Kino„Styx“: Silberne Lola für Flüchtlingsdrama auf See

Pascal Schürmann

 · 06.05.2019

Kino: „Styx“: Silberne Lola für Flüchtlingsdrama auf SeeFoto: Benedict Neuenfels
Geschockt: Einhandseglerin Rike rettet einen jungen Mann aus dem Wasser, im Hintergrund treibt das überladene Boot mit Flüchtlingen

Soloseglerin trifft auf Flüchtlingsboot – beim Deutschen Filmpreis ist das Drama mit Susanne Wolff in der Hauptrolle in mehreren Kategorien ausgezeichnet worden

Mit einer Silbernen Lola ist beim Deutschen Filmpreis am Freitag das Drama „Styx“ ausgezeichnet worden. Darin trifft eine Einhandseglerin auf dem Atlantik auf ein Flüchtlingsboot. Nachdem klar wird, dass Hilfe von dritter Seite so rasch nicht kommt, muss die Skipperin selbst eine Entscheidung treffen.

Susanne Wolff gewann zudem eine Lola als beste Hauptdarstellerin, und die Preise für die beste Tongestaltung und die beste Kamera/Bildgestaltung gingen ebenfalls an „Styx“ wurde der Film von Marcos Kantis, das Drehbuch schrieben Wolfgang Fischer und Ika Künzel, Regie führte Wolfgang Fischer.

Die Lola ist mit insgesamt knapp drei Millionen Euro die höchstdotierte Auszeichnung für den deutschen Film.

Trailer "Styx"

Traumtörn wird zum Drama – Worum es in dem Film geht

Wie handeln wir, wenn wir helfen müssen? Diese Frage wirft der österreichische Regisseur Wolfgang Fischer in seinem Kinofilm „Styx“ auf, der vergangenen September in die deutschen Kinos kam und inzwischen in vielen Online-Mediatheken gelistet ist.

Im Film bricht die deutsche Notärztin Rike zum Einhandtörn von Gibraltar zur Insel Ascension im Südatlantik auf. Es soll ihre Auszeit vom Job werden, ein lang anvisierter Traumtörn. Doch auf dem Atlantik trifft die Seglerin auf ein überladenes Flüchtlingsboot, das zu sinken droht.

  Am Set: Das Filmteam beim Dreh an BordFoto: Benedict Neuenfels
Am Set: Das Filmteam beim Dreh an Bord

Über Funk informiert sie die spanische Küstenwache und fordert Hilfe an. Die lässt aber auf sich warten, weist jedoch die Seglerin an, selbst auf keinen Fall etwas zu unternehmen. Als Stunde um Stunde verstreicht und die Ärztin zusehen muss, wie Menschen vom sinkenden Schiff ins Wasser springen, entscheidet sie sich zu handeln.

One-Woman-Show auf See

Die Notärztin Rike wird von der deutschen Schauspielerin Susanne Wolff dargestellt, die vor dem Start zum Dreh mehrere Tage mit Lehrern auf See ging, um die Rolle als Einhand-Hochseeseglerin glaubwürdig zu verkörpern. Wolffs Segelerfahrung beruhte bis dahin auf einigen Törns mit dem Vater und Schlägen in der Jolle.

Die große Herausforderung für sie lag neben der überzeugenden Darstellung einer Offshore-Seglerin jedoch auch darin, den Film gerade zu Beginn – ohne vorhandene Dialoge – nicht eintönig wirken zu lassen. Spätestens jedoch in dem Moment, als sie auf das Flüchtlingsboot trifft und in Funkkontakt mit den Behörden tritt, nimmt „Styx“ Fahrt auf und stellt die Skipperin neben der seglerischen Herausforderung vor ein menschliches Dilemma.

Interview zum Filmstart

Die YACHT hat mit Wolfgang Fischer über seine Produktion zu einem hochaktuellen und brisanten Thema gesprochen: Was können und müssen Yachtsegler tun, wenn sie etwa im Mittelmeer auf ein Boot mit Flüchtlingen treffen, die sich in Seenot befinden? Und welche Herausforderungen stellten sich beim Filmdreh auf hoher See? Fischer produzierte den Film fast ausschließlich an Bord einer Grand Soleil 40, fast alle Szenen wurden tatsächlich auf See gedreht.

Das Interview lesen Sie auf der nachfolgenden Seite.

»Wie handeln wir, wenn wir helfen müssen?«
Im Kinofilm  „Styx“  trifft eine Einhandseglerin auf ein Flüchtlingsboot in Not – was tun? Regisseur und Drehbuchautor Wolfgang Fischer über ein hochaktuelles Thema und die Herausforderung, es filmisch umzusetzen

YACHT: Herr Fischer, in Ihrem Film „Styx“ startet eine Einhandseglerin zu einem Törn von Gibraltar zur Insel Ascension im Atlantik. Nicht gerade eine typische Route für den Urlaubstörn – warum segelt Ihre Hauptdarstellerin ausgerechnet dort?


Wolfgang Fischer: Ich habe bei der Vorbereitung zu diesem Film viele Langfahrtsegler gefragt, was für sie besonders eindrucksvoll ist. Die meisten haben gesagt, das sei nach drei Wochen auf blauem Wasser wieder grünes Land zu sehen. Da es in dem Film auch um die Suche nach dem individuellen Paradies geht, will die Hauptfigur in einer Auszeit unbedingt zu dieser kleinen, grünen Atlantikinsel segeln – ihrem ganz persön­lichen Sehnsuchtsort.

Dann entwickelt sich alles aber ganz anders, und sie findet sich inmitten einer Notsituation wieder.

Genau. Die Seglerin wird im Film als Person eingeführt, die ihren Job als Notärztin beherrscht, allein eine Yacht auf dem Meer segeln kann und sogar einen Sturm übersteht. Dann aber gerät sie in ein Dilemma, das viel schlimmer ist, als ein Sturm es sein könnte. Und sie ist gezwungen, da draußen für sich existenzielle Entscheidungen zu treffen.

Dieses Dilemma ist das eigentliche Thema Ihres Films: Wie geht man als Segler mit der Situation um, auf ein überladenes Flüchtlingsschiff zu treffen? Wie sind Sie, als Nichtsegler, auf die Idee zu dieser Fragestellung gekommen?

Ich wollte schon lange einen Film zum Thema Migration machen. Die Frage war, wie man eine sehr persönliche Geschichte zu der Problematik aus unserer westlichen Per­spektive erzählen könnte. Ich habe mit Seglern gesprochen, die im Mittelmeer in einer vergleichbaren Situation waren. Sie erklärten unisono, dass sie nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten. Einer sagte, er habe seine Positionslichter ausgeschaltet und sei weggefahren, weil ihn die Situation einfach über­fordert habe.

Sie wollen mit dem Film aber nicht nur Segler ansprechen, oder?

Nein, natürlich nicht. Das Besondere an der Situation auf der Yacht ist, dass die Einhandseglerin kein Gegenüber hat, mit dem sie ihre Gedanken teilen kann, sondern alle Entscheidungen allein treffen muss. Das kann aber jedem einmal passieren. Es geht also eigentlich um die Thematik: Wie handeln wir, wenn wir urplötzlich helfen müssen? Was können wir machen, und was wollen wir nicht machen? Es geht dabei aber nicht um Schuldzuweisungen und um die Frage, wer der Bösewicht ist. Dafür ist das Thema viel zu komplex.

Ein großer Teil der Dialoge findet am Funkgerät statt. Wie haben Sie diese geschrieben, um möglichst glaubwürdig zu wirken?

Tatsächlich mussten das Filmteam und ich in sehr vielen Bereichen Profis werden, von denen wir überhaupt keine Ahnung hatten, zum Beispiel beim Funken und beim Segeln an sich. Ich habe zuvor zwar einmal eine Segelreise von Norwegen zu den Shetlandinseln gemacht – die hat mich begeistert, genauso wie die archaische Meereswelt. Ich wollte unbedingt einen Film in dieser Um­gebung drehen. Segeln konnte ich aber tatsächlich nicht und habe erst einmal zusammen mit dem Kameramann einen Kursus auf dem Wannsee absolviert und auf kleinen Jollen trainiert. Zum Thema Funk: Dazu haben wir uns von Marinesoldaten und Profiseglern beraten lassen. Wie sie funken, welche Begriffe sie verwenden und so weiter.

Ist Ihre Hauptdarstellerin Susanne Wolff auch im Privatleben eine Seglerin?

Sie hat tatsächlich einen Segelschein, außerdem war ihr Vater Segler und hat sie öfters mitgenommen. Sie ist zuvor aber noch nie auf einem Ozean gesegelt. Wir mussten daher sehr viel üben, haben Trainingswochen in der Ostsee und vor Malta, wo gedreht wurde, mit einem Skipper gemacht, sodass sie das Boot kennenlernen konnte. Wir wollten schließlich zeigen: Dieses Boot gehört ihr, sie kennt es in- und auswendig. Wegen der Versicherung war zwar auch ein Profiskipper mit an Bord, aber Susanne hat die Yacht während der Dreharbeiten wirklich allein gesegelt. Das war wichtig für die Authentizität, die sich durch alle Bereiche zieht: Die Feuerwehrleute sind echte Feuerwehrleute und die Soldaten echte Soldaten. Der Anspruch war, alles in höchstem Maße realistisch zu gestalten und deshalb so viel wie möglich auf dem Meer zu drehen.

Was vermutlich nicht immer ganz einfach war.

Das stimmt. Alle Regisseur-Kollegen haben mir davon abgeraten, einfach, weil man das Meer nicht kontrollieren kann. Es stellte sich ja auch die Frage: Wie dreht man überhaupt auf einem Segelboot?

Und wie geht das?

Wir hatten eine Grand Soleil mit 40 Fuß, mit der waren wir 45 Tage lang fast ununterbrochen mit zehn bis zwölf Leuten unterwegs und haben versucht, diesen Film zu drehen. Mitunter bei 8 bis 9 Beaufort – wir hatten ja einen Zeitplan einzuhalten. Von der technischen Seite her war es eine genauso riesige Herausforderung wie von der physischen und der psychischen. Zumal es keinen Rückzugsort für Crew und Schauspieler gab, auch nicht, als sie seekrank wurden, was etwa dem halben Team passiert ist.

Wie viel vom Film ist auf See entstanden?

Fast alles. Wir haben viel zwischen Malta und Sizilien gedreht, aber auch etwas auf dem Atlantik, dort spielt der Film ja. Man sollte als Zuschauer wirklich das Gefühl haben, dass man mit der Figur auf eine lange Reise geht. Für mich ist das alles extrem faszinierend und neu gewesen, wie eine Person allein das Boot beherrscht, all diese Bewegungsabläufe beim Segeln, das wollten wir auch zeigen. Der Wunsch, lange Einstellungen zu drehen und wenig zu schneiden, um in der Situation zu bleiben, resultierte daraus; der Kameramann war fast immer an Bord. Nur zwei Sturmszenen sind im Wassertank auf Malta gedreht worden, sonst gibt es keinerlei Effekte.

Gerade zu Beginn des Films gibt es keine Dialoge, man schaut der Protagonistin quasi nur beim Segeln zu.

Umso wichtiger war uns, die Geräusche des Meeres abzubilden. Wir wollten das Gefühl vermitteln, wie es ist und wie es sich anhört, auf dem Meer zu sein. Das war komplex, wir haben das Boot teilweise sogar aufgebohrt, um Mikrofone zu installieren. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele wir installiert haben, um Wind- und Unterwassergeräusche einzufangen, um möglichst alles ab­bilden zu können. Unser Tonmann ist sogar nochmal zwei Tage rausgefahren und hat einfach das Meer aufgenommen.

Der Titel des Films wirkt dabei nicht gerade einladend, aufs Meer zu fahren. "Styx" ist in der griechischen Mythologie der Fluss der Unterwelt. Ein düsterer Titel für ein heikles Thema.

Er passt erschreckend gut zu der Geschichte, weil Styx nun mal der Fluss ist, der das Reich der Toten von dem der Lebendigen trennt. Er symbolisiert eine Schwelle, und der Film wirft die Frage auf, was es bedeutet, sich an dieser Schwelle zu befinden. Von Anfang an war daher klar: Der Titel wird "Styx".

Das Interview, erschienen in YACHT 19/2018, führte Kristina Müller