Lasse Johannsen
· 30.09.2013
In einem zweiten, längeren Beitrag befasst sich das NDR-Magazin Panorama erneut mit den Hintergründen des dramatischen Surfer-Unglücks
Schon einmal war der Fall Gegenstand eines Fernsehbeitrages im NDR. Heute Abend, um 21.15 Uhr strahlt die ARD bei "Panorama - Die Reporter" unter dem Titel "PS-Piraten" die Langfassung der Geschichte aus. In der Ankündigung ihres etwa 30-minütigen Beitrags schreiben die Autorinnen Anna Orth und Pia Lutz:
"Es war ein strahlender Sommertag an der Ostsee. Im Wasser der Neustädter Bucht dümpelt ein Surfer. Plötzlich ein Knall: Eine große Motorjacht erfasst den Surfer, tötet ihn fast. Er verliert ein Bein und Unmengen von Blut, unzählige Knochen sind gebrochen. Drei Mal müssen ihn die Ärzte wieder ins Leben holen. Der tragische Unfall ist nun zwei Jahre her.
Reinhard Fahlbusch steht am Strand von Scharbeutz und schaut auf die Bucht, in der er drei Jahrzehnte lang gesurft und gesegelt ist. Das Wasser ist voll mit Badenden, Seglern und Surfern. Dazwischen jagen immer wieder Motorboote an der Küste vorüber. Fahlbusch kann den Anblick kaum ertragen. Er geht an die Öffentlichkeit, weil er sich sicher ist, es geht um mehr als sein persönliches Unglück. Er ist an jenem Sonntagnachmittag nicht nur in die Schiffsschrauben einer Motorjacht geraten, sondern mitten hinein in den Kampf zweier rivalisierender Lager, die an der Ostseeküste miteinander streiten. Doch das weiß er erst heute.
Es ist jetzt nicht mehr nur sein persönlicher Kampf um Schuld, Entschädigung und Gerechtigkeit, sondern ein grundsätzlicher Kampf zweier Lager um Geschwindigkeitsbegrenzung, Einhaltung von Sicherheitsnormen und Zuständigkeiten. Es geht um die Frage: Hätte der tragische Unfall des Surfers Fahlbusch vielleicht verhindert werden können?
An jenem Tag im August 2011 genießt der erfahrene Surfer Fahlbusch den Spätsommer auf dem Wasser. Genau wie die Besatzung der acht "Sunseeker"-Motorjachten, die im Neustädter Hafen zur "Baltic Cruise" gestartet sind - einem PR-Ausflug für vermögende Kunden der Luxus-Werft. Das größte Schiff, die "Predator 74", prescht vorweg. Mit 22 Metern Länge, 3.600 PS und 47 Tonnen Verdrängung ist sie die Vorzeigejacht in der Lübecker Bucht. Ihr stolzer Besitzer: ein Lübecker Unternehmer.
Reinhard Fahlbusch hat keine Chance, als der Jachtbesitzer seine Predator annähernd auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt. 38 Knoten, also fast 70 Stundenkilometer, beträgt ihre Geschwindigkeit beim Aufprall. Fahlbusch hat daran keine Erinnerung. Er wacht erst wieder im Lübecker Universitätsklinikum auf, sein linkes Bein fehlt.
Kurz nach dem Unfall wird Jürgen Albers von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) auf den Fall aufmerksam. Die Bundesstelle wird immer dann tätig, wenn ein Unfall mehr als nur ein schicksalhafter Einzelfall zu sein scheint, wenn es Hinweise auf grundsätzliche Fehler gibt. Prüfer Albers wird stutzig, weil ein Polizist nach dem Unfall notiert hatte, der Jachtbesitzer habe den Surfer Fahlbusch möglicherweise gar nicht sehen können. Die BSU lässt das Boot vermessen.
Tatsächlich kommt Albers in seinem Unfallbericht zu dem Schluss, die Sichtfenster der Sunseeker Motorjacht seien so konstruiert, dass der Steuermann kleine Wassersportler wie Surfer oder Segler nicht ausreichend sehen könne. Trotz gültiger Zulassung verstoße das Schiff somit gegen die entsprechende europäische Norm. Albers empfiehlt den verantwortlichen Stellen, die betroffene Jacht und andere Modelle von Sunseeker zu prüfen. Auch Surfer Fahlbusch kennt das Gutachten der BSU. Was ihn besonders frustriert: Bis heute hatte es keine Folgen. Keine der offiziellen Stellen hat die Jachten der Luxuswerft bislang erneut überprüft. Sunseeker selbst erklärt, man habe ein eigenes Gutachten erstellen lassen, das die Sicherheit der Schiffe bestätige. Zur Verfügung stellt man diese Gutachten leider nicht. Sunseekers Jachten rasen weiter über die Meere.
Vor deutschen Küsten können sie das auch ohne jede Begrenzung. Anders als in anderen Ländern gibt es in Deutschland jenseits eines Sicherheitsabstands zur Badezone kein Tempolimit. Dabei war das in der Lübecker Bucht, dem Unfallgewässer, schon einmal anders. Der Segler Karl-Heinz Haase, selbst Anwohner der Bucht, hatte es zusammen mit einer Bürgerinitiative und Lokalpolitikern erwirkt. Doch ein Motorboot-Fan klagte erfolgreich dagegen. Seitdem dürfen Motorboote wieder so schnell sie können durch die Bucht fahren. Jürgen Albers, der Prüfer von der Bundesstelle, kommt in seinem Unfall-Gutachten auch zu dem Ergebnis, eine Geschwindigkeitsbegrenzung in der Bucht hätte den Unfall vielleicht verhindern können. Das BSU reichte dieses Ergebnis an das Bundesverkehrsministerium weiter, mit der Bitte, ein Tempolimit für die Bucht zu prüfen. Doch der zuständige Minister Peter Ramsauer sieht zunächst keinen akuten Handlungsbedarf. Man müsse erst einmal prüfen, wie so eine Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt und kontrolliert werden könne.
Reinhard Fahlbusch ist frustriert. Immerhin hat nun zwei Jahre nach dem Unfall das Amtsgericht Kiel Strafbefehl gegen den Fahrer der Motorjacht erlassen: Acht Monate Haft auf Bewährung und Zahlung von 10.000 Euro an die Seenotretter, so das Urteil. Auch ohne Tempolimit: Angesichts der vielen Wassersportler in der Bucht sei die Geschwindigkeit der Jacht unangemessen hoch gewesen. Der Fahrer hat das Urteil akzeptiert.
Für Reinhardt Fahlbusch ist damit noch lange nicht alles gut. In seinen Augen sind die Motorboote in der Lübecker Bucht ein stetig wachsendes Sicherheitsrisiko für jeden Wassersportler oder Schwimmer. Solange es keine Geschwindigkeitsbegrenzung gebe, könne jeden Tag ein neuer Unfall passieren."