Liebe Leserinnen und Leser,
Abstand gewinnen – für viele Seglerinnen und Segler steht dieses Ziel ganz oben, wenn es auf Törn geht. Freikreuzen vom Alltag. Räumlich, körperlich, geistig. Wenn man nicht gerade eine einsame Ankerbucht für die Nacht anpeilt oder sogar abseits aller Ufer unterwegs ist, ist das abendliche Festmachen aber genauso Teil des Erlebnisses. Schließlich hat auch der Landgang seine Reize, vom Sightseeing bis zum Sundowner am Strand – und davon abgesehen ist man am nächsten Tag ja ohnehin wieder auf dem Wasser, allein mit sich, der Sonne, dem Wind.
Also alles ganz entspannt, oder? Nun ja. Eine Situation gibt es im Hafen, die mehr „Nähe“ als andere erfordert, und daher auch mehr Umsicht und Rücksicht: das Päckchen. Jeder kennt die Situation, wenn sich die Spannung beim Einlaufen in Gewissheit verwandelt. Entweder ist schon zu Beginn kein Einzelplatz mehr frei oder es ist so viel los, dass die Wahrscheinlichkeit minimal ist, allein zu bleiben, selbst wenn man noch die letzte Lücke längsseits ergattert. Ein Nachbar kommt bestimmt noch. Oder zwei, oder drei, oder vier.
Alle Yachten sind miteinander verbunden, alle aufeinander angewiesen, wenn es ums An- und Ablegen geht. Dazu dienen alle innen liegenden Mitglieder dieser „Gemeinschaft“ den anderen als schwimmende Brücke zur Pier. Bereitschaft zur Kooperation und kollegialer Umgang sollten also selbstredend sein, schließlich kann jede Crew zu jeder Zeit in eine solche Situation geraten und auf andere angewiesen sein.
Leider ist diese simple Einsicht nicht jedem gegeben. Das war in diesem Sommer nicht anders: Zuletzt erreichten dazu gleich mehrere emotionale Zuschriften unsere Redaktion. In einem Fall wurden sogar bereits belegte Leinen vom Innenlieger einfach wieder losgeworfen, alles andere als ungefährlich in einem Revier wie den Kanalinseln mit ihren starken Gezeitenströmen.
Und dennoch erlebt man es immer wieder. Mein abschreckendes Beispiel: In einem Inselhafen der Bretagne hatte die Hochglanz-Maxi eines deutschen Yachtclubs fast die ganze Mauer belegt. Statt einem einladenden Fender hing ein aufwändig hergestelltes, gut lesbares Schild außenbords: „bord-à-bord interdit!“ Längsseits gehen verboten! Offenbar war den deutschen Gästen das internationale Renommée ihres Vereins weniger wichtig als das spiegelnde Gelcoat ihres schneeweißen Dickschiffs.
So unschön solche Erlebnisse auch sind, es sind zum Glück nur jene Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Für die allermeisten Wassersportler ist bei aller Individualität auch das Bewusstsein für die Gemeinschaft selbstverständlich. Unabhängig von den Vorgaben guter Seemannschaft und spezieller Etikette zählt gesunder Menschenverstand: miteinander statt gegeneinander.
Viel gehört wirklich nicht dazu: Das Fragen vor dem Längsseitsgehen, die Hilfe beim Manöver, die Absprachen zu den Leinen und zur gewünschten Startzeit des Innenliegers am nächsten Morgen. In richtiger Höhe abfendern, nie an Relingstützen oder Seezaun ziehen, immer über das Vorschiff gehen und – wie unser unvergessener Kollege Manne immer sagte: „Schoh uttrecken.“ Schuhe aus, bevor man nach der Landpartie zurück an Bord des Päckchenpartners klettert – zumindest, wenn sie „schietig“ sind, also dreckig.
Wie gesagt, es sind nur Wenige, die Wellen schlagen. Wenn ich in dieser Saison in Schweden im Päckchen lag, war immer alles bestens. Und mehr als einmal gab’s dabei sogar sehr gute Tipps der Einheimischen. Ein Highlight des Törns hätten wir glatt verpasst ohne diese Begegnung.
Meine schönste Geschichte zum Thema? Kommt ebenfalls aus Schweden, von der Westküste: In einem kleinen Hafen waren nur Päckchen aus maximal drei Booten erlaubt, weil der Sund an dieser Stelle sehr eng war. Wir lagen in der Mitte, außen eine Fahrtenyacht aus Norwegen. Man plauderte miteinander. Drüben hatte man gerade noch einen Kaffee gekocht und wollte dann entspannt in ein oder zwei Stunden weiter.
Als im Fahrwasser jedoch ein weiterer Segler auftauchte und keinen Platz fand, ließ das junge norwegische Pärchen kurzerhand den Kaffee stehen, verabschiedete sich fröhlich von uns und machte sich sofort auf den Weg. „Have a nice stay!“, rief die Skipperin noch zu den Neuen hinüber. Die bedankten sich und lagen kurz darauf selbst bei uns längsseits. Schnell waren wir wieder im Gespräch. Wie man das im Päckchen so macht.
Christian Tiedt
YACHT-Redakteur
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