Liebe Leserinnen und Leser,
ein halbes Jahr ist eine lange Zeit. So lange war ich nicht am Schreibtisch. Fast auf den Tag genau 10 Jahre nach meinem ersten Tag bei der YACHT bin ich Vater geworden und wechselte von der Tatstatur an den Wickeltisch. Einen Großteil des Sommers, fast drei Monate, verbrachten meine Frau, das Baby und ich an Bord. Keine Termine, das Ende des Sommers und der Elternzeit in unvorstellbar weiter Ferne, einfach nur toll! An der schwedischen Küste waren wir nicht wirklich weit weg von zuhause, aber wir waren so raus aus dem Alltag, es hätte auch ein anderer Planet sein können. Trotzdem drangen Nachrichten vom Weltgeschehen ab und zu auch bis zu uns durch, schienen aber für uns nicht relevant. Ein Attentatsversuch auf den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten? Wow! Wichtiger war mir an diesem Tag in einem kleinen Ort an der schwedischen Küste einen Supermarkt zu finden und den Windelvorrat zu füllen (Pampers, Größe 3).
Zurück am Schreibtisch schrieb ich meine erste Onlinemeldung nach der Elternzeit über die in Folge des Klimawandels zu warme Ostsee und die das dadurch erhöhte Risiko starker Herbststürme. Der Wetterexperte Sebastian Wache erklärte mir bei der Recherche für den Artikel, dass zu hohe Wassertemperaturen der Meere zu stärkeren Unwettern führen. In den Wochen danach trafen mehrere Stürme die Küste der USA, der Stärkste war zuletzt Hurricane Milton, glücklicherweise nicht ganz so zerstörerisch wie anfangs prognostiziert. Auf der Ostsee, vor Warnemünde brannte ein Tanker, die drohende Umweltkatastrophe konnte knapp abgewendet werden. Puh! Und das sind nur Nachrichten zu Umwelt und Wetter. Schaut man sich die Nachrichten zur Weltlage an, kann man schlechte Laune bekommen. Immerhin reichlich Stoff, um hier in dieser Kolumne einen Kommentar zu schreiben, dachte ich.
Das Meer und sein Schutz liegt schließlich allen Wassersportlern am Herzen. Zugegeben, was sollen Segler gegen einen brennenden Tanker ausrichten? Aber es gibt auch Umweltthemen, die uns direkt betreffen: Etwa der Bewuchsschutz am Unterwasserschiff. Eine Neuerung der Chemikalienverbotsverordnung wird ab kommendem Jahr den Zugang zu biozidhaltigen Antifoulings erschweren. Was für ein Thema! Aber ich habe das Gefühl, gedanklich noch nicht ganz aus meinem Büllerbüsommer zurück zu sein. Nicht bereit für derartig ernste Themen und sie dann so ausgewogen und fundiert zu erörtern wie mein Kollege Andreas Fritsch in der vergangenen YACHT-Woche zu den Seegraswiesen. Beeindruckend!
Aber es gibt ja nicht nur schlechte oder entmutigende News. Mit dem America’s Cup sind gerade sportliche Höchstleistungen zu bestaunen, bei der Vendée Globe bereiten sich die Athleten auf den bevorstehenden Start der härtesten Regatta der Welt vor! Nachrichten zum Staunen aber auch maximal weit weg vom Fahrtensegeln. Da habe ich eine kleine Meldung entdeckt: Eine Zweitklässlerin aus Berlin ist Weltmeisterin geworden und alles, was sie dazu brauchte, war ein 3,50 Meter langes Schlauchboot und ein 9,9 PS-Außenborder. Wie schön! Mir war der Sport Schlauchbootslalom vorher noch nicht bekannt. Kein Wunder, mit nur 45 Fahrern und Fahrerinnen zwischen 6 und 27 Jahren in Berlin, ist der Sport kein Massenphänomen. Mit bis zu 30 Stundenkilometern brausen die zum Teil noch sehr jungen Fahrer durch einen vorher mit Tonnen markierten Parkour. Etwa 90 Sekunden dauert die Fahrt.
Wer jetzt denkt: Moment, Kinder im Grundschulalter und fast 10 PS Motorleistung, ist das erlaubt? Auch wenn es so aussieht, sind die Kleinen nicht allein im Boot. Vorne liegt ein Erwachsener, die Leine mit dem Notaus in der Hand. Der Mitfahrer wird „Kielmaus“ genannt, wie süß! Neben Sicherheitsaspekten ist auch das zusätzliche Gewicht im Bug nötig, damit die kleinen Piloten überhaupt in Gleitfahrt kommen und sich das Schlauchboot nicht mit dem Heck festsaugt. Die 7-jährige Jana Pietack, Weltmeisterin aus Berlin, setzte sich in Lettland gegen Kinder aus fünf Nationen durch. Sie betreibt den Sport in der zweiten Saison und nimmt an diesem Wochenende an der Deutschen Jugendmeisterschaft auf dem Beetzsee in Brandenburg Teil. Gemeldet haben 150 Teilnehmer.
Laut ihrem Vater, Sven Pietack, der früher selber aktiver Schlauchbootfahrer war, sind etwa zwei bis drei Wochen Training nötig, bis die Kleinen das Boot sicher genug beherrschen, um Wettkämpfe zu bestreiten. Klingt so, als könnten sich die Kleinen Schlauchbootathleten auch auf Sommertörn in der Ankerbucht mit dem Beiboot auf den Wettkampf vorbereiten (bitte sucht euch nicht mein Boot als Wendemarke aus!). Ok, 3,50 Meter Schlauchboot und fast 10 PS haben die wenigsten als Tender dabei. Aber um nicht aus der Übung zu kommen, reicht das Dingi dann vielleicht doch. Und da holt mich der Ernst des Lebens wieder ein, unter den Kollegen taucht die Frage auf, warum hier überhaupt noch mit Verbrenner gefahren wird. Wäre ein Elektromotor nicht deutlich zeitgemäßer?
Das sehe ich als Verfechter elektrischer Antriebe grundsätzlich auch so. Aber aus dem vergangenen Schlauchboot-Test weiß ich auch, dass damit keine Gleitfahrt drin ist. Erst recht nicht mit einem 3,50 Meter langen Schlauchboot und, nicht zu vergessen, dem zusätzlichen Ballast durch die „Kielmaus“. Und ganz ehrlich, Motorsport ohne Motorengeheul ist doch auch irgendwie langweilig. Was mich an der Meldung zu der jungen Schlauchbootpilotin am meisten freut, ist glaube ich die kleine Flucht aus dem Alltag; in vielfacher Weise. Die Nachricht selber ist eine schöne Abwechslung zu den Krisen und Katastrophen. Dann stelle ich mir vor, dass das Training und der Wettkampf auch für Jana Pietack eine willkommene Abwechslung zu Schule und Hausaufgaben bietet. Und für mich ist es etwas Eskapismus, während ich mich wieder ans Stillsitzen am Schreibtisch gewöhne.
YACHT-Redakteur
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