Kristina Müller
· 17.02.2020
Eine junge Crew segelt um die Welt. Gegen den Wind. Sie sucht nachhaltige Technik und Ideen, die ebenso einfach wie genial sind
Als Corentin de Chatelperron im Januar 2020 die boot Düsseldorf besucht, kommt er barfuß in Sandalen. Sicher, das sei ein wenig kalt, erzählt der 36-jährige Franzose mit den krausen Haaren und dem offenen Lachen. Aber andere Schuhe habe er nun einmal nicht. Außerdem komme er gerade aus Mexiko von Bord, da brauche er ohnehin keine warmen Schuhe.
Corentin de Chatelperron ist so ungewöhnlich wie sein Projekt, das er seit vier Jahren vorantreibt. Beinahe um den ganzen Globus hat ihn seine Weltumsegelung mit dem Katamaran "Nomade des Mers" (französisch für "Meeresnomade") seitdem geführt. Inklusive Mastbruch und anderen kleineren wie größeren Katastrophen, und vor allem: gegen die vorherrschende Windrichtung. Aber das habe er noch gar nicht gewusst, als er losfuhr.
Originelle Lösungen gesucht
Denn Segler und Navigator ist Corentin de Chatelperron erst an zweiter Stelle. Die primäre Leidenschaft des Ingenieurs gilt dem Tüfteln und Erfinden. Seit 2016 segelt er daher mit wechselnder Crew von Kontinent zu Kontinent, um auf der ganzen Welt sogenannte Low-Tech-Lösungen zu finden, auszuprobieren, weiterzuentwickeln und zu verbreiten.
Skipper und Erfinder Corentin de Chatelperron fasst das Projekt zusammen (französisch mit englischem Untertitel)
Vor Ort erprobt sein Team originelle Lösungsansätze für die nachhaltige Nutzung und Wiederverwendung von Ressourcen. In Marokko etwa hat es eine Technik zur Meerwasserentsalzung entwickelt; auf Madagaskar Algen für die Ernährung gewonnen und in Sri Lanka Plastikmüll verwertet.
Gewächshaus im Salon, Hühner am Heck
Als Labor dient dabei ihr Schiff, ein VPLP-Katamaran vom Typ Kennex 445, der die Crew autark mit Energie versorgen und ernähren soll. Der Salon gleicht einem Gewächshaus, am Heck ist ein Hühnerstall befestigt, und selbstgezüchtete Insekten ergänzen die Bordküche.
All das mag nach einem mehr als exotischen Abenteuer klingen – und genau darin ist der sympathische Franzose aus Vannes Experte. Es ist nicht seine erste Expedition auf der Suche nach mehr Nachhaltigkeit.
Im Jutefaserboot durchs Piratengebiet
Nach seinem Ingenieurstudium arbeitet Corentin de Chatelperron in einer Werft in Bangladesch und entwickelte ein Boot, das zu 40 Prozent aus Jute-Verbundmaterial besteht. Um die Leistungsfähigkeit als Bootsbauwerkstoff zu beweisen, segelt er die "Tara Tari" kurzerhand von Bangladesch nach Afrika und durch das Rote Meer zurück nach Frankreich; zu einer Zeit, als die Überfälle durch somalische Piraten in der Region einen Höhepunkt erreichen. Es ist sein erster großer Törn, der in Frankreich vielbeachtet und auf See mitunter lebensgefährlich ist.
Doch der junge Ingenieur fängt Feuer und baut seinen nächsten Prototypen, diesmal komplett aus Jutefasern. Sechs Monate lang segelt er damit anschließend durch den Golf von Bengalen und beginnt an Bord – auf der Suche zum Selbstversorger-Dasein – Low-Tech-Lösungen zu ersinnen.
Dokumentation fürs Fernsehen
Und nun die Weltumsegelung. Die "Nomades des Mers" hat seit dem Törnstart im Februar 2016 Afrika und das Kap der Guten Hoffnung gerundet, den Indischen und Pazifischen Ozean überquert, den Panama-Kanal passiert und mittlerweile die Atlantikküste Mexikos erreicht. Zahllose Zwischenstopps, Begegnungen, Abenteuer und Erfindungen liegen im Kielwasser der Crew.
Der Fernsehsender Arte begleitet die Reise, 15 Folgen wurden unter dem Titel "Mit Kompass und Köpfchen auf hoher See" bereits ausgestrahlt. Weitere Folgen sind für dieses Jahr geplant.
Trailer der ARTE-Dokumentation über die ungewöhnliche Weltumsegelung
240 Seiten tüfteln und segeln
Auch ein Buch über die faszinierende Weltumsegelung der französischen Crew ist jüngst auf Deutsch erschienen ("Sailing for future. Mit Low-Tech und Low-Budget um die Welt", Delius Klasing Verlag, 24,90 Euro). Darin berichtet der Skipper nicht nur von den seglerischen Herausforderungen einer Weltumsegelung gegen die vorherrschende Windrichtung; er stellt gemeinsam mit Co-Autorin Nina Fasciaux auch die Low-Tech-Projekte vor, welche die Crew auf der ersten Hälfte der Reise zusammengetragen hat – samt Anleitung zum Nachbauen.
YACHT-Leser finden die ganze, mitunter ebenso haarsträubende wie faszinierende Geschichte von Corentin de Chatelperron und dem Katamaran "Nomade des Mers" demnächst auch im Heft.
Webseite zum Projekt: https://lowtechlab.org