Liebe Leserinnen und Leser,
endlich, nach über acht Monaten, hat das Spekulieren um die Ursachen des dramatischen Untergangs der „Bayesian“ ein Ende! Der kürzlich veröffentlichte erste Untersuchungsbericht zum tragischen Untergang der 56 Meter langen und 560 Tonnen verdrängenden Riesenslup nimmt allen Verschwörungstheoretikern den Wind aus den Segeln und lehrt auch solche Meinungsmacher das Schweigen, die von Anfang an und ohne konkrete Hinweise, die Schuld einzig bei der Crew – allen voran beim Kapitän – suchten. Die Theorien reichten von: „die Brücke war nicht besetzt“, über „die Badeplattform war offen“, bis hin zu „Die Crew hat geschlafen“.
Wir bekamen Leserbriefe mit der Aufforderung endlich mehr über den „Bayesian“-Untergang zu berichten. Leser wollten wissen, was die Superyacht zum Sinken gebracht hatte. Ein nachvollziehbarer Wunsch, der sich zum frühen Stadium der Havarie-Untersuchung jedoch nicht mit sauberer journalistischer Arbeit in Einklang bringen ließ. Schon Hubert Burda sagte: „Die Aufgabe des Journalismus ist es, zu informieren, nicht zu indoktrinieren.“ Nur mit Fakten lässt sich eine belastbare Geschichte erzählen.
In erstaunlich detaillierter Weise werden in dem nun vom Marine Accident Investigation Branch, kurz MAIB, veröffentlichten Bericht die letzten Stunden an Bord der von Perini Navi gebauten Superyacht beschrieben. Wer den Report liest, stellt fest, dass die Crew kaum für das Unglück verantwortlich gemacht werden kann. Die Überschrift zu diesem Unfall-Report könnte vielmehr lauten: Zur falschen Zeit am falschen Ort. Eine heftige Gewitter- und Sturmfront, die mit 70 Knoten auf „Bayesian“ traf, ließ die Riesenslup innerhalb von nur 15 Sekunden um 90 Grad krängen, was zum Ausfall der Generatoren führte, nur die batteriebetriebene Notbeleuchtung blieb in Funktion. Innerhalb kürzester Zeit drang das Wasser über die Steuerbordseite ein und flutete das Interieur über die Niedergänge. In den folgenden chaotischen Minuten versuchten Besatzung und Gäste, sich aus dem sinkenden Schiff zu retten.
Im Rahmen der Unfalluntersuchung wurde eine detaillierte Stabilitätsanalyse der 56-Meter-Yacht durchgeführt. Die Wolfson Unit der Universität Southampton erstellte ein Modell basierend auf dem Stabilitätsinformationsheft (SIB) des Schiffes. Das Ergebnis ist erschreckend.
Die „Bayesian“ krängte 90 Grad und war damit bereits über der Möglichkeit, sich selbst wieder aufzurichten. Dafür reichte wohl der Wind, der auf den Mast traf: Der Untersuchungsbericht kommt zu dem Schluss, dass bei direktem Seitenwind eine böige Windgeschwindigkeit von mehr als 63,4 Knoten wahrscheinlich zum Kentern des Schiffes führen würde. Diese kritische Windgeschwindigkeit liegt deutlich unter den tatsächlich aufgetretenen Windstärken während des Sturms vor Porticello.
Nun muss die Frage erlaubt sein, warum eine Yacht, die für zwölf Gäste und die gleiche Anzahl an Crew ausgelegt war und gemäß den Klassifikationsvorschiften von ABS, LY2 und MCA-Regularien zertifiziert wurde, über keine ausreichende Stabilität verfügt? Oder anders ausgedrückt, warum besitzt ein für den kommerziellen Charterbetrieb ausgelegtes Schiff einen Kenterpunkt, der zwischen 80 und 90 Grad liegt?
Zum Vergleich: heutige Regattayachten besitzen einen Kenterpunkt bei 120 oder 130 Grad, was bedeutet, dass sich diese Yachten auch noch selbst aufrichten, wenn der Mast schon weit unter Wasser ist. Auch Serienschiffe der bekannten europäischen Werften verfügen über einen Kenterpunkt zwischen 110 und 120 Grad. Dieser Wert bedeutet, dass Crews selbst bei einem Knockdown sichersein können, dass sich ihr Schiff wieder aufrichtet. Ein beruhigendes Gefühl.
Die geschilderten Geschehnisse und die Intensität des unerwarteten Wetterszenarios vor Sizilien erinnern stark an den Sturm, der am 14. August – nur wenige Tage vor dem Untergang der „Bayesian“ – an der Westküste von Formentera für die Strandung von neun Yachten verantwortlich war. Die Bergungsexperten von Pantaenius waren sich nach den Besichtigungen der Yachten und Gesprächen mit den Eignern sicher, dass es sich um das DANA-Wetterphänomen (Depresión Aislada en Niveles Altos) handelte, das in Spanien auch Gota Fría, der kalte Tropfen, genannt wird. Typisch für einen „kalten Tropfen“ sind heftige Regenfälle, Gewitter und sehr starke Windböen, die innerhalb kürzester Zeit und lokal sehr begrenzt auftreten können. Die Intensität des Phänomens kann stark variieren, was es für Segler besonders unberechenbar macht. Gerade im Spätsommer und Herbst, wenn die Wassertemperaturen im Mittelmeer noch hoch sind, besteht ein erhöhtes DANA-Risiko.
Besonders kritisch sind die oft sehr kurzen Vorwarnzeiten. Innerhalb von Minuten können sich die Wetterbedingungen von ruhig zu lebensbedrohlich ändern – genau wie bei „Bayesian“ passiert. Hohe Wellen, schlechte Sicht durch Starkregen und die Gefahr von Blitzschlägen erschweren die Navigation und erhöhen das Risiko von Kollisionen oder Grundberührungen.
Was also können wir normalen Segler aus diesen Szenarien lernen?
Skipper sollten vor jeder Fahrt aktuelle Wetterberichte und Unwetterwarnungen einholen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Vorhersagen für die oberen Luftschichten, da diese Hinweise auf die DANA-Bildung geben können. Es ist ratsam, bei Anzeichen eines herannahenden „kalten Tropfens“ schnell einen sicheren Hafen anzulaufen. An Bord sollten alle losen Gegenstände gesichert und die Crew auf mögliche Notfallsituationen vorbereitet werden. Legerwall-Situationen sollten unbedingt vermieden werden, im Zweifelsfall lieber weit aufs offene Meer rausfahren, um dort abzuwettern. Denn das Gute an brachial wütenden Wettersystemen wie dem „Kalten Tropfen“ oder anderen lokalen Unwettern, ist, sie kommen schnell und sind meist schnell vorüber.
Mit der Veröffentlichung des Zwischenberichtes ist die Ermittlung zum Untergang der „Bayesian“ übrigens noch nicht abgeschlossen. Die involvierten Behörden erhoffen sich von der Untersuchung des Wracks nach der erst kürzlich begonnenen Bergung weitere Hinweise auf die genauen Umstände des Unfalls.
Erstaunlich an der dramatischen Geschichte ist, dass die italienische Werft Perini Navi als Weltmarktführer beim Bau von segelnden Superyachten in den Jahren von 2000 bis 2011 unter anderen elf „Bayesian“-Schwesterschiffe wasserte, von denen alle ketschgetakelt um die Welt segeln – bis dato ohne nennenswerte Havarien und zum größten Teil im Dauereinsatz. Die Ketschtakelung besteht aus einem 58-Meter-Großmast und einem zehn Meter niedrigeren Besanmast. Einzig die Yacht des britischen Milliardärs Lynch lief als Slup mit 72-Meter-Mast vom Stapel. Trotz ihres offensichtlich zu geringen Kenterpunktes segelte das voluminöse Ron Holland-Design seit 2008 über alle Ozeane und geriet bis zum letzten August nie in wetterbedingte Schwierigkeiten. Hatten der Eigner und seine Crew einfach nur Glück, dass sie nicht schon vorher gesunken sind?
YACHT-Chefredakteur
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