YACHT-Redaktion
· 21.03.2023
Was haben die sich bloß dabei gedacht? Diese Frage geht einem ja häufiger mal durch den Kopf, wenn beim Gang über die Stege der Blick auf die Hecks der festgemachten Yachten fällt. Manch Bootsname ist einfach zu kurios. Oder ungewollt komisch. Oder schlicht ein schlechter Scherz. Das Problem: Was macht einen guten Bootsnamen aus, und wie findet man den?
Auslöser, das Thema jetzt und hier aufzugreifen, war eine Mail von YACHT-Leser Peter B.. Der wunderte sich beim Lesen der aktuellen Ausgabe, weshalb im Artikel “Stürmisches Vergnügen” (YACHT 7/2023) stets von “dem” und nicht von “der” Peter von Seestermühe die Rede ist. Boote seien doch weiblich und müssten von daher auch in der weiblichen Form angeredet werden, selbst wenn ihr Name männlich ist.
Um es kurz zu machen: In dieser Frage gibt es kein richtig oder falsch. In der Tat ist es heute weit verbreitet, von Booten stets in der weiblichen Form zu sprechen. Es gibt aber Ausnahmen. Wie eben bei “dem” Peter von Seestermühe.
Es existieren auch keine althergebrachten Yachtgebräuche, auf die man sich berufen könnte. Im Gegenteil, früher wurde viel häufiger und selbstverständlicher von Booten in der männlichen Form geredet und geschrieben, wenn sie männlich benannt waren. Dass es sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte eingebürgert hat, die weibliche Anrede zu wählen, hängt wohl damit zusammen, dass Boote mehrheitlich Frauennamen erhielten.
Erlaubt ist also beides, die weibliche Anrede für Schiffe mit weiblichen (oder geschlechtsneutralen) Namen. Und wahlweise die weibliche oder männliche Anrede für Schiffe mit männlichen Namen. In letzterem Fall darf man die Entscheidung gern dem Eigner überlassen, wie er es gehandhabt wissen möchte. Bei alten Schiffen sollte man die Form wählen, die sich eingebürgert hat. Also etwa “die” Alexander von Humboldt, aber “der” Peter von Seestermühe.
Viel gewichtiger als die Form der Anrede ist sowieso der Name selbst. Warum heißen Boote so, wie sie heißen? Das war vor rund zehn Jahren schon einmal Thema einer wissenschaftlich angelegten Studie. YACHT-Autor Holger Petersen hatte seinerzeit darüber berichtet:
„Unsere Untersuchung zeigt sehr deutlich, dass sich die Vergabe eines Bootsnamens von der Vergabe anderer Namen dadurch unterscheidet, dass sich dahinter fast immer eine Geschichte verbirgt, nicht selten auf verschlüsselte Weise.“ So formulierte es Dr. Jan-Claas Freienstein, 43, vom Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Augsburg. 463 Bootseigner waren einem Aufruf in der YACHT gefolgt und hatten dem Sprachforscher Auskunft gegeben.
In aller Offenheit erklärten sie, wie sie auf den jeweiligen Namen für Jolle oder Yacht gekommen waren: „Meine Freundin nennt mich ,Bär‘“, „Ich habe eine Wette verloren“, „Ich hörte gerade auf, im Drogenbereich zu arbeiten“, „Ich wurde ein Dickerle“.
Bootsnamen: mal mehr, mal weniger kurios:
Bevor er sich solchen Feinheiten widmet, geht Freienstein bei seiner Analyse aber erst einmal ins Grundsätzliche: „Aus namenkundlicher Sicht ist es zunächst bemerkenswert, dass Fahrzeuge überhaupt mit einem Namen benannt werden.“ Der „Zweck der eindeutigen Identifikation“ eines Boots, so der Forscher, ließe sich „ja auch durch ein Ziffern- oder Buchstabensystem herstellen, wie das aus der Binnenschifffahrt oder von Pkws bekannt ist. Das reicht Schiffs- und Bootsbesitzern aber offensichtlich nicht, denn auch Binnenschiffe tragen ja neben ihrer Ziffernkennung einen ,richtigen‘ Namen.“
Ein Bootsname hat eine besondere Funktion: Er macht aus dem Serienprodukt Yacht ein Unikat – ganz getreu dem sprachwissenschaftlichen Unterschied zwischen Gattungsbezeichnungen und Namenwörtern. „Gattungsbezeichnungen dienen dazu, eine ganze Klasse von gleichartigen Gegenständen zu bezeichnen. So lässt sich das Wort Bavaria auf alle Bavarias beziehen“, erklärt Freienstein. „Anders verhält es sich bei den Namen: Sie dienen dazu, einen bestimmten Gegenstand, eine bestimmte Person, einen bestimmten Ort individualisierend zu benennen.”
Ein Bootsname hat also den Zweck, ein Exemplar unverkennbar aus der Masse zu heben.
Seit Menschengedenken bekommen schwimmende Vehikel Namen, obwohl die ihn streng genommen nicht benötigen. Das hat neben der Individualisierung viel mit überliefertem Aberglauben zu tun. Und so gilt nach wie vor: „Die Namengebung soll offensichtlich etwas leisten, was über die exakte Wiedererkennung eines Fahrzeugs hinausgeht: Ein Bootsname ist mehr als ein Kennzeichen.“
Und daraus folgt laut Freienstein vor allem: „Zufällig gewählt wird er nicht.“ Nur erschließen sich die Hintergründe und Motive solcher Wahl meist nicht auf Anhieb. „Manchmal muss man um viele Ecken denken, bis man darauf kommt“, sagt Freienstein. „Grautvornix“ oder „Verleihnix“ können auf einen Asterix-Fan hindeuten, müssen es aber keineswegs. „Der Name ,Verleihnix‘ könnte auch auf einen sparsamen Handwerker schließen lassen, ,Grautvornix‘ auf ein besonders sturmtaugliches Boot oder eine unerschrockene Crew“, sagt Freienstein. „Letztlich weiß man das aber erst, wenn man die Namengeber befragt. Und genau das sollte unsere Studie leisten.“
Freiensteins eigenes Boot heißt „Linje“, was ebenfalls einer Erklärung bedarf: „Als Ostholsteiner im küstenfernen Augsburg tätig, verbinde ich damit die Assoziation an mein Heimatrevier mit der Vogelfluglinie Puttgarden–Rødby. Andere denken wahrscheinlich zuerst an Aquavit.“
Nein, es ist kein einfaches Thema. Manches scheint offensichtlich, ist aber selbst für den Sprachwissenschaftler schwer zu durchblicken. „Shania“ zum Beispiel. „Ein melodischer Name“, sagt Freienstein, „mit dem ich zunächst gar nichts anfangen konnte.“ Er recherchierte anfangs in Richtung Shania Twain – eventuell verehrt der Eigner die kanadische Sängerin. Die Sache erwies sich aber als deutlich vertrackter, die Fährte führte Freienstein in die Kultur der nordamerikanischen Ojibwa-Indianer und nach Kurdistan.
„Indianer integrierten Wünsche in Namensilben“, sagt er. „Shania heißt übersetzt: ,Ich bin auf meinem Weg.‘ Zugleich ist Sha-nia kurdisch. Sha bedeutet König, nia bedeutet Wunsch. Dem ,Königswunsch‘ folgt die Abwandlung auf ,großer Wunsch‘. Das passt so oder so wunderbar zu Booten und ist zunehmend beliebt. Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie assoziativ Bootseigner in der Namenvergabe denken.“
Das trifft zweifelsfrei, wenn auch assoziativ ungleich schlichter abgeleitet, auf den absoluten Liebling unter den deutschen Bootsnamen zu, das yachtsportliche Pendant zu Müller und Meier: Mit weitem Abstand führt „Albatros“ die Liste der beim Deutschen Segler-Verband registrierten Yachten an. Und er ist auch die Nummer eins bei den Stand 2013 dort neu erfassten Booten.
Das lässt auf eine eher langweilige, nach wie vor konservative und wenig kreative Herangehensweise an dieses Thema schließen, was aus der Perspektive des Experten durchaus Vorteile hat. „Albatros“ sei ein „Bootsnamenklassiker“, und derartigen Klassikern wird eine „Entlastungsfunktion“ zugeschrieben: „Sie ersparen die Anstrengung einer individuellen Namenfindung.“
Mit „Schatz“ als Kosename des Partners oder der Partnerin verhält es sich aus Namenkundlers Sicht ebenso: „Für die Klassiker gilt, dass mit ihnen Assoziationen wachgerufen werden, die mit dem Benennungsgegenstand verbunden sind: So wie ,Schatz‘ prototypisch für das steht, was einem viel wert ist, steht ,Albatros‘ prototypisch für ein Lebewesen, das die See sucht und den Aufenthalt an Land nach Möglichkeit meidet.“ Die Kehrseite:
Ziel der Namengebung ist Unverwechselbarkeit. Namen, die weit verbreitet sind, stehen dazu im Gegensatz.
Dennoch liest sich die Liste der beliebtesten in Teilen wie eine Oldie-Hitparade: „Antares“, „Delphin“, „Calypso“, „Odin“, „Shanty“ und so fort. Experimente werden da offenbar nicht gern gemacht.
Die Mehrzahl der gängigsten Namen braucht denn auch keine tiefere Erklärung. Das gilt gleichermaßen für „gewünschte, ideelle, optische oder haptische“ Bootseigenschaften im Namen („Speedy“) wie für die verbreiteten Frauennamen.
Ganz anders verhält es sich mit einem Phänomen, das Freienstein bei seiner Studie festgestellt hat: Es gibt Menschen, die ihr Boot aus einem ihnen womöglich gar nicht offenbaren Grund ziemlich krude benennen – damit über sie und mit ihnen geredet wird. Ein kryptischer Bootsname sorgt flugs für Gesprächsstoff. Zum Beispiel „Puttfarken“.
Das kommt aus dem Friesischen: Putt heißt klein, niedlich, und Farken bedeutet Ferkel. Helga und Bodo Janßen aus Norddeich haben ihre Vilm so genannt und damit für Diskussionen gesorgt. Sie werden ständig auf den für viele unverständlichen Schriftzug am Bug angesprochen und noch nach Jahren wiedererkannt. „Unzählige Kontakte sind so entstanden“, sagen sie. „Auf Wangerooge kam eine Frau vom Boot gegenüber auf uns zu. Seit zwei Tagen hätte sie kaum geschlafen, sagte sie. Sie habe sich die ganze Zeit gefragt, was ,Puttfarken‘ bedeutet.“
Wenn es nach der Zahl der zu erwartenden neuen Bekanntschaften geht, dürfte sich der Eigner des Katamarans „Schmalblättriger Breitwegerich“ demnach vor Gesellschaft kaum retten können.
Vor andere Rätsel stellt den Betrachter der Name „Lanice“ – nur scheinbar einfach erklärt mit irgendetwas Richtung Frauenname. Der Eigner der Hanse 331 ist Apotheker. Er leitete die Schönheit seines Bootes aus dem Beobachten, wohlgemerkt, eines Wattwurms ab. Für die Augsburger Studie beschrieb er das Zustandekommen so: „Vor Jahren habe ich im Watt Lanice ausgegraben. Anders als in der Literatur, in der immer nur der sandige Röhrengang des Wurmes dargestellt wird, zeigte sich mir der geschmeidige weiße Körper, der mit seinen farbigen Tentakeln Sandkörner zum Bau seiner Röhre suchte. Wohl Stunden bewunderte ich diesen Anblick ... Als ich dann erstmals vor meinem Boot stand – der schlanke weiße Körper, die vielen farbigen Leinen –, da stand für mich fest: Das ist die ,Lanice‘.“
Absteigende Tendenz macht Freiensteins Studie für die Beliebtheit von Frauennamen aus. „Vielleicht wurde früher der Vorname der Ehefrau eher verwendet“, sagt der Wissenschaftler, „um Skippers Bindung an die Gattin zu dokumentieren – oder deren emotionale Bindung ans Schiff zu stärken. Unter den 463 untersuchten Namen lassen sich nur noch fünf auf diese Weise ableiten.“
Der Forscher führt den Rückgang darauf zurück, „dass sich das Segeln vom ,Herrensport‘ wegentwickelt“. Weil Frauen längst auch Regattasilber abräumen und im Fahrtensegeln überholte Rollenklischees ablegen, „ändert das natürlich auch etwas an den Bootsnamen“. Freilich nicht generell an der immer noch gern genommenen Darstellung familiärer Bande. „Lenchen“ – wie im Fall der LM 27 aus Bremerhaven – ist heutzutage aber seltener die Ehefrau, eher Kind oder Enkel.
Auch Akronyme aus den Namen der Liebsten sind immer noch en vogue, so bei der Jeanneau „Perola“, zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben von Peter, Rosemarie, Lars und Astrid.
Überhaupt: die Familie. Über die Grenzen hinaus liefert sie die Steilvorlagen für die Bootsnamengebung. „Das ist ein internationales Phänomen, das es schon zu Zeiten der Wikinger gab“, sagt Freienstein. Die britische „Fereale“ ist dafür ein aktuelles Beispiel. Die Skipperin hat friesische Vorfahren und wählte als Namen, was im Friesischen „Alte Liebe“ heißt. So gibt es kaum einen familiären Aspekt, aus dem sich nicht ein Bootsname konstruieren ließe, und sei es das beim Nachwuchs vermehrte Auftreten von „Sommersprossen“.
Derlei Ironie sorgt zumindest meist für eine Alleinstellung. In diese Kategorie fällt auch „Schweine im Weltall“. „Das ist ursprünglich der Titel einer Episode aus der ,Muppet Show’, in welcher eine extrem unfähige Besatzung Abenteuer im Weltraum besteht“, sagt Freienstein. Überhaupt sei „Popkultur ein Füllhorn humorvoller Elemente“ für die Bootsnamenfindung.
Aus der Augsburger Studie lassen sich weitere sehr interessante Trends ablesen. „Traudel IV“ zum Beispiel ist komplett von gestern, nur 7,5 Prozent der betrachteten Bootsnamen tragen noch numerische Anhänge. Wobei Freienstein einen klaren Bezug zur Schiffsgröße ermittelt hat: „Mir fällt auf, dass bei der Bootslänge bis zu zehn Metern im Verhältnis weniger Nummern verwendet werden, in der Bootslänge ab zehn Metern das Pendel stattdessen in die andere Richtung schlägt.“
Die Begründung leuchtet ein: Der großen Yacht sind in aller Regel mehrere kleine vorangegangen, und die Namenübernahme soll „positive Assoziationen der ersten Jahre auf die größere Nachfolgerin übertragen“.
Spannend in dem Zusammenhang, so Freienstein: „Ohne Zahlenanhänge steigt nach einem Eignerwechsel die Chance auf Namenübernahme! 25 Prozent der Neueigner respektieren den vorigen Namen.“ Wird allerdings eine „Traudel IV“ erworben, so werde sie bei nächster Gelegenheit „auf jeden Fall“ umgetauft: „Wer möchte als Neueigner schon unter einem solchen Namen segeln?“
Eines der erstaunlichsten Ergebnisse der Studie ist die Verbreitung von „qualitativ“ unterschiedlichen Bezeichnungen, also die Erteilung von Bootsnamen aus der locker-anrüchigen Ecke (der Forscher: „grenzwertige Namen“, beispielsweise „Bigami“ oder „Lauchcremesuppe“) und solchen mit seriösem Hintergrund. „Eindeutig“, sagt Freienstein, sei da ein Zusammenhang erkennbar. „Bei Booten bis zehn Meter sind nur 2,6 Prozent ‚lockerer Namen‘ zu finden. Die Quote steigert sich in der Klasse bis zwölf Meter auf 5,6 Prozent. Eigner von Oberklasseyachten von mehr als zwölf Meter Länge scheinen entgegen allen Erwartungen noch lockerer damit umzugehen. 7,8 Prozent beträgt dort die Quote diskussionswürdiger Namen.“
Daraus folgt, dass ganz entgegen landläufiger Meinung der Hang zu humorig-abwertenden bis schlüpfrigen Namen mit der Größe der Yacht korreliert, also im Allgemeinen auch mit der Größe des Investments.
Es bleibt alles Geschmacksache, ein Patentrezept für den individuell passenden Yachtnamen hat am Ende seiner Studie auch Forscher Freienstein nicht in petto. Aber einen Hinweis: Beim Wortjonglieren darf ein Kriterium tunlichst nicht außer Acht gelassen werden. Der Eigner einer „Weil ich will und aus“ oder einer „Simsalabimbambasaladusaladim“ wird sich in ausländischen Hafenbüros und im Notfall am Funkgerät die Krätze ärgern, dass er seine Yacht nicht doch ganz stumpf „Albatros“ getauft hat. Manchmal hat das Schlichte eindeutig Vorteile.
1. „Hoka hey“
Das rief einst Crazy Horse auf dem Weg in die Schlacht. Übersetzt: „Heute ist ein guter Tag zum Sterben.“ Wer will da schon mitsegeln?
2. „One Way Ticket“
Der Heimathafen scheint nicht mehr zu gefallen.
3. „Captain Morgan“
Ob auf dem Schiff vor seinem Untergang im Jahr 1984 wohl zu viel Alkohol konsumiert wurde?
4. „DeSa’Ilma“
Immer wieder gern werden die Anfangsbuchstaben aller Familienmitglieder zu einem Kunstwort zusammengewurschtelt. Außenstehende können da oft nur rätseln, was es soll.
5. „Kleiner schneller Leopard“
Gut, dass sich Opti-Kinder keine Gedanken machen müssen, wie gut und schnell sich der Bootsname im Funkverkehr buchstabieren lässt.
6. „Banana Wind“
Südfrüchte, die einem an Bord um die Ohren fliegen?
7. „Bachelors Delight“
Hier möchte offenbar ein Junggeselle heiratswillige Damen anlocken. Vorsicht, liebe Seglerinnen!
8. „Hafenratte“
Hm, wer möchte da noch gern längsseits gehen?
9. „Rhein Neckker“
Humor ist, wenn man trotzdem lacht!
10. „Valhalla“
Die Yacht als Hort in der Regattaschlacht gefallener Segelrecken?
Aufruf: Falls Ihnen denk- oder diskussionswürdige Bootsnamen unterkommen, schicken Sie uns gern ein Foto davon an mail@yacht.de