Lars Bolle
· 28.02.2013
Der schwedische Verteidiger gibt Fehler zu und kündigt einen Wechsel der Konstruktions-Strategie an. Jetzt will auch er das Fliegen lernen
Nur vier Monate vor Beginn der America’s-Cup-Ausscheidung überrascht das Team des schwedischen Milliardärs Torbjörn Tornqvist mit einem vermeintlichen Eingeständnis von Schwäche. "Wir müssen uns mehr zum Foilen bekennen", sagt Paul Cayard, Teamchef bei Artemis Racing, dem Segel-Informationsdienst Scuttlebutt. Mit "Foilen" ist das Fliegen auf Tragflächen gemeint, das die drei anderen Teams Oracle Racing, Emirates Team New Zealand und Luna Rossa bereits seit Längerem mehr oder weniger erfolgreich praktizieren.
Die Trainingstage gemeinsam mit Cup-Verteidiger Oracle Racing hätten wertvolle Aufschlüsse geliefert, so Cayard. Der Teamchef gewährt zugleich Einblicke in die komplexe Konstruktionsstrategie, die diese noch junge Segeltechnik erfordert.
"Wenn wir über Foiling reden, meinen wir erst einmal nur die Verringerung der Verdrängung des Bootes. Diese wird durch den Lift erreicht, der am Flügel des Ruderblattes und durch die Form der Schwerter entsteht. Aber dabei gibt es nicht nur schwarz oder weiß, sondern Foiling bedeutet eine Spanne zwischen null und dem gesamten Gewicht des Bootes. Ein komplett foilendes Boot heißt, dass das ganze Gewicht aus dem Wasser gehoben wird", so Cayard.
Der erste schwedische AC72-Katamaran habe J-förmige Schwerter, die zwar auch Lift erzeugen, jedoch nicht so viel, um das gesamte Boot anzuheben. "Das Spiel beim Foiling ist, Lift und Widerstand gegeneinander abzuwägen", sagt Cayard. Je mehr Lift ein Flügel erzeuge, desto höher sei auch sein Widerstand. Die L-förmigen Schwerter der Konkurrenz hätten mehr benetzte Oberfläche als ein J-förmiges, zugleich sei der Anstellwinkel in der Strömung wesentlich steiler, der Widerstand also deutlich höher. Dafür erzeugten sie mehr Lift.
"Die Konstruktionsprogramme der Teams können vorhersagen, was mehr Widerstand kostet und wie viel mehr Lift bringt. Und man muss sagen, wir haben es falsch gemacht", gibt Cayard erstaunlich offen zu und feuert damit zugleich eine Breitseite gegen einen der derzeit besten Konstrukteure der Welt, den Chefdesigner des Teams Juan Kouyoumdjian. Es sei besser, sich das jetzt einzugestehen, statt es erst im Juli zu merken, so Cayard weiter. "Was wir noch herausfinden müssen, ist, wie stark sich L-Foils auf die Manövrierbarkeit und das Beschleunigungsvermögen vor dem Wind auswirken. Aber sie scheinen bei Oracle kein großes Hindernis zu sein, wenn überhaupt."
Die Entscheidung, auf einen komplett foilenden Kat umzusteigen, bedeute, dass das bestehende Boot umgebaut werden müsse. Die Schwerter, Schwertkästen und Ruder müssten neu konstruiert werden. Deshalb gehe der Kat jetzt für drei Wochen in die Werft. Zeitgleich werde ein AC45-Kat umgerüstet, um mit diesem das Foilen zu trainieren. Aber auch nach dem Umbau würde der AC72-Kat sich nicht komplett aus dem Wasser heben. Ihn dafür zu modifizieren würde zu lange dauern.
Dafür soll der zweite Kat fliegen, spätestens Ende Mai zum ersten Mal getestet werden. Dann jedoch hat die Konkurrenz aus den USA, Neuseeland und Italien bereits seit mehr als einem halben Jahr das Fliegen geübt.
Artemis Racing war der erste Herausforderer von Oracle Racing, der sogenannte Challenger of Record. Das Team um Paul Cayard hat zusammen mit dem US-Teamchef Russell Coutts die Bedingungen, also auch die Boote für diese Verteidigung festgelegt. Umso erstaunlicher ist deshalb, dass Artemis Racing offenbar in einer Sackgasse gelandet ist und jetzt unter Zeitdruck gerät, denn die Ausscheidung der Herausforderer, also die Races gegen Italien und Neuseeland, beginnen bereits am 9. Juli.
Wohl noch nie hat ein Herausforderer so kurz vor dem Cup zugegeben, sich bei der Konstruktion verkalkuliert zu haben. Warum also macht Cayard das? Sollte stimmen, was er zu Protokoll gibt, so können die beiden anderen Herausforderer die Schweden eigentlich abschreiben. Denn die haben nur einen guten Monat Zeit, ihren Race-Kat und sein neues Fahrverhalten kennenzulernen, was kaum reichen dürfte, um konkurrenzfähig zu sein.
Oder handelt es sich um eine Nebelkerze, was im Cup-Geschäft ja auch nicht wirklich verwunderlich wäre? Die Antwort werden wohl erst die Races liefern.