Tatjana Pokorny
· 10.09.2013
Was ist schon ein verlorener Start, wenn sich der Gegner danach selbst ins Aus schießt? Neuseeland führt 4:-1 – und die Verteidiger flüchten
Rennen 5
Es geht zur Sache im 34. Duell um den America's Cup. Die führenden Neuseeländer haben zwar im fünften Rennen den Start, aber nicht das Rennen verloren. Eine knappe Viertelstunde nach dem Startschuss kam es bereits zur entscheidenden Szene des Tages, die nicht nur Team New Zealand die Chance zum Überholen bot, sondern in der Folge auch eine massive Depression bei Cup-Verteidiger Oracle Team USA auslöste.
Und so verlief die Sequenz des Tages, die später für heftige Eruptionen auf Verteidigerseite sorgen sollte: Nach dem ersten Runden der Leemarke will das führende US-Team um jeden Preis den schwächeren Gegenstrom hinter der Insel Alcatraz erreichen und entscheidet sich deshalb zu einer sehr schnellen Wende. Doch die Alcatraz-Abdeckung entpuppt sich als wesentlich größer als gedacht. Das Emirates Team New Zealand dagegen wendet erst lange nach der Rundung, kann deshalb frei segeln und mit seiner eindrucksvollen Amwind-Geschwindigkeit unwiderstehlich Meter für Meter (wie im Zeitraffer) der auf der ersten Vorwindstrecke verlorenen Distanz egalisieren. Als das Oracle Team USA wieder zurückwendet und die Neuseeländer wenig später ebenfalls, geht das erste "Crossing" auf der Kreuz schon knapp aus, ein letztes Mal zugunsten der Amerikaner. Durch das Tauschen der Seiten haben sich die Kiwis den wichtigen Steuerbord-Vorteil gesichert und erobern kurze Zeit später die Führung.
Luna Rossas Steuermann Chris Draper spricht es als Co-Kommentator der Live-Übertragung aus: "Es war eine taktisch sehr merkwürdige Entscheidung. Es war doch klar, dass die Kiwis auch irgendwann wenden wollen. Man hätte einfach warten sollen." Der viermalige America's-Cup-Sieger Brad Butterworth bringt die Schwäche der Verteidiger auf den Punkt: "Sie machen es sich selbst schwer."
Doch das alles ist nur die Ouvertüre zu den weiteren Überraschungen des Tages. Die Amerikaner verlieren das fünfte Rennen nach ihrem schweren Patzer folgerichtig mit einer Minute und fünf Sekunden Rückstand im Ziel. Die Kiwis holen ihren vierten Siegpunkt. Lässig. Es steht 4:-1, als die Verteidiger eine unerwartete Entscheidung treffen: Sie machen von ihrem Recht Gebrauch, eine Wettfahrt zu verschieben. Beide Cup-Finalisten haben laut Reglement jeweils einmal die Möglichkeit, von einem anstehenden Rennen zurückzutreten und es zu verschieben – aus welchem Grund auch immer. Spithill behauptet: "Es war eine Teamentscheidung. Wir müssen nach Hause segeln und uns als Gruppe neu aufstellen." Der sonst so selbstsichere 34-jährige Überflieger sagt auch: "Die Kiwis haben einen kleinen Amwind-Vorteil. Und wir haben ein paar Fehler gemacht, insbesondere bei der Wende."
Die Stimmung an Bord des US-Katamarans ist mies, als sich ein Begleitboot nähert. An Bord: CEO Russell Coutts. Der viermalige America's-Cup-Sieger ruft seinen Steuermann James "Jimmy" Spithill zu sich. Die beiden sitzen für kurze Zeit allein im Fahrstand und reden. Worüber, das bleibt vielleicht auf ewig ein Geheimnis. Als Spithill später im Interview zum Inhalt des Gesprächs gefragt wird, lächelt er und sagt: "Wir haben über das Wetter gesprochen." Natürlich.
Klar ist: Der Zwischenstand schockt die Verteidiger. Die Art und Weise, wie sie in diese Situation geraten sind, demoralisiert sie. Der Gegner ist aktuell in einigen entscheidenden Bereichen überlegen, am Wind eine Rakete. Ob der finanziell weit überlegene, aber nun so kläglich ins Hintertreffen geratene Rennstall von US-Milliardär Larry Ellison noch einmal zurückschlagen kann und möglicherweise sogar ein Afterguard-Mitglied seinen Posten räumen muss, das wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Im Kreuzfeuer der internen Kritik dürfte angesichts der taktischen Fehlentscheidungen eher der erfahrene Taktiker John Kostecki als Steuermann Spithill stehen.