Dieser Montag hatte im Finale der Herausforderer-Runde zum America’s Cup ein Ruhetag sein sollen. Doch in Barcelona ruhte niemand. Der vorausschauende Renndirektor Iain Murray hatte zum Wochenbeginn die Rennen 5 und 6 angesetzt. Wohl wissend, dass für den Folgetag mit Starkwinden zu rechnen ist und es im weiteren Verlauf der Woche noch einmal flau werden kann. Murrays Entscheidung hat sich als goldrichtig entpuppt.
Barcelonas America’s-Cup-Bühne zeigte sich am 30. September von ihrer sonnigen Seite. Die beiden Duelle zwischen den Louis-Vuitton-Cup-Finalisten Ineos Britannia und Luna Rossa Prada Pirelli begannen in Winden zwischen 16 und 19, 20 Knoten. Der typische Südwestwind namens „Garbi“ blieb knapp unter dem Windlimit von 21 Knoten. Bei relativ flachem Wasser war alles angerichtet für eine weitere Muskelschau der potenten Cup-Jäger aus Großbritannien und Italien.
Beim Stand von 2:2 in den Tag gestartet, hatten Experten wie Fans die Duelle unter Hochspannung erwartet. Im ersten Rennen konnten die Briten glänzen. Ein präzise gesetzter Matchrace-Schachzug in der Vorstartphase brachte noch vor dem Startschuss für Rennen 5 die Vorentscheidung. Da hatte sich “Britannia” in der letzten halben Minute vor Rennbeginn vor den Bug der gegnerischen “Luna Rossa” gesetzt. Die Abwinde taten ihr übriges. Die Italiener fielen von den Foils.
Heute wurde alles in den Starts gewonnen. Oder verloren.” Dylan Fletcher
“Luna Rossas” Co-Piloten Jimmy Spithill und Francesco Bruni erholten sich davon zwar in den frischen Winden recht schnell. Dennoch nahmen “Britannias” Steuermänner Ben Ainslie und Dylan Fletcher den hübsch erworbenen Vorteil mit ins Rennen. Dass sie diesen Siegpunkt dann tatsächlich kassieren konnten, war ihrer extrem konzentrierten Verteidigung zu verdanken. Denn die “Luna Rossa”-Crew fightete, biss sich am Heck von “Britannia” fest, machte Druck.
Beinahe wurden die Attacken der Azzurri und ihr Lauern auf eine Gelegenheit zum Überholen am Ende noch belohnt. Eine solche Gelegenheit bot sich, als Sir Ben Ainslie und seine Crew um die Steuerbordtonne am Leegate gingen. Da kam die Briten-Rakete kurz ins Schlingern, setzte kurz aufs Wasser auf, konnte sich aber auf den Foils halten. Dennoch reduzierte der Ausrutscher den Vorsprung. “Das hat uns Distanz gekostet”, räumte Co-Pilot Dyland Fletcher ein.
Und plötzlich lieferten sich “Britannia” und “Luna Rossa” auf der Kreuz wieder ein klassisches Matchrace-Duell, in dem sich die Briten knapp vorne halten konnten. Nach engem Schlagabtausch auf der rechten Kursseite konnten Ben Ainslie und sein Co-Pilot Dylan Fletcher das “Luna Rossa”-Duo Spithill/Bruni auf der langen Steuerbord-Anlegelinie in Schach halten und das letzte Luv-Tor mit acht Sekunden Vorsprung runden.
Daraus machten die acht Segler und Fahrradfahrer auf “Britannia” im Ziel einen Zwölf-Sekunden-Sieg. Zu gerne hätten sie danach auch Rennen 6 in diesem Finale der Herausforderer-Runde zum America’s Cup gewonnen. Da aber spielten die Italiener nicht mit. Sie ließen sich in der Vorstartphase nicht noch einmal aus dem Takt bringen. Der Wind war inzwischen weiter auf Südwest gedreht. Das Rennen begann mit einem kurzen umstrittenen Sprint zur linken Kursbegrenzung. Sieben schnelle Führungswechsel zeigten, wie eng es dabei kurzfristig zuging.
Die Italiener nutzten dann mit Vorfahrtsvorteil – und “Britannia” nun in Lee – die Wende zum Ausbau ihrer Führung. Die gaben sie bis ins Ziel nicht mehr ab. Ob sie den Tick schneller waren, oder – wie Dylan Fletcher sagte – es ihnen gelang, “einen hübschen Dreher auf der rechten Seite mitzunehmen”: der zweite Siegpunkt des Tages gehörte Luna Rossa Prada Pirelli.
Die Linie kreuzten Jimmy Spithill, Francesco Bruni, Andrea Tesei, Umberto Molineris, Bruno Rosetti, Enrico Voltolini, Emanuele Liuzzi und Cesare Gabbia mit 17 Sekunden Vorsprung. “Britannias” Crew mit Ben Ainslie, Dylan Fletcher, den Trimmern Bleddyn Mon und Leigh MacMillan sowie den Radfahrern Ryan Todhunter, Harry Leask, Luke Parkinson und Neil Hunter konnten den Silberblitz nicht mehr gefährden. “Luna Rossa” rauschte mit 51 Knoten ins Ziel.
3:3 steht es im Duell der Giganten unter den Herausforderern. Nicht einmal die Crews wollten am Montag in Barcelona bezweifeln, dass ihre Serie alle Chancen auf die volle Distanz hat. Sieben Siegpunkte braucht der Gewinner, um das Ticket zum Einzug ins 37. Match um den America’s Cup zu lösen. Damit kann es maximal zu 13 Rennen kommen. “Es ging heute 50:50 aus. Das Spiel läuft und wir sind bereit für einen guten Kampf”, sagte Francesco Bruni – und lächelte.
Ob er glaubt, dass das Finale über die volle Distanz von 13 Rennen geht oder er und sein Team eine Abkürzung kennen? “Ich weiß nicht, dafür bräuchte ich eine Glaskugel. Eine Abkürzung kenne ich auch nicht. Es ist hart.” Ob Bruni die Einschätzung teilt, dass die Briten einen Vorwind-Vorteil und “Luna Rossa” Vorzüge an der Kreuz hat? “Manchmal vielleicht, es hängt von den Bedingungen ab. Heute sah es so aus, aber jeder Tag ist anders. Morgen könnte es wieder anders sein”, antwortete der 51-Jährige aus Palermo vorsichtig.
Luna Rossa Prada Pirellis Coach Hamish Willcox erklärte dazu, dass die an diesem Tag beständigen Winde ebenfalls dazu beigetragen hätte, dass es für die hinten liegenden Teams “kaum Überholspuren” gab. Auf die Frage nach entscheidenden Momenten im Rennen sagte Willcox: “Einer war, als ich hörte, dass wir der Kursbegrenzung bis auf 1,5 Meter nahe gekommen sind. Das hätte ein sehr entscheidender Moment werden können…”
“Man hat heute gesehen, dass ein, zwei kleine Fehler den Unterschied machen können.” Dylan Fletcher
Für die britischen Kontrahenten sagte Ben Ainslies Co-Steuermann Dylan Fletcher: “Man hat heute auch deutlich gesehen, wie wichtig die Vorstartphase ist.” Mit 36 Jahren ist Dylan Fletcher bei seiner America’s-Cup-Premiere der mit Abstand jüngste der vier Steuerleute der beiden Finalisten im Louis Vuitton Cup. Der 49er-Olympiasieger von 2021, dessen Vorschoter Stuart Bithell im SailGP das Germany SailGP Team um Erik Heil verstärkt, kam spät ins britische Cup-Team.
Dylan Fletcher füllt seine Rolle als Co-Pilot von Segelstar Ben Ainslie bislang stark aus. Sein Blick auf den vierten Renntag fiel sachlich aus: “Wir haben im ersten Rennen die Führung übernehmen und gut verteidigen können. Im zweiten Rennen konnte ‘Luna Rossa’ gut verteidigen. In den Winden von heute ist es wirklich schwer zu überholen. Was der Vorstartphase nur noch mehr Gewicht verleiht. Das ist nichts wirklich Neues, zeigt einfach nur, wie eng diese Boote beieinander liegen.”
Die Quintessenz aus den jüngsten Erkenntnissen auf dem Kurs fasste der britische Ruder-Olympiasieger Matt Gotrel zusammen, der “Britannias”-Radfahrteam verstärkt und für Power an Bord von “Britannia” sorgt: “Wir sind jetzt ziemlich happy mit der Bootsleistung über alle Windbereiche. Jetzt geht es mehr um die bessere Umsetzung deiner Segelfähigkeiten.” Das sind gute Nachrichten für den Sport und die Fans: die Spitzenteams und ihre Boote der zweiten Generation der AC75-Foiler sind sehr eng zusammengerückt – und sorgen damit für wachsende Spannung.
Hier geht es zu den Ergebnissen im Louis-Vuitton-Cup-Finale nach sechs von maximal 13 Duellen zwischen Ineos Britannia und Luna Rossa Prada Pirelli.