Tatjana Pokorny
· 28.05.2017
Schwerer Tiefschlag für Sir Ben Ainslies Team Land Rover BAR: Von Außenseiter Frankreich vorgeführt, haben die Briten in Runde eins nur einen Sieg holen können
Nur ein Sieg bei vier Niederlagen: Kein Team war in der Hinrunde der Qualifikation zum 35. America's Cup so schwach wie die einst so hoch gehandelten Briten. Dass sie nach der ersten von zwei Round-Robin-Runden noch immer auf Platz drei hinter Top-Favorit und Spitzenreiter Oracle Team USA (5 Punkte aus 4 Siegen, 1 Niederlage, 1 Bonuspunkt aus der Weltserie) und den Neuseeländern (4 Punkte aus 4 Siegen bei 1 Niederlage) liegen, hat die Crew um Sir Ben Ainslie weiter ihren beiden Bonuspunkten zu verdanken, die sie sich mit dem Sieg in der vorgeschalteten America's-Cup-Weltserie 2015 und 2016 erkämpft hatten.
Was die Steuerleute nach den drei Rennen am Montag zu sagen hatten und wie nah Glück und Unglück an diesem dritten und letzten Tag der Hinrunde in der Qualifikation beisammen lagen
Dass diese beiden Bonuspunkte für das Team Land Rover BAR einmal sportlich überlebenswichtig werden könnten, hätten wohl nicht einmal die Briten selbst gedacht. Eine zweite Runde mit so vielen Niederlagen aber würde das Polster nicht tragen. Angenommen, die Ergebnisse fielen in dieser Rückrunde ähnlich aus wie in der ersten, dann würden der erfolgreichste Olympiasegler der Sportgeschichte und seine Crew schon in der Qualifikation dem Cup-Abgrund entgegensegeln. So formulierte es auch Jochen Schümann bei seinem Kommentar auf Sky Sport. Als sich der Sieg der Franzosen über die Briten, die stark gestartet waren, dann aber erneut seglerische und technische Schwächen zeigten, bereits abzeichnete, sagte Schümann: "Wenn sie gegen die Franzosen verlieren, kommen sie an den Rand des Desasters." Ganz so weit ist es zwar noch nicht, doch von dort, wo Ainslies Team zurzeit steht, kann man ihn wohl schon sehen. Auf der anderen Seite ist bekannt, dass Sir Ben Ainslie vor allem dann zu Bestform aufläuft, wenn er schwer unter Druck gerät. Es muss sich nun zeigen, ob er das auch im großen Team und mit dem Katamaran "Rita" schaffen kann. Dem attestierte Ainslie nun auch öffentlich Schwächen: "Wir sind am Wind in bestimmten Bedingungen nicht schnell genug. Wir müssen unglaublich hart arbeiten, um im Wettbewerb zu bleiben." Auch seiner Crew und sich selbst stellte der König der Olympiasegler zur Halbzeit der Qualifikation kein gutes Zeugnis aus: "Wir haben heute nicht das beste Rennen gesegelt."
Das spannendste Match des Tages servierten am Montagabend Artemis Racing und das Emirates Team New Zealand. Der Segel-Krimi mit zwei ausgeglichenen Teams begann mit einem Ein-Sekunden-Frühstart der forschen Schweden. Steuermann Nathan Outteridge, dem man in den Tagen zuvor ein etwas zu passives Verhalten in einigen Starts nachgesagt hatte, verpatzte den idealen Null-Start ganz knapp und musste sein Boot künstlich verlangsamen, um sich des Penalties zu entledigen. Auf dem zweiten Kursabschnitt zogen die Kiwis vorbei. Von dort an wechselte die Führung in dem Match unzählige Male. An der dritten Wendemarke lag wieder Artemis mit drei Sekunden Vorsprung vor den Neuseeländern mit Steuermann Peter Burling. Die entscheidende Szene in dem packenden Duell spielte sich bei der Rundung der vierten Marke ab und geriet zum Aufreger des Tages.
Da retten sich die Kiwis in den Drei-Längen-Kreis. Artemis kommt von außen mit hoher Geschwindigkeit und schafft es, sowohl die Kiwis als auch die Marke zu umkurven und die Führung zu übernehmen. Die Schweden sind überzeugt, den Neuseeländern genügend Raum gelassen zu haben. Für die Schiedrichter auf dem Wasser hat es anders ausgesehen: Für sie liegt das Emirates Team New Zealand die Tonne mit Wegerecht an. Da Artemis die Marke ohne Wegerecht relativ weit rundet, die Kiwis aber zur Kollisionsvermeidung zwischen Artemis und der Tonne wenden, entscheiden die Umpires nach den klassischen Backbord-Steuerbord-Wegerechtsregeln gegen Artemis. Das Runden der Bahnmarke spielt für diese Entscheidung nur eine nachrangige Rolle. Peter Burling berichtet später in der Pressekonferenz: "Wir haben das initiiert. Es war unsere einzige Chance." Die Schiedsrichter verpassen Artemis einen Penalty – schon den zweiten in diesem Rennen. Davon erholen sich die Schweden auf der kurzen Zielgeraden naturgemäß nicht mehr. Sie müssen – bei großem Vorsprung – laut Reglement warten, bis ihr Gegner sie überholt hat, was schließlich auf der Ziellinie der Fall ist. An Bord der "Magic Blue" hört man während dieser Schlussszenen immer wieder den Taktiker und anerkannten Fairplayer Iain Percy entsetzt brüllen: "No way!", "No way!", "No way!". Doch der Punkt geht an die Kiwis, während die Schweden das Geschehen auch im Ziel noch nicht fassen können. Nathan Outteridge erklärt später in der Pressekonferenz, dass sein Team den Neuseeländern genügend Raum gegeben habe. Auch in den sozialen Netzwerken wird heftig darüber gestritten. Doch die Schiedsrichter waren anderer Meinung. Wozu Neuseelands Steuermann und Olympiasieger Peter Burling ganz cool konstatierte: "Es ist ja hier wie in jedem Sport: Man muss nach der Pfeife tanzen."
Aktualisierung, Montag (23.32 Uhr): In einem Statement des America's Cup Race Management (ACRM) wird am späten Montagabend eingeräumt, dass die Schiedsrichter nach ihrer ausführlichen Nachbesprechung des Falls Artemis gegen das Emirates Team New Zealand im Nachhinein anders entschieden hätten. Dieses sehr seltene und schnelle Einräumen einer Fehlentscheidung überraschte positiv. In einem Interview mit dem Chef-Schiedsrichter Richard Slater sagt der: "Als sie zu diesem finalen Tor kamen, sagte uns die uns zu diesem Zeitpunkt vorliegende Information, dass Artemis ohne Wegerecht auf Steuerbordbug segelte und das Emirates Team New Zealand auf Backbordbug. Unser Job ist es sicherzustellen, dass Artemis sich frei hält. Wir waren zu diesem Zeitpunkt nicht sicher, dass sie es tun. Wir hatten inzwischen eine Diskussion darüber und haben uns auch andere Beweise, Informationen und Daten angesehen. Ich denke, dass wir, wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten und die Entscheidung noch einmal zu treffen hätten, die grüne Flagge gezogen und Artemis nicht bestraft hätten." Die Tatsachenentscheidung aber steht und ist im Nachhinein nicht mehr zu ändern.
Im dritten und schon letzten Duell des kurzen Segeltages konnten die Franzosen nicht mehr halten, was sie bei ihrem furiosen Sieg gegen die Briten versprochen hatten. "Uns fehlte schlicht die Energie", räumte Skipper Franck Cammas ehrlich ein. Sprich: Seine Grinder konnten nicht mehr für jedes Manöver die maximale Kraft liefern, waren ausgepowert. Das Groupama Team France hatten offenbar alle Energie in den ersten Sieg gesteckt und wirkte im Duell gegen Dean Barkers SoftBank Team Japan wie ein Marathonläufer mit Krämpfen und ohne jede Chance. Sir Ben Ainslie muss sich von Land sehnlichst gewünscht haben, den Franzosen erst in diesem Match und nicht schon im ersten begegnet zu sein. So aber war er der große Verlierer des Tages. Neben Artemis, die aber im Gegensatz zu den Briten die Hinrunde der Qualifikation mit dem guten Gefühl einiger sehr stark absolvierter Rennen beenden konnten.