Tatjana Pokorny
· 11.05.2020
25 Jahre nach dem ersten Kiwi-Triumph im America’s Cup spricht der neuseeländische Teamchef Grant Dalton über rote Socken, unvollendete Aufgaben und Corona
Kurz vor dem 25. Jahrestag des ersten neuseeländischen America’s-Cup-Sieges am 13. Mai 1995 gab Neuseelands Teamchef YACHT online eines seiner eher seltenen Interviews. Der 62-Jährige war als siebenmaliger Weltumsegler zu Weltruhm gelangt und hatte schon 1981/1982 zur Siegercrew auf der legendären „Flyer II“ von Cornelis van Rietschoten gehört, bevor er 2003 beim Emirates Team New Zealand an Bord ging und die Mannschaft seitdem durch alle Höhen und Tiefen steuert. Seine Mission erfüllte „Dalts“ nach einer Reihe von Tiefschlägen 2017 vor Bermuda, als die Kiwis sich „ihre“ 2003 verlorene Silberkanne mit dem fulminanten Sieg über Larry Ellisons Oracle Team USA zurückholten. Mit dem America’s Cup endlich in seinen Händen, liefen dem Hartgesottenen auf der Partybühne von Bermuda sogar stille Tränen des Glücks und der Erleichterung übers Gesicht. Im März 2021 soll nun im Hauraki Golf vor Auckland die erfolgreiche Verteidigung gelingen. In Zeiten der Corona-Pandemie eine in mehrfacher Hinsicht anspruchsvolle Herausforderung.
Herr Dalton, was fällt Ihnen zum ersten neuseeländischen America’s-Cup-Triumph ein, der vor 25 Jahren am 13. Mai 1995 vollendet war?
Ich glaube nicht, dass es viele Kiwis gibt, die damals gelebt haben und sich heute nicht an unseren Sieg von 1995 erinnern. Wie jedes Mal, wenn wir am America’s Cup teilnehmen, kommt das Land buchstäblich zum Erliegen.
Was hat der erste Cup-Sieg für Neuseeland und den Segelsport in Ihrem Land bewirkt?
So vieles! Man sagt, dass Erfolg immer neuen Erfolg erzeugt. Das ist bei uns ganz sicher der Fall. Das große Interesse am Segeln hat es in Neuseeland immer gegeben. Das hing vorher aber hauptsächlich mit dem Whitbread Round the World Race zusammen. Das mündete in den America’s Cup, seit Neuseeland 1987 erstmals teilgenommen hat. Der America’s Cup hat dann in den Jahren bis 1995 die Fantasie des Landes im Vorwege von 1995 beflügelt. Als wir gewannen, war das gigantisch. Es gab keinen Menschen in Neuseeland, der das nicht wusste. Damit rückte der Segelsport noch mehr ins Rampenlicht. Die Kinder wollten alle mit dem Segeln anfangen. Für die guten Jungs wurde das Segeln zum tragfähigen Beruf. Man sieht das heute auf allen Ebenen des Segelsports. Und natürlich bei Jungs wie Peter Burling oder Josh Junior, alle amtierende Weltmeister, die noch kleine Kinder waren, als Neuseeland den Cup 1995 gewann.
Sie haben das Emirates Team New Zealand nach Ihrer Übernahme als CEO infolge der Niederlage 2003 im Heimatrevier durch Dick und Dünn geführt, zwei sehr schmerzhafte Niederlagen hinnehmen müssen und schließlich den süßen Sieg vor Bermuda erlebt. Ihre eigenen Tränen bei der Entgegennahme der Silberkanne waren in Bermuda die stillen Zeugen einer bis dahin 14 Jahre währenden sportlichen und emotionalen Achterbahnfahrt. Damit hatte sich der Kreis für das Team und Sie persönlich geschlossen. Was treibt Sie im Alter von 62 Jahren jetzt noch an, das Emirates Team New Zealand weiterhin zu führen?
Sicher gab es auf dem Weg nach Bermuda 2017 dieses Element der unvollendeten Aufgabe. Da war erst die knappe Niederlage 2007 in Valencia und dann San Francisco 2013, wo wir dem Sieg so nahe gekommen waren wie nur irgendwie denkbar, aber nicht gewinnen konnten. Ich kann versichern, dass es uns bei allem, gegen das wir dann antraten, nicht an Motivation gefehlt hat. Nachdem wir in Bermuda gewonnen hatten, gab es plötzlich eine neue Motivation: den Cup nach Neuseeland zu bringen und das bestmögliche Event mit den revolutionärsten Booten der AC75-Klasse zu kreieren, um ein Spektakel aufzusetzen, sodass die Augen der Welt auf unser kleines Land schauen, während wir darum kämpfen, den Cup erneut zu gewinnen. Das vorausgeschickt, ist wirklich auch das Team selbst eine große Motivationsquelle. Wir haben unglaubliche Talente im Vorstand, in allen Abteilungen. Es ist sehr inspirierend, dieses Team bei seiner Erneuerung und der Arbeit in Richtung eines klar definierten Ziels zu erleben.
Wo steht Ihr Team zehn Monate vor dem 36. Duell um den America’s Cup im März 2021 vor Auckland?
Ich denke, das habe ich in meiner vorherigen Antwort schon angedeutet. Ich denke, wir haben das stärkste Team, das wir für diese Kampagne nur haben können. Ich weiß sicher, dass wir seit Bermuda einen großen Schritt vorwärts gemacht haben. Das musste ganz offensichtlich passieren, denn sonst wären wir bei der Verteidigung im kommenden Jahr in keiner guten Position. Unsere Chancen? Wer weiß… Das ist ja immer das Schöne und macht die Magie des America’s Cup aus: Du hast nie eine signifikante Erkenntnis dazu, wo du stehst. Nicht bis zum ersten Rennen im America’s-Cup-Match. Man kann Hypothesen aufstellen, so viele man will, aber man weiß es nie genau. Über diese Gedanken hinaus, befinden wir uns inmitten der Covid-19-Pandemie, die die Welt aus den Angeln gehoben hat. Wir mussten zwei Regatten der America’s-Cup-Weltserie absagen, die vielleicht einige Einblicke gegeben hätten. Nun werden sich die Teams erstmals im Dezember auf dem Wasser treffen (Red.: Geplant ist dann die Austragung der letzten, nach den Ausfällen verbliebenen Regatta der America’s-Cup-Weltserie vor Auckland) – nur wenige Wochen vor dem Haupt-Event. Damit sind die Teams bei dieser Auflage und in dieser Situation ziemlich auf sich gestellt, müssen Entscheidungen treffen und sich die ganze Zeit selbst rückversichern. Diesbezüglich denke ich, dass es ein faszinierender America’s Cup wird.
Hat die Corona-Pandemie die Chancenverteilung unter den drei Herausforderern und Ihrem Team als Verteidiger verändert?
Wer weiß. Sie hat auf jeden Fall die Pläne aller Teams in signifikanter Weise verändert. Unsere erste AC75-Yacht hat eine sechsmonatige Rundreise durch Europa und zurück absolviert. Wir haben sechs Wochen und damit etwa 8000 Mannstunden Bauzeit für unsere zweite AC75-Yacht verloren. Das sind Fakten, die unsere Chancen nicht gerade verbessert haben. Dies vorausgeschickt, sind natürlich alle Teams davon betroffen. Manche mehr als andere. Tatsächlich wird der Gewinner dieser America’s-Cup-Auflage wahrscheinlich das Team sein, das mit den Veränderungen klarkommt und dem die Adaption unter den gegebenen Umständen am besten gelingt.
Viele große Sportereignisse und namhafte Regatten mussten aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. Wie gefährdet ist die Austragung des America’s Cup 2021 aus heutiger Sicht?
Es ist völlig klar, dass Covid-19 so ziemlich alles beeinflusst. Und das auf globaler Ebene. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir die Pandemie als Land bislang offensichtlich ziemlich effektiv gemanagt haben. Aus Veranstaltungssicht ist klar, dass alle Interessensgruppen motiviert und engagiert sind, den America’s Cup im kommenden Sommer (Red.: Winter/Frühjahr in Europa) auszutragen.
Was werden im Kampf um den Sieg im 36. America’s Cup die wichtigsten Stärken eines Teams sein?
Die Gleichen wie immer: gutes Design, Innovation, ein schnelles Boot, gute Segler. Und Anpassungsfähigkeit.
Werden die legendären roten Socken für Ihr Team wieder eine Rolle spielen?
Die roten Socken sind ein Geschenk, das immer wieder neu gemacht wird. Alles hat damit begonnen, dass Peter Blake (Red.: der die Socken von seiner Frau Pippa geschenkt bekommen hatte) sie in einem Rennen im Louis Vuitton Cup 1995 nicht getragen hat. Es war eines der ganz wenigen Rennen, das nicht gewonnen werden konnte. Danach stiegen die roten Socken plötzlich raketenartig zu einem beinahe ikonischen Kiwi-Symbol auf. Die Öffentlichkeit holt sie jedes Mal wieder hervor, wenn der America’s Cup läuft. Die roten Socken zählen zu den Dingen, die immer da sein werden, solange es ein neuseeländisches Team im America’s Cup gibt.
Sehen Sie unter Ihren drei möglichen Gegnern für das Cup-Duell – dem britischen Ineos Team UK um Sir Ben Ainslie, American Magic vom New York Yacht Club mit Skipper Terry Hutchinson und Patrizio Bertellis Luna Rossa Prada Pirelli Team – einen Favoriten für die Herausfordererserie Prada Cup?
Das ist schwer zu sagen. Sie machen alle einen starken Eindruck. Am Ende des Tages müssen wir gegen das stärkste Team antreten. Wir müssen also besser sein als alle, wenn wir den America’s Cup im März erfolgreich verteidigen wollen.
Was macht für Sie die Faszination America’s Cup aus?
Offensichtlich die Historie der Regatta als älteste Trophäe im internationalen Sport, die sogar noch vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg datiert. Das ist erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt. Außerdem der Fakt, dass dieser Wettbewerb seitdem das Synonym für Technologie und ein starker Motor für Innovationen ist. Und dann natürlich das Wissen darum, wie verdammt schwierig es jedes Mal wieder ist, den America’s Cup zu gewinnen.