100 Jahre Nordseewoche"L4/Trifork" mit Dolmer statt Bekking: Jubiläums-Comeback für "Struntje V"

Tatjana Pokorny

 · 27.05.2022

100 Jahre Nordseewoche: "L4/Trifork" mit Dolmer statt Bekking: Jubiläums-Comeback für "Struntje V"Foto: Sven Wiegand/Aksel Magdahl/L4 Trifork
Die Crew der VO70-Yacht "L4/Trifork" im Einsatz. Die Favoritin für den Langstrecken-Klassiker Pantaenius Rund Skagen wird zur Nordseewoche ohne The-Ocean-Race-Rekordteilnehmer Bouwe Bekking, aber mit Weltumsegler und Skipper Jens Dolmer ins Rennen geführt

Heiße Kisten, neue Namen und alte Freunde: Die Jubiläums-Edition lässt Erinnerungen wach werden, wie der heitere Rückblick von Wolfgang Schäfer verrät

Es ist alles angerichtet für das Pfingstfest unter Segeln: Die Nordseewoche nimmt Kurs auf ihre Jubiläumsauflage, feiert am ersten Juni-Wochenende ihr 100. Geburtsjahr. Da steuert so manch eine Crew den roten Felsen an, die zuvor noch nie da war. Oder sehr lange nicht mehr. Ersteres haben die internationalen Rekordjäger auf der VO70-Yacht "L4/Trifork" (2008 als "Ericson 4" für das Volvo Ocean Race gebaut) im Visier. Skipper Jens Dolmer und seine zehnköpfige Crew treten an, um den 22 Jahre alten Rekord für den Langstrecken-Klassiker Pantaenius Rund Skagen zu unterbieten. Den hatte zur Jahrtausendwende die "Uca" von Dr. Klaus Murmann mit Steuermann Walter Meier-Kothe aufgestellt. Die gesegelte Zeit damals: 43 Stunden und 46 Minuten.

  Beim RORC Transatlantic Race musste sich die "L4/Trifork"-Crew mit Taktiker Bouwe Bekking auf ihrer VO70-Yacht nur dem 100-Fuß-Racer "Comanche" geschlagen geben. Im Pantaenius Rund Skagen will das Team unter dem Kommando von Jens Dolmer Anfang Juni siegen und eine neue Bestmarke aufstellen, wenn der Wind mitspieltFoto: Arthur Daniel/RORC
Beim RORC Transatlantic Race musste sich die "L4/Trifork"-Crew mit Taktiker Bouwe Bekking auf ihrer VO70-Yacht nur dem 100-Fuß-Racer "Comanche" geschlagen geben. Im Pantaenius Rund Skagen will das Team unter dem Kommando von Jens Dolmer Anfang Juni siegen und eine neue Bestmarke aufstellen, wenn der Wind mitspielt

"Wir sind Rekordjäger, und deswegen ist auch dieser Rekord unser erklärtes Ziel", sagt Skipper Jens Dolmer, "wir waren alle noch nie auf Helgoland und haben noch nie am Pantaenius Rund Skagen teilgenommen, freuen uns aber sehr darauf. Viele von uns sind in Skandinavien zu Hause und es ist ja selten, dass man so eine Herausforderung in heimischen Gefilden annehmen kann." Jens Dolmer, der selbst in der Nähe von Kopenhagen lebt, hat im Rennen das Kommando. Der ursprünglich angekündigte achtmalige Ocean-Race-Rekordsieger Bouwe Bekking kann aufgrund seines Einsatzes auf der ClubSwan 50 "Olymp" von Mark Bezner bei der Swan Sardinia Challenge nicht vor Helgoland aufkreuzen und auf Rekordjagd gehen. Jens Dolmer hat bereits zwei Weltumsegelungen mit dem Ocean Race sowie einige Etappen bei der vergangenen Auflage absolviert. Die VO70-Yacht "L4/Trifork" startet als Top-Favoritin in das gut 500 Seemeilen lange Rennen Pantaenius rund Skagen, das erstmals 1932 ausgetragen wurde.

Was "Doc Schäfer", Howard Carpendale, eine Schere und Eier von der "SeaCloud" mit der Nordseewoche zu tun haben …

Aus nostalgischen Gründen und um der Nordseewoche und ihrem großen Jubiläum Ehre zu erweisen, haben Wolfgang Schäfer und seine Frau Angela Schäfer ihre treue alte Familien-Regattayacht "Struntje V" für die Rennen rund um den roten Felsen reaktiviert. Mit diesem Schwesterschiff der Admiral's-Cup-Yacht "Saudade" hatte ihr erster Eigner Dr. Günter Havemann 1974 erstmals an der Nordseewoche und in der Folge an international renommierten Regatten rund um den Globus teilgenommen. Das Premierenjahr der "Struntje V" ist nun bald ein halbes Jahrhundert her. Mit der Startabsicht übermittelte der Farr-40-Weltmeister von 2018, Wolfgang Schäfer, die folgende persönliche und mit vielen Erinnerungen verknüpfte Botschaft an die Nordseewoche:

  Vor gut einem Jahrzehnt als Powerplayer im Farr-40-Circuit im Einsatz: Wolfgang und Angela SchäferFoto: Kurt Arrigo für Rolex
Vor gut einem Jahrzehnt als Powerplayer im Farr-40-Circuit im Einsatz: Wolfgang und Angela Schäfer

"Nach 25 Jahren nimmt in diesem Jahr die 'Struntje V' wieder an der Nordseewoche teil. Mit dieser Teilnahme sollen Respekt und Anerkennung für die Nordseewoche mit ihrer langen und unverwechselbaren Tradition zum Ausdruck gebracht werden. Das Schiff ist mit seinen 25 Jahre alten Segeln zwar ziemlich weit entfernt von einem regattafähigen Zustand, es zählt jedoch die Teilnahme. Der erste Start einer 'Struntje IV' vor Helgoland fand 1968 statt. Anschließend segelten meine Frau und ich über 30 Jahre lang ohne Unterbrechung mit einer 'Struntje' diese Regatta vor Helgoland. Danach wagten wir uns ins internationale Regattageschehen.

Bei Sturm im Skagen-Rennen in der Jammerbucht taktisch clever um die Hand der Tochter gebeten

Vor etwa 52 Jahren fand man die damalige 'Struntje IV' auf der Skagenregatta in der Jammerbucht bei ausgeprägt schneller Luft. Es ballerte aus allen Rohren, die Wegstrecke war außerordentlich holprig. Als Regattasegler erkannte ich schnell die taktischen Möglichkeiten dieser Grenzsituation und bat den gestressten Steuermann und Eigner um die Hand seiner Tochter Angela – natürlich ganz ohne Repression und in keiner Weise ultimativ. Regattataktisch erwies sich dieser Schritt als Erfolg. Klar, dass wir in diesem Jahr die goldene Hochzeit antraten und kurzfristig zur Nordseewoche meldeten.

Schon in damaliger Zeit fanden Preisverteilungen und Reden in Helgolands Nordseehalle statt. Bei einer dieser Gelegenheiten trat dann auch Howard Carpendale auf – natürlich seiner Zeit voraus mit viel zu langen Haaren. Der damalige Chef der Werft A&R Hermann Schaedla griff sich eine größere Schere und eilte unter stehenden Ovationen aller Segler für den notwendigen Haarschnitt auf die Bühne. Howard Carpendale flüchtete hinter die Bühne, und seine Show war damit vorbei. Das bekannte Nordseewochen-Feeling kam voll zur Geltung.

  Mit diesem Logo feiert die Nordseewoche rund um den roten Felsen ihr JubiläumFoto: Regattagemeinschaft Nordseewoche
Mit diesem Logo feiert die Nordseewoche rund um den roten Felsen ihr Jubiläum

1974 erschien die damals neue 'Struntje V', eine Schwester der 'Roten Sau', auf der Piste vor Helgoland. Schon bald erwarb sie sich den verdienstvollen Ruf als erfolgreicher Eiergrog-Dampfer unter Leitung des frischgebackenen Schwiegervaters Günter Havemann, allseits bekannt als Fruchtwasserkapitän. Irgendwann war dann auch mal ein neuer StarCut fällig. Der damalige Boss von North Sails Deutschland, Eckard Wagner, kam im Helgoländer Hafen standesgemäß mit seinen Jungs an Bord. Schnell war klar, dass es keine Prozente geben würde, wenn sie uns mit Eiergrog leertrinken könnten. Hierbei waren die Eier, nicht der Rum das kritische Problem. Als die voraussichtlich letzten beiden Eier in der Pantry bereitstanden, bekamen die North-Jungs Oberwasser. Ich entschwand ins Vorschiff, flüchtete durch das Vorluk und eilte zum Kapitän des vor uns liegenden Großseglers 'SeaCloud'. Segler aus Hamburg helfen sich gerne, ich eilte mit einer Palette Eier zurück ins Vorschiff und versteckte diese dort. Zurück im Salon erklärte ich Eckart Wagner und seinen Jungs, dass wir unsere Reserveeier immer im Vorschiff stauen würde. Wir gewannen die Wette – ein guter Rabatt für den StarCut war uns sicher. Natürlich wurden die Eier etwas verspätet 2019 auf der 'SeaCloud' ordnungsgemäß zurückgegeben. Die Nordseewoche kümmert sich halt um ihre Teilnehmer.

Die Nordseewoche ist auch in Down Under bekannt

Die Nordseewoche ist bekannt für anspruchsvolle Wind-, Tiden- und Seeverhältnisse. Während meines ziemlich langen Engagements für DSV, ORC und ISAF/WS für unsere Offshore- Flotte haben wir alle Admiral's-Cup-Ausscheidungen vor Helgoland gesegelt. Nach Einführung der Internationalen Deutschen Offshore-Meisterschaft wurde diese natürlich auch im Rahmen der Nordseewoche abgehalten.

Nachdem wir uns aus all diesen Gründen und aus gegebenem Anlass des 350-jährigen Jubiläums ( 2 x 75 = 150 Lebensjahre + 50 Jahre Goldene Hochzeit + fast 50 Jahre 'Struntje V' + 100 Jahre Nordseewoche = 350 Jahre ) zu einer Meldung entschlossen hatten, gab es ein Telefonat aus Sydney, in dem ein guter Freund und hervorragender Segler mit der Erfahrung sehr vieler Sydney Hobart Races fragte, ob er mit uns an der diesjährigen Nordseewoche teilnehmen könne. Die Flüge sind gebucht. Mit Freude stellen wir fest, dass die Nordseewoche ganz offensichtlich auch in Down Under bekannt ist. Das alles passt dann ja auch gut zusammen."

  Roter Felsen mit seglerischer Anziehungskraft: das Titelbild der AusschreibungFoto: Regattagemeinschaft Nordseewoche
Roter Felsen mit seglerischer Anziehungskraft: das Titelbild der Ausschreibung