Felix Keßler
· 29.06.2017
Rettungswesten sind die wichtigsten Lebensretter für Segler. Wir sorgen für Durchblick im riesigen Angebot aus Modellen, Normen und Typen
Ein Steuerfehler, ein Brecher aus dem Nichts oder ein falscher Tritt beim Anlegen: Wege, ins Wasser zu fallen, gibt es viele. Wer in solchen Situationen eine Rettungsweste trägt, kommt meist mit dem Schrecken davon. Doch in der enormen Auswahl an verschiedenen Modellen und Typen geht schnell der Überblick verloren. Damit Sie die eine finden, die zu Ihnen passt, haben wir etliche Westen getestet.
Vor dem Kauf steht zunächst die Frage nach den Anforderungen an die Weste. Wo wird gesegelt und bei welchen Bedingungen? Wird später nur eine Person die Rettungsweste benutzen? Wie groß und schwer ist der zukünftige Träger? Diese Kriterien entscheiden maßgeblich über den erforderlichen Auftrieb der Weste. Er wird in Newton (N) berechnet. Grundsätzlich lässt sich nach der zehnteiligen Norm DIN EN ISO 12402 zwischen Schwimmhilfen (ab 50 N) und Rettungswesten (ab 100 N) unterscheiden. Erstere eignen sich nur in unmittelbarer Ufernähe, beispielsweise im Hafenbecken oder als Regattawesten für Jollensegler, die schon vor dem Ablegen fest mit einer Dusche rechnen. Wichtig: Sie sind nicht ohnmachtssicher und bieten kaum Schutz.
Anders sieht das bei den Automatikwesten ab 150 Newton aus. Innerhalb weniger Sekunden nach dem Sturz ins Wasser löst sich in der Weste eine Tablette auf und gibt einen gespannten Dorn frei. Der sticht schließlich in die Gaspatrone und sorgt für das Aufblasen der Weste. Wurde der Mechanismus ausgelöst, müssen Tablette und Patrone neu gekauft werden. Das kann auch passieren, wenn die Weste ungewollt nass wird. Um das zu verhindern, kann es gerade für Kinder sinnvoll sein, im Hafen eine simple Schwimmhilfe zu tragen. Die Automatikweste kann dann auf See angelegt werden.
Hier kommen die Rettungswesten ins Spiel, die erst ab 100 Newton Auftrieb auch als solche bezeichnet werden dürfen. 100-N-Westen bieten zumindest Auftriebskörper im Nacken, die den Kopf des Trägers über Wasser halten sollen. Auslösende Gaspatronen haben sie deshalb aber noch nicht zwingend. Zu wenig, um den Kopf eines Bewusstlosen sicher über Wasser zu halten.
Das können Westen mit 150 Newton für See- und Küstenreviere. Sie halten Überbordgegangene ohne deren Einwirken stabil über Wasser.
Auffällig: Die Normen beziehen sich stets auf das Verhalten der Weste beim Tragen von Badekleidung – mit der Realität hat das nur wenig zu tun. Denn nasse, schwere Segelkleidung und Lufteinschlüsse können merklich gegen den Auftrieb der Weste wirken. Wir haben deshalb in voller Montur getestet. Nur drei Westen schnitten "Gut" oder "Sehr gut" ab, Totalausfälle gab es glücklicherweise nicht. Dennoch: Gerade die hochpreisigen Modelle konnten nicht immer überzeugen.
Der Testsieger: Kräftige, leicht verstellbare Gurte und breite Auftriebskörper: Das Modell "Arkona 220" von Secumar begeisterte unsere Tester. Keine andere Weste im Test konnte so viel Freibord und Sicherheit aufweisen. Das hat seinen Preis. Mit 142 Euro ist die "Arkona 220" fast dreimal so teuer wie vergleichbare Modelle anderer Hersteller.
Für das Überleben in schwerstem Wetter und auf Hochsee sind 275-N-Westen konzipiert. Das schlägt sich logischerweise in Gewicht, Größe und Preis nieder. Vor einigen Jahren noch eine Rarität, haben mittlerweile alle Hersteller ein solches Maximalmodell im Angebot. Wir haben zwölf Westen dieser Klasse getestet.
Viele der Auftriebsgiganten kommen mit Spraycaps, die den Träger vor Wasser und Wetter schützen sollen. Bloß sollten sie dem Verunglückten nicht im Gesicht kleben und die Luft zum Atmen nehmen. Explosiv sind in dem Segment übrigens nicht nur die Westen: Für viele Modelle werden stattliche Preise aufgerufen. Dabei gibt es befriedigende Ergebnisse schon für 100 Euro.
Der Testsieger: Die 275N-Weste "Scout 3D" von Secumar konnte sich gegen alle Konkurrenten behaupten. Als Extras fielen die Spraycap und der abnehmbare Fleecekragen positiv auf. Sogar für einen AIS-Sender (nicht enthalten) ist Platz. Die Scout 3D strahlt Wertigkeit aus und hält den Überbordgegangenen in stabiler und sicherer Lage. Das ist "sehr gut". Mit mehr als 400 Euro hat die Weste jedoch auch einen stolzen Preis.
Übersichtlicher wird das Angebot bei Kinderwesten. Die Modelle mit 275 Newton gibt es für sie nicht, sonst würden die Kleinen wie Korken auf dem Wasser schwimmen. Bleiben also die 100- und 150-Newton-Kandidaten zur Auswahl. Besonders wichtig: genaue Passform und Komfort. Denn nur eine Weste, die getragen wird, kann im Ernstfall Leben retten. Daher sind möglichst geringes Gewicht und ein gut funktionierender Sicherungsmechanismus wichtig.
Wir haben acht Rettungswesten für Kinder getestet – und erhebliche Qualitätsunterschiede festgestellt.
Der Testsieger: Wieder kommt das Beste Modell von Secumar: Der Testsieger heißt Secu Kids Survival Mini, kostet jedoch 200 Euro. Die Schwimmkörper bieten sehr viel Freibord, und mit einem Piratensticker sieht die Weste auch noch cool aus. Das etwas größere Modell "Secu Kids Survivaljunior" schnitt ebenfalls ordentlich ab.
Viel einfacher gestrickt als die auslösenden Rettungswesten sind Feststoffwesten mit Auftriebskörpern an Vorder- und Rückseite. Sie müssen anderen Ansprüchen genügen, dafür aber auch keine vollständige Sicherheit bieten. Eher liegt der Fokus auf robustem Stoff und haltbaren Schwimmkörpern, damit die Weste auch nach Dutzenden Kenterungen und Klimmzügen an der Bordwand gut funktioniert.
Ebenfalls entscheidend: Bewegungsfreiheit. Keinesfalls darf die Weste bei Manövern im ohnehin engen Cockpit stören oder gar den darunter getragenen Neoprenanzug durchscheuern. Für die richtige Passform bieten die Hersteller verschiedene Größen an. Wir haben insgesamt 21 solcher Regattawesten getestet.
Der Testsieger heißt "Jump" und kommt erneut aus dem Hause Secumar. Die Feststoffweste ist leicht und liegt gut an. Auch wenn die Klettgurte zum Einstellen keine optimale Lösung sind: Der Gesamteindruck ist stimmig. Zudem ist das Preis-Leistungs-Verhältnis der "Jump" unschlagbar. Während andere Anbieter z.T. dreistellige Beträge für die Schwimmhilfen aufrufen, kostet die Regattaweste "Jump" kaum 40 Euro.
Auch wenn bei der Einweisung einer neuen Crew häufig andere Themen im Vordergrund stehen: Das falsche Anlegen einer Rettungsweste kann Leben kosten, etwa, wenn ein Überbordgegangener beim Bergeversuch aus den zu lockeren Gurten rutscht. Für diese gilt: so eng wie möglich einstellen und unbedingt darauf achten, dass sie nicht verdreht sind. Besonderes Augenmerk sollten Skipper auch auf die regelmäßige Wartung legen. Auskunft darüber gibt eine Plakette an der Weste, ähnlich dem TÜV-Siegel beim Auto. Alle zwei Jahre müssen die Westen zur Inspektion. Daran ändert auch grünes Licht im Kontrollfenster moderner Westen nichts.
Die Gesamtlebensdauer wird durch die wiederholte Wartung nicht verlängert. Die meisten Hersteller empfehlen den Tausch nach zehn Jahren. Für den Fall eines versehentlichen Auslösens der Weste empfiehlt es sich, ein passendes Austauschset mit Patrone und Tablette an Bord zu haben.