Sind Haarrisse im Gelcoat nur Schönheitsfehler, ein Zeichen für geringe Bauqualität oder gar ein ernsthafter Schaden? Nicht nur Gebrauchtbootkäufer stehen bei der Beurteilung von Haarrissen vor einer schwierigen Aufgabe. Auch für Eigner stellt sich angesichts von plötzlich auftretenden, schwarzen Äderchen die Frage: Habe ich ein Problem? Muss ich was tun oder gar einen Bootsbauer beauftragen?
Wie so oft gibt es auf eine solche Erwägung keine einfache und allgemeingültige Antwort. Grundsätzlich können Haarrisse auf unterschiedliche Art und Weise entstehen. Die einfachste Erklärung ist ein leichter Schlag, wie er beispielsweise von einer fallengelassenen Winschkurbel herrührt. Bilden sich an der Einschlagstelle spinnennetzförmige Risse im Gelcoat, handelt es sich in der Regel um ein optisches Problem, bei dem nur die Polyester-Feinschicht selbst beschädigt ist. Hierfür reicht eine kleinräumige Gelcoat-Reparatur aus.
Komplizierter wird es, wenn die Haarrisse an Kanten, Rundungen oder im Umfeld von Klampen, Relingsstützen oder Winschen auftreten. Dort sind sie zumeist ein Zeichen für Überlastung des Laminats – sprich, der Glasfaserverbund arbeitet so stark, dass die Feinschicht reißt. Sie besteht aus Polyesterharz und enthält keine Faserverstärkung. Daher ist das Gelcoat generell spröder und anfälliger als das darunter liegende Laminat. Mit der Zeit verstärkt sich das Problem: Zum einen härtet das Gelcoat nach und wird immer spröder, zum anderen kann das Laminat durch häufige Wechselbelastung mit den Jahren weich werden und noch stärker durchbiegen.
Dieser Prozess ist bei den Decks von älteren Jollen häufig zu beobachten: Die Boote sind in der Regel aus relativ dünnem Massivlaminat gebaut und entsprechend weich. Meist treten die Haarrisse dann an Kanten oder Übergängen zu Unterzügen auf. Dort sind die Materialspannungen am höchsten.
Bei derartigen Symptomen reicht die oberflächliche Reparatur mit Gelcoat nicht aus. Ohne die Ursachen, sprich die Bewegung des Laminats zu beseitigen, würden schon nach kurzer Zeit neue Haarrisse auftreten.
Die Sanierung beginnt mit dem Abschleifen des Gelcoats. Bei stark ausgeformten Bereichen, wie der Fußleiste in unserem Beispiel, ist es hilfreich, zuvor eine Spachtel-Schablone abzunehmen.
Nach dem Abtragen der Feinschicht lässt sich erkennen, wie aufwändig die Reparatur wird. Wenn das Laminat unbeschädigt ist, reicht es, eine Lage 85-Gramm-Glasseide mit Epoxidharz aufzubringen. Anschließend kann die Reparaturstelle wieder in Form gespachtelt, geschliffen und lackiert werden. Bei kleineren Bereichen ist alternativ ein Neuaufbau der Gelcoat-Schicht möglich.
Wenn beim Laminieren mit Abreißgewebe gearbeitet wurde und keine glänzenden Stellen zu sehen sind, sollten auch keine Aminrückstände auftreten, die das Polyester-Gelcoat am Aushärten hindern.
In diesem Fall waren die Schäden so großflächig, dass nur eine Komplettlackierung in Frage kam. Zudem setzten sich die Risse an einigen Stellen im Laminat fort. Ein Zeichen dafür, dass die Struktur deutlich unterdimensioniert ist und verstärkt werden muss.
Dazu wird so tief geschliffen, bis kein Weißbruch mehr zu sehen ist. Anschließend wird das Laminat mit neuen Glasgelegen wieder auf die ursprüngliche Dicke aufgebaut. Die Vorgehensweise entspricht der Lochreparatur.
Damit ist das Deck zwar schon etwas fester als zuvor, wirklich steif lässt sich die Fläche aber erst durch zusätzliche, von unten anlaminierte Verstärkungen bekommen. Eine der einfachsten und effizientesten Möglichkeiten dazu ist das Einbauen von Decksbalken oder Stringern in Form von vorgefertigten Schaumprofilen. Diese unter dem Namen Prisma-Beam angebotenen Verstärkungen sind bereits mit Glasfasergelege versehen und können sehr einfach zugeschnitten und anlaminiert werden. Diese sind so günstig zu haben, dass das Selberherstellen der Unterzüge, zum Beispiel per Papprohr und Glasfasergelege, kaum lohnt.
Ist die Struktur versteift, beginnt der langwierigste Reparaturabschnitt, das Schleifen und Spachteln. Vor allem an den Rundungen sind Geduld und im Wortsinne Fingerspitzengefühl gefragt. Die unterschiedlichen Farben von Gelcoat, Laminat und Spachtel irritieren das Auge. Beulen und Abplattungen lassen sich daher schlecht erkennen, sie können aber gut erfühlt werden, daher heißt die Devise: Eine Hand schleift, eine fühlt.
Durch Schablonen und angepasste Spachtelmasse lässt sich die mühsame Arbeit vereinfachen. Der von uns verwendete Microlight-Füllstoff von West-System ergibt eine sehr dünn ausziehbare Masse und lässt sich hervorragend schleifen.
Diese Verarbeitungseigenschaften erkauft man sich allerdings mit der geringen Härte des Produkts. Damit eine robuste Grundlage für den Lackaufbau entsteht, muss die Spachtelmasse zum Schluss mehrfach mit unangedicktem Epoxidharz eingestrichen werden. Dabei ist es sinnvoll, das Harz mit Pigmenten einzufärben. So entsteht eine hochglänzende Fläche, auf der sich eventuell noch vorhandene Unebenheiten deutlich abzeichnen.