PraxisMit dieser Ausrüstung gelingt das Anbordkommen

Fridtjof Gunkel

 · 16.06.2023

Am flachen Steg ist die Bugleiter hilfreich, in den Schären wird sie geradezu notwendig
Foto: L. Schulz
Mit etwas Ausrüstung lässt sich der hohe Freibord am Bug einfach überwinden. Der Eigner kann improvisieren oder modifizieren

In diesem Artikel:

Die Boote wachsen, Stege und Segler nicht. Was tun? Die gute Nachricht: Es gibt diverse Möglichkeiten, dem Thema zu begegnen. Die vermeintlich einfachste, Mittelmeersegler und an der Ostseeküste die Charterfirmen machen es vor, ist: rückwärts anlegen. Das ist eine ideale Lösung am Schwimmsteg und gar perfekt, wenn dieser ungefähr auf Höhe der ausgeklappten Badeplattform liegt. Für Boote ohne diese schönste Errungenschaft moderner Konstruktionen ist dagegen ebenfalls kraxeln angesagt. Und: Passanten gucken direkt in Cockpit und Schiff.

Möglichkeiten zum Anbordkommen

Also doch mit Bug an den Steg. Um eine übergroße Höhe zu überwinden, kann schon eine Bierkiste an Land genügen oder ein simpler Klapptritt, womöglich faltbar, um Platz beim Verstauen an Bord zu sparen. Beide lassen sich einfach mitführen und helfen auch beim Längsseitsliegen.

Ungemach droht schiffsseitig: Der klapprige Anker, ein überlanger Bugspriet oder fehlender Platz für die Füße verleiden den Gang an und von Bord.

Also eine kleine Leiter. Die kann am eigenen Liegeplatz fest installiert werden, die Genehmigung des Hafenbetreibers vorausgesetzt, fehlt dann aber in fremden Häfen. Ergo wird zusätzlich eine am Schiff benötigt. Es gibt diverse Möglichkeiten für selbst gebaute individuelle Lösungen. Die reichen von Strickleitern über angeschraubte Bleche bis zum absenkbaren Bugspriet und klappbaren Edelstahllösungen. Letztere lassen sich von Fachbetrieben wie Niro Petersen in Flensburg, Prasolux in Solingen oder Edelstahl Haese bei Berlin individuell anpassen und fertigen, ein ästhetischer wie teurer Weg, der aber angesichts des Komfortgewinns sinnvoll ist.

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Die Edelstahl-Verarbeiter können zudem existente Bugkörbe modifizieren, beispielsweise vorn geschlossene für den einfacheren Durchgang teilen oder auch zu kurze nach vorn verlängern, um von Land aus greifbar zu sein und so besser als Aufstiegshilfe zu dienen.

Ausrüstung zum Nachrüsten

Bugleiter und ein nach vorn ragender Bugkorb, wie er auf älteren Booten üblich war, heute aber zusehends verschwindet: gut und zielführend. Das Optimum aber, besonders für Boote mit steilem Steven, sieht aufwändiger aus, denn auf denen schafft der lange Ankergalgen Probleme. Hier bietet sich eine Bugplattform an, die den Ankergalgen umschließt oder gar abdeckt, eine Teleskopleiter in Länge der Freibordhöhe aufnimmt und dann noch als willkommener Anschlagpunkt für Code Zero und Gennaker dient. Diese Plattformen gibt es werftseitig beispielsweise von Nordship, Nordborg, Saare und Schöchl.

Und sie lassen sich auch nachrüsten. Båtsystem vertreibt über die Hamburger Firma Gotthardt diverse Modelle, auch modern aussehende aus GFK. Die nachgerüstete Bugplattform erfordert jedoch gute Planung und eventuell Anpassungen am Boot. Immerhin trägt sie höhere Lasten, muss auf Zug und Druck ausgelegt sein, benötigt daher ein festes Wasserstag. Der Ankergalgen will integriert werden, ist eventuell anzupassen. Außerdem dürfen sich Anker und Teleskopleiter nicht behindern. Willkommen an Bord!


Interview mit Konstrukteur Torsten Conradi, Geschäftsführer bei Judel/Vrolijk und Präsident des deutschen Boots- und Schiffbauerverbandes

Torsten Conradi, Geschäftsführer bei Judel/Vrolijk und Präsident des deutschen Boots- und SchiffbauerverbandesFoto: Messe FriedrichshafenTorsten Conradi, Geschäftsführer bei Judel/Vrolijk und Präsident des deutschen Boots- und Schiffbauerverbandes

Herr Conradi, warum wird es immer schwieriger, an Bord zu kommen?

Torsten Conradi: Weil die Boote immer größer werden. Dabei wachsen die Freiborde überproportional, nämlich ungefähr zwölf Prozent mehr als die durchschnittliche Länge. Und die Stege wachsen eben nicht mit. Viele moderne Yachten haben außerdem einen schmalen Bugspriet, der es auch schwieriger macht, an Bord zu kommen.

Warum hat der sich dann durchgesetzt?

Aus technischen Gründen: Unter den langen „Nasen“ kann man wunderbar Positionslichter und Anker unterbringen. Und am vorderen Ende Roll­segel wie Gennaker und Code Zero. Deshalb ist man da froh über jeden Meter. Für Einzelbauten bieten wir aber zum Beispiel einen nach unten abklappbaren Bugspriet an. Der ist so konstruiert, dass man von Bord runter Stufen hat. Aber das ist natürlich eine teure Lösung, die bei Serienbooten nicht machbar ist.

Was auch sehr unkomfortabel ist: Die Bugkörbe sind mittlerweile auf beinahe allen neueren Booten so zurückgesetzt, dass man sich beim Rauf- und Runtergehen nicht mehr daran festhalten kann. Warum?

Ganz einfach: Die vielen rollbaren Vorsegel brauchen Platz und sollen deshalb gern auf den Bugspriet mit draufgelegt werden können; deswegen wandern die Körbe nach hinten. Nicht ideal, aber eigentlich auch praktisch, eben wenn man diesen Platz braucht.

Gab es bei Judel/Vrolijk schon mal Beschwerden über den Komfort beim Rauf- und Runterkommen?

Es wird mal was angemerkt, ja, aber dass ein Boot deswegen nicht gekauft würde, das ist noch nicht passiert. Die Leute basteln sich dann eben die unterschiedlichsten Dinge, um besser an und von Bord zu kommen. Viele Festlieger haben interessante Konstruktionen, weil es einfach sonst nicht geht. Bierkästen oder Holztritte.

Eine Alternative wäre ja, den Anker fest zu verschrauben ...

... das kommt auf die Beschläge an. Klar wäre das machbar, aber dann muss man vor jedem Ankern alles komplett lösen, ideal ist das auch nicht.

Viele Boote haben eben auch diese unglaublich langen Nasen. Wenn man davorsteht, fragt man sich, wie man da allein draufkommen soll, wenn man Taschen dabei hat.

Ja, das stimmt. Da muss man sich Lösungen basteln. Es gibt ja Klappleitern, oder man bindet ein Fall dran. Oder Nachbarn helfen. Beim Anlegen ist es noch schwieriger, da gebe ich Ihnen recht. Wer ein Bugstrahlruder hat, hat es gut.

Aber ein guter Gleichgewichtssinn und der Sprung auf den Steg sind hier ein Muss, anders geht es nicht.

Solange die Marina-Bauer und Steghersteller sich noch nicht auf die immer größer werdenden Boote eingestellt haben, wird es beim Anlegen leider beim Sprung bleiben müssen. Eine Kröte muss immer geschluckt werden.


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