann Jimmy Spithill und “Patriot”-Steuermann Tom Slingsby als Gegner wieder beteiligt, als sich das Halbfinale im Louis Vuitton Cup an seinem vierten Tag einen ungeahnten Verlauf nahm.
Im ersten Lauf des Tages wurden auch diese beiden Crews und ihrer Foiler am untersten Windlimit schwer geprüft. Nach umkämpfter erster Kreuz wurden beide Teams am ersten Tor von gerade einmal fünf Knoten erwartet. “Luna Rossa” gelang die Rundung, während “Patriot” von den Foils fiel. Beide Boote waren in der Folge vor dem Wind gezwungen in weiten Winkeln quer zum Kurs zu segeln, um im Flugmodus zu bleiben. Im großformatigen Zickzack ging es runter zum nächsten Tor.
Das Duell blieb ein Thriller. Beim letzten Luv-Tor auf dem inzwischen stark verkürzten Kurs war es immer noch ein Bug-an-Bug-Rennen. Hier kam “Patriot” nun von Steuerbord, zwang “Luna Rossa” mit smarter wie mutiger Kurswahrung von ihrer Backbord-Anlegelinie und sendete auch noch gemeine Grüße in Form von Abwinden hinüber. “Luna Rossa” konnte nicht wenden und segelte auf die Kursbegrenzung zu. Bei der letzten Wende schließlich fiel sie von den Foils und steuerte das Tor in Verdrängungsmodus und Schneckentempo an. Dann schließlich konnten auch die Italiener die Marke endlich runden.
Danach fiel auf dem schon letzten Vorwindabschnitt auch “Patriot” wieder von den Foils. Beide Boote schoben sich dem Ziel bei gutem Vorsprung von “Patriot” entgegen. Es blieb nur die Frage, wer schneller wieder auf die Foils kommen würde. Das gelang den Amerikanern, die ihren Rückstand auf 2:4 verkürzen konnten und tosenden Jubel bei ihren Fans auslösten. “Luna Rossa” dagegen geriet mehr als 85 Meter jenseits der Kursbegrenzung und wurde disqualifiziert.
Würde nun das siebte Duell so ausgehen wie zuvor das finale Duell zwischen “Britannia” und “BoatOne” oder könnten die Amerikaner den Azzurri gar noch einen weiteren Punkt entreißen? Das war im letzten Rennen des Tages lange nicht klar, so umkämpft verlief es. Zunächst verhalf Tom Slingsby “Patriot” zu einem perfekten Start auf der linken Seite der Startlinie, zwang “Luna Rossa” zum Wegwenden. Es entwickelte sich ein heißer Zweikampf mit vielen Führungswechseln.
Auf dem zweiten Vorwand-Abschnitt hatte sich gerade wieder “Luna Rossa” einen kleinen Vorsprung erarbeitet, als beide Boote bei offenem Rennausgang in die Kursmitte segelten. Da schockte plötzlich ein lauter Knall Segler und Zuschauer. Der eben noch kraftvoll und auf Foils übers Wasser jagende italienische Silberpfeil zuckte einmal gewaltig und klatschte dann ins Wasser. Verletzt wurde dabei keiner der Segler. Schnell wurde dann klar, dass die Travellerschiene nachgegeben hatte.
“Die Travellerschiene ist unglücklicherweise gebrochen”, vermeldete Steuermann Jimmy Spithill von Bord. Um sofort zu versichern: “Unser Shore-Team zählt zu den besten im Business. Wir haben viel Vertrauen in sie und bereiten uns aufs Rennen morgen vor.” Die an diesem Tag stark segelnden Amerikaner konnten ihren Rückstand auf “Luna Rossa” durch deren Bruch auf 3:4 verkürzen. Ihr America’s-Cup-Traum lebt weiter. Fast frenetisch wurde im US-Hauptquartier in Barcelona gejubelt. Immer mit dabei das Motto auf den Fan-Plakaten: “Believe in Magic!”
Luna Rossa bleibt ein unglaubliches Team, aber das Momentum ist bei uns.” Tom Slingsby
Tom Slingsby sagte nach dem so unglücklichen Rennverlauf für die Italiener: “Das ist nicht die Art, wie wir Rennen gewinnen wollen. Und es ist keine schöne Art zu verlieren. Unsere Gedanken sind bei Luna Rossa. Aber ja, wir sind immer noch im Spiel. Und wir wollen weiter schneller werden, als wir es heute waren.”
Für Luna Rossa Prada Pirelli sagte Teamdirektor Max Sirena: „Es war definitiv nicht der Tag, den wir erwartet hatten, aber so ist der Sport. Das erste Rennen war wirklich gut und eng umkämpft. Wir hatten einen tollen Start und lagen fast das ganze Match über in Führung. Dann hat der Wind nachgelassen, als wir in Führung lagen, und wir sind von den Foils gefallen. In der zweiten Wettfahrt war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, mit vielen engen Kreuzungen und Führungswechseln.”
Zum Bruch sagte Max Sirena: “Auf dem zweiten Vorwindabschnitt, als wir in Führung lagen, erlitten wir einen Schaden an einem Teil des Großsegel-Kontrollsystems, der uns daran hinderte, das Rennen zu beenden. Jetzt werden wir alles auswerten, um für das morgige Rennen bereit zu sein. Das ist Sport. Aber es hat sich nichts geändert, diese Boote werden bis an die Grenzen belastet, und leider kann so etwas passieren. Unsere Moral ist nach wie vor hoch, wir segeln gut, wir sind schnell, und morgen werden wir losfahren, um den Punkt nach Hause zu bringen.“
Die weiter offene Halbfinalbegegnung zwischen Luna Rossa Prada Pirelli und NYYC American Magic wird beim Stand von 4:3 für die Italiener am Donnerstag ab 14.10 Uhr mit den Rennen 8 und vielleicht auch 9 (falls die Amerikaner zum 4:4 ausgleichen können) fortgesetzt und hier im America’s-Cup-Kanal bei YouTube live übertragen.
Louis Vuitton Cup, Halbfinale, Rennen 11 – Ineos Britannia vs. Alinghi Red Bull Racing:
Louis Vuitton Cup, Halbfinale, Rennen 12 – Luna Rossa Prada Pirelli vs. NYYC American Magic:
Louis Vuitton Cup, Halbfinale, Rennen 13 – Ineos Britannia vs. Alinghi Red Bull Racing:
Louis Vuitton Cup, Halbfinale, Rennen 14 – Luna Rossa Prada Pirelli vs. NYYC American Magic: