Tatjana Pokorny
· 15.05.2022
Tom Slingsby bleibt in Siegerlaune, Sir Ben Ainslie ist wieder in Form, und Matchrace-Virtuose Phil Robertson bringt das neue kanadische Team gekonnt ins Spiel
Das Auftakt-Wochenende der dritten SailGP-Saison hat spannenden Segelsport serviert und einige Erkenntnisse für den weiteren Verlauf gebracht. Erkenntnis Nummer eins: Der Sieg bei der mit einer Million US-Dollar höchstdotierten Profiserie wird auch im dritten Jahr nur über die zweimaligen Sieger aus Australien führen. Deren Steuermann Tom Slingsby, Flügeltrimmer Jason Waterhouse und ihre Crew präsentierten sich wieder souverän und selbstbewusst, marschierten unaufgeregt durch die Vorrunden und ließen ihren Gegnern im Finale nach perfektem Start keine Chance. "Ich werde oft nach unserem Erfolgsgeheimnis gefragt", erklärte Tom Slingsby nach den Rennen. Der Weltsegler des Jahres 2021 weiß darauf keine konkrete Antwort: "Alles, was ich sagen kann, ist, dass wir ein Team mit Selbstvertrauen sind. Es war so, dass wir das letzte Fleetrace vom Start ins Ziel gewonnen haben. Dann haben wir uns angesehen und gesagt: 'Wir werden das Finale stürmen.' Und genau das ist passiert." Dafür gab es zu Saisonbeginn die maximale Zehn-Punkte-Überweisung auf das australische SailGP-Saisonkonto.
Erkenntnis Nummer zwei: Sir Ainslie und sein britisches Team haben sich nach ihrer Achterbahnfahrt im vergangenen Jahr im Kampf um die Spitzenplätze zurückgemeldet. Mit zwei Rennsiegen am ersten Tag konnten die Engländer an alte Glanzzeiten anknüpfen. Zur ernsthaften Gefährdung der dominanten Australier reichte es im Finale der besten drei Teams an diesem Wochenende noch nicht ganz, doch mit Flügeltrimmer Iain Jensen ging es deutlich aufwärts. Für Platz zwei in Bermudas Great Sound kassierten Ainslies F50-Bändiger neun Punkte.
Der mit vier Goldmedaillen erfolgreichste Olympiasegler der Sportgeschichte wusste genau, was seinem Team zur erhofften Titelverteidigung vor Bermuda gefehlt hat: "Wir haben den Start im Finale total verpatzt. Das ist so frustrierend, wenn du vorher so viel harte Arbeit investiert hast, um das Finale zu erreichen. Wir hatten einen guten Plan, haben den aber versaut. Danach haben wir uns großartig zurückgekämpft und Kanada noch überholt. Aber wenn du einen Fehler wie diesen machst, machst du es dir selbst sehr schwer zu gewinnen." Den Fehler erklärte er auch: "Wir haben eine Halse verrissen und sind nicht mehr rechtzeitig zur Startlinie gekommen." Den späteren australischen Siegern attestierte Ainslie ein "fantastisches Rennen" und räumte noch ein: "Ich mag nicht gern verlieren. Aber bei elf Events in dieser Saison geht es vor allem um Konstanz. Es war also wichtig, diesen zweiten Platz nach Hause zu bringen. Wir werden das hier als Motivation mitnehmen und daraus lernen."
Erkenntnis Nummer drei: Das neue kanadische Team mit dem neuseeländischen Steuermann Phil Robertson zeigte sich beim ersten Auftritt in großartiger Spiellaune, lag nach dem ersten der beiden Segeltage im Traumrevier vor Bermuda sogar in Führung. Für den von seinem vorherigen Team Spanien so unangenehm vom Hof gejagten Matchrace-Großmeister muss die Genugtuung riesig gewesen sein. Der Kiwi fühlt sich sichtlich wohl in seiner neuen Rolle und fällt wieder auf mit dem, was er so gut kann: angriffslustigem und schön anzusehendem Segelstil, der die Zuschauer begeistert. Unterstützt wurde er dabei von einer weit weniger prominent besetzten Crew als sie manchen Rivalen zur Seite steht. Hier das kanadische Team in der Einzelvorstellung (bitte anklicken!). In der Endabrechnung katapultierten sich diese aufstrebenden Kanadier dennoch auf den dritten Podiumsplatz und kassierten dafür acht wertvolle Punkte fürs SailGP-Saisonkonto.
Phil Robertson kommentierte den Traumstart seiner neu formierten Mannschaft entsprechend begeistert: "Ich bin wirklich stolz auf mein Team. Es ist ganz offensichtlich eine coole Leistung, bei der ersten Regatta einen Podiumsplatz zu erreichen. Wir haben davon geträumt, dass so etwas passiert. Jetzt sind wir für den Rest der Saison hoch motiviert. Das wird ein cooles Jahr werden. Aber es ist auch noch ein langer Weg."
Für Frankreich dagegen war der Finaltag einer zum Vergessen. Nach gutem Auftakt und Chancen, das Finale zu erreichen, ließ ein zu aggressiver Start im ersten Rennen des zweiten Tages alle blau-weiß-roten Hoffnungen platzen. Das gefährliche Manöver brachte Ainslies Briten derart in Bedrängnis, dass die radikal ausweichen mussten. Die Schiedsrichter bestraften die Franzosen mit der erst zweiten schwarzen Flagge in der SailGP-Geschichte – das Aus. Steuermann Quentin Delapierre sagte reumütig: "Ich habe volles Verständnis für die schwarze Flagge. Ich habe einige Risiken in Kauf genommen, und das waren zu viele für mich. Ich muss einfach aus diesen Erfahrungen lernen, glaube aber, dass wir als Gruppe immer noch eine gute Lernkurve absolvieren." Während die Dänen mit Platz vier gute Leistungen zeigten, wollten die Amerikaner mit Jimmy Spithill am Steuer und die Neuseeländer mit den America's-Cup-Verteidigern und 49er-Olympiasiegern Peter Burling und Blair Tuke mehr als die Plätze fünf und sechs, die sie beim Saisonstart erreichten. Die Spanier segelten auf Platz sieben, den Franzosen blieb nur Platz acht. Letzte wurden die Schweizer mit Steuermann Sébastien Schneiter.
Die zweite Regatta der dritten SailGP-Saison findet am 18. und 19. Juni in Chicago statt und wird wie gewohnt live übertragen. Danach geht es nacheinander in vier europäischen Revieren zur SailGP-Sache. Und hier geht es zum Saison-Zwischenstand nach dem Auftakt vor Bermuda (bitte anklicken!).