Tatjana Pokorny
· 06.06.2017
Eine dramatische Kenterung, Bruch auf allen Booten und Penalty-Ärger für Artemis: Der spektakulärste Renntag bislang zeigte die Anfälligkeit der Cup-Prototypen
Der zweite Renntag in den Challenger Playoffs zum America's Cup verlief wie ein Action-Film. Für den finalen Höhepunkt sorgten nach mehr oder weniger Bruch auf allen Booten, fliegenden Kohlefaserverkleidungsteilen und einer "unendlichen" Penalty-Geschichte die Neuseeländer, deren Katamaran "Aotearoa" in der Vorstartphase des Duells gegen das britische Team Land Rover BAR spektakulär kenterte. Die sechsköpfige Crew um Steuermann Peter Burling blieb dabei nach ersten Informationen weitgehend unverletzt. Drei Segler, darunter auch Burling, konnten sich auf dem vornüber stürzenden Giganten in ihren Positionen festhalten, die drei anderen fielen ins Wasser und wurden von den Begleitbooten aufgefischt. Kurz darauf schon meldete das Emirates Team New Zealand an den Regatta-Direktor: "Die Crew ist durchgezählt. Wir arbeiten jetzt daran, das Boot wieder aufzurichten."
Wie stark der 15 Meter lange Bolide mit seinem 23,5 Meter hohen starren Flügelsegel bei der Kenterung in der zweiten Begegnung des Tages wirklich beschädigt wurde, wird sich während der Nachtschicht der Landmannschaft im Basiscamp des Emirates Team New Zealand auf Bermuda zeigen. Der Flügel, da waren sich die Experten beim Anblick des gekenterten Stolzes der Neuseeländer einig, könnte irreparabel geschädigt sein. Davon aber haben die Teams im Gegensatz zu ihren Booten immerhin zwei. Trotz allem führen die Neuseeländer in diesem Halbfinal-Duell immer noch mit 3:1.
Wenige Stunden nach der Kenterung berichtet Steuermann Peter Burling über die Momente der Kenterung und den Stand der Dinge im Basiscamp der Kiwis
Peter Burling berichtete am Abend auf Bermuda: "Das Wichtigste ist, dass die Crew sicher und ohne große Verletzungen geblieben ist. Es ist definitiv eine Erleichterung, wenn du einige von ihnen fallen, dann aber ihre Köpfe über Wasser siehst und weißt, dass sie okay sind. Unser Team holt das Boot gerade aus dem Wasser und wird die Schäden untersuchen, von denen wir reichlich haben. Wir haben aber das Gefühl, dass wir das reparieren und wieder in Aktion treten können. Die Winde hatten heute ganz offensichtlich das obere Limit erreicht. Doch das gehört dazu. Wir hatten vor dem ersten Rennen ein Problem mit dem Flügel, sind also reingefahren, um ihn zu tauschen. Dass wir das noch vor dem ersten Rennen geschafft haben, war sehr zufriedenstellend. Ich glaube, jedes einzelne Team-Mitglied hat dazu beigetragen, noch schnell etwas geholt oder festgemacht. Wir Neuseeländer sind sehr widerstandsfähig." Die Kiwis waren nur wenige Minuten vor ihrem ersten Rennen wieder aufgekreuzt. Festzuhalten bleibt aber, dass die Boote insgesamt sehr anfällig sind. Was bei Prototypen, die erst seit einem halben Jahr im Einsatz sind und kaum einmal in Bedingungen wie den heutigen getestet werden konnten, nicht wirklich verwundert.
Ausgerechnet die Top-Favoriten unter den Herausforderern, die bislang so souverän auftretenden Neuseeländer, brachten sich mit der Kenterung in Winden um 20 Knoten mit Böen bis zu 27, 28 Knoten an den Rand des Cup-Aus, nachdem sie die Briten in der ersten Begegnung des Tages in Folge eines verhaltenen Starts auf dem fünften Kursabschnitt fast schon lässig überholt und besiegt hatten. Dazu sagte Burling später: "Wir wollten einfach nur sauber aus dem Start kommen. Es war uns nicht so wichtig, ob vor oder hinter unserem Gegner, weil wir glauben, dass wir auf dem Kurs über eine sehr gute Geschwindigkeit verfügen." Und so war es auch. Die Briten dagegen hatten unter anderem Kraftprobleme. Sailing Team Manager Jono Macbeth räumte ein: "Diese Boote sind physisch enorm fordernd. Bislang haben wir immer auf Kursen mit fünf oder sechs Abschnitten gesegelt. Heute waren es neun! Es ist unglaublich, wie viel Energie benötigt wird, um über diese Kurse zu kommen. Unglücklicherweise ließ bei uns die Kraft zu einem kritischen Zeitpunkt nach, weshalb unsere Manöver nicht so knackig waren, wie sie hätten sein müssen."
Alle Mannschaften hatten an diesem denkwürdigen Cup-Tag Bruch zu beklagen. Von Beginn an war deutlich zu erkennen, dass die Teams mit einigem Respekt in die ersten Rennen starteten. Dabei konnte aber das SoftBank Team Japan im ersten Match des Tages gegen die Schweden mit herausragendem Timing und makelloser Matchrace-Taktik des erfahrenen und mit 44 Jahren ältesten Steuermanns Dean Barker gegen Artemis Racing punkten. Schon vor diesem ersten Rennen waren sich Segler und Experten einig darin, was Dean Barker gut formulierte: "Das wird heute Segeln am Limit." Er sollte Recht behalten.
Die Cup-Regeln erlauben maximal 24 Knoten. Wird diese Grenze zwischen Minute 8 und Minute 3 vor dem Start überschritten, muss der Start abgebrochen und erneut versucht werden. So geschah es einige Male, bis das erste Duell starten konnte, das der sehr erfahrene 44-jährige Dean Barker von Beginn an unter Kontrolle hatte. Wozu ein offenbar permanentes Systemproblem der Schweden beitrug, wie Artemis-Steuermann Nathan Outteridge später einräumte, ohne es detailliert zu erklären.
Ab Kursabschnitt drei des ersten Matches gegen die Japaner sah man auf dem schwedischen Boot bereits Ausrüstungsgegenstände und Teile der aerodynamischen Verkleidung des Bootes umherfliegen. Hin und wieder musste ein sich verfangenes Bruchstück von den Seglern hervorgezerrt und über Bord geworfen werden. Jochen Schümann kommentiert bei Sky Sport: "Es sieht so aus, als hätten die Teams mehr mit sich als mit dem Gegner zu kämpfen." Auf dem Kurs glitzert das Wasser nicht wie sonst verführerisch blau-grün. Weiße Schaumkronen auf dunkler See bezeugen die fordernden Bedingungen. Die "Barker Boys" meisterten sie am besten. Barker sagte: "Wir sind natürlich begeistert von unserem Ergebnis. Die Boote sind nur so durch die Gegend geflogen. Wir haben mit unserem Boot die schnellste jemals von uns erreichte Geschwindigkeit aufgestellt. Chris und ich haben uns darum bemüht, das Ding auf Kurs zu halten, während die anderen wie wahnsinnig die Kraft produziert haben, die wir für die Manöver gebraucht haben. Ich bin wirklich sehr stolz auf diese Mannschaft, der heute unfassbar viel abgefordert wurde. Ein unglaublicher Tag!"
Wie die Konkurrenz über die Kenterung der Kiwis denkt und was die Steuerleute heute mit ihren Teams selbst erlebten
Nathan Outteridge sagte am Abend: "Die meisten unserer Brüche waren mehrheitlich kosmetischer Natur. Aber da waren noch ein paar andere Dinge, die uns heute etwas gebremst haben. Wir haben heute leider keine Punkte gewonnen, aber unser Boot und unsere Segler sind okay für morgen." Artemis Racing gab das erste Rennen auf dem letzten Vorwind-Abschnitt auf. Das SoftBank Team Japan gewann auch das zweite Duell gegen die Schweden, die am Nachmittag eine Halse nicht fahren konnten, in der Folge weit über die Kursgrenze hinaus segelten und dafür eine ganze Serie an Penalties erhielten. Darüber war Taktiker und Teamchef Iain Percy so erbost, dass er seinem Unmut über die Schiedsrichter laut brüllend zur Kenntnis gab. Der Brite in Artemis Diensten konnte nicht begreifen, warum alle Anstrengungen seines Teams, den Japanern durch Verlangsamung des eigenen Bootes zwei Bootslängen zusätzlichen Vorsprung zu geben, nicht von den Schiedsrichtern honoriert wurden. Stattdessen blieb der Penalty (tatsächlich waren es drei in Folge) eine gefühlte Ewigkeit stehen. "Wir wussten einfach nicht, was wir hätten besser machen können. Wir haben unser Boot verlangsamt, das Vorsegel flattern lassen – und sind immer noch 40 Knoten gesegelt. Alles andere aber hätte die Sicherheit von Boot und Mannschaft gefährden können", sagte Steuermann Outteridge.
Den Briten war es mit einem ergatterten Siegpunkt an diesem Tag besser ergangen als den Schweden. "Es war ein toller Tag und sicher das aufregendste Beschleunigungs-Segeln, das ich je erlebt habe. Es war wie Skifahren auf Eis. Du musst einfach so schnell wie möglich fahren. Wenn du erst beginnst, dein Boot zu verlangsamen und zu versuchen, sicherer zu segeln, wird es meistens schlimmer. Wie waren zufrieden mit unserer Teamleistung. Es ist körperlich so fordernd, diese Boote über den Kurs zu bringen. Und machst du nur einen Fehler, dann kann es das für den Rest des Rennens gewesen sein. Mit Blick auf die heutigen Bedingungen sind wir mit einer Niederlage und einem Sieg glücklich. An Tagen wie diesen ist das hier der ultimative Teamsport."
Zur Kenterung der Neuseeländer sagte Ainslie, dessen Team im ersten Rennen selbst mit einem "kleinen technischen Fehler" zu kämpfen hatte: "Der Vorfall ereignete sich, als die Kiwis gerade dabei waren, die Startlinie zu überqueren. Sie sind heftig abgefallen. Das ist nicht einfach. Für mich sah es so aus, als hätte da eine Fehleinschätzung bei der Berechnung des Winkels stattgefunden. Ich glaube aber, dass keiner von uns hier irgendwie Kritik daran äußern würde. Diese Boote sind wahnsinnig schwer zu segeln. Solche Sachen können passieren. Gott sei Dank ist niemandem etwas passiert. Ich bin sicher, dass sie sich davon erholen werden und morgen wieder da draußen aufkreuzen werden. Oder am Tag danach." Sir Ainslies letzter Satz war mehr der Wetterprognose denn den Möglichkeiten der Kiwis gewidmet. Am Mittwoch soll es vor Bermuda noch mehr Wind geben. Viele Beobachter rechnen damit, dass die geplanten Rennen am Mittwoch nicht stattfinden können.