Die Kieler Woche zeigt den positiven Weg aus der Pandemie„Wiederauferstanden und als Vorreiterin auf Kurs“

Tatjana Pokorny

 · 07.09.2021

Die Kieler Woche zeigt den positiven Weg aus der Pandemie: „Wiederauferstanden und als Vorreiterin auf Kurs“Foto: ChristianBeeck.de
Sonnenaufgang über Strander Bucht und Kieler Förde: Bei der 127. Kieler Woche herrschte in der ersten Halbzeit trotz Flaute auf dem Wasser Aufbruchsstimmung

Ein ruhiger Auftakt, ein perfekter Segelsonntag bei Kaiserwetter und zwei Ausfalltage – die erste Halbzeit der 127. Kieler Woche war von Extremen geprägt

Zugegeben: Die erste Halbzeit der 127. Kieler Woche verlief sportlich krass, bot auch in den Worten von Organisationschef Dirk Ramhorst „die ganze Bandbreite an Bedingungen von nicht segelbar bis hin zum perfekten Segelsonntag“. Dem verhalten-ruhigen Auftakt auf dem Wasser folgte sonntägliche Segelwonne bei Kieler Kaiserwetter, bevor zwei Tage lang in der Flaute wenig bis nichts ging. „Es war“, so Ramhorst, „eine erste Halbzeit der Extreme. Klar wurde aber auch, dass die Kieler Woche aus der Pandemie auferstanden ist und als Vorreiterin wieder zeigt, was geht.“ Das Olympiazentrum Kiel-Schilksee war im spätsommerlichen Sonnenschein fast so gut besucht wie zuletzt 2019. Im gesamten Hafen herrschte eine höchst lebendige Aufbruchsstimmung. Am Dienstagnachmittag wurden die ersten Gewinner der internationalen Klassen im Olympiazentrum Kiel-Schilksee geehrt. Zwei von ursprünglich vier geplanten Regattatagen hatten zur Ermittlung der Besten genügen müssen. Zu ihnen zählten einmal mehr 505er-Steuermann Wolfgang Hunger aus Strande und sein Vorschoter Holger Jess aus Eckernförde. Hunger schraubte seinen Kieler-Woche-Rekord auf sagenhafte 24 Siege hoch. Wer soll die jemals einholen?

  Nicht Starten und Segeln, sondern Warten und Schleppen hießen die Disziplinen auch am vierten und letzten Tag der ersten Kieler-Woche-Halbzeit. Hier die 505er bei der GeduldsprobeFoto: ChristianBeeck.de
Nicht Starten und Segeln, sondern Warten und Schleppen hießen die Disziplinen auch am vierten und letzten Tag der ersten Kieler-Woche-Halbzeit. Hier die 505er bei der Geduldsprobe

„Es ist immer eine Herausforderung, eine Kieler Woche zu gewinnen“, erklärte Seriensieger Hunger, „unser Sieg ist natürlich schön, aber wichtiger ist der Spaß am Segeln, den wir immer noch sehr genießen. Die Schlüssel zum Sieg sind unser Know-how und ein sehr motivierter Vorschoter“, sagte der 61-jährige Orthopäde und siebenmalige Weltmeister im olympischen 470er und im 505er, der damit auch seinem an- und umtriebigen Vorschoter Holger Jess dankte. Seine Segelkunst hatte Ausnahmesegler Hunger als Junge auf dem Berliner Wannsee erlernt. Als Zwölfjähriger gewann er 1973 seine erste Deutsche Meisterschaft im Optimisten. Ein halbes Jahrhundert später zählt er zu den erfolgreichsten Akteuren der deutschen Segelsportgeschichte. Nur die ersehnte und verdiente Olympiamedaille war ihm bei drei Olympiastarts mit den Plätzen vier (1984), fünf (1988) und acht (1992) versagt geblieben. Hunger verknüpfte seine Freude über den erneuten Kieler-Woche-Triumph in Kiel mit einer Einladung und Herausforderung: „Wer sich mit uns messen will, ist zum Einstieg in die 505er-Klasse eingeladen. Sie bietet hochkarätiges sportliches Jollensegeln, das gleich hinter dem olympischen Segelsport einzuordnen ist.“ Hunger und Jess, die vor Kiel zum zehnten Mal gemeinsam siegten, wollen 2022 um Hungers 25. Jubiläumstitel kämpfen.

  Schnell, schneller, Hunger und Jess: Im 505er bleiben die Kieler-Woche-Sieger die DominatorenFoto: Julian Kleiner
Schnell, schneller, Hunger und Jess: Im 505er bleiben die Kieler-Woche-Sieger die Dominatoren
  Strahlende Sieger im 505er: Wolfgang Hunger (r.) und Holger Jess (Potsdamer Yacht Club/Wind und Welle e. V.) recken ihre Pokale in den blauen Himmel über Kiel. Für den Steuermann war es Titel Nummer 24! Auf Platz zwei segelten Jan-Philipp Hofmann und Felix Brockerhoff vom Düsseldorfer Yachtclub. Dritte wurden die Franzosen Philippe Boite und Marin CarnotFoto: ChristianBeeck.de
Strahlende Sieger im 505er: Wolfgang Hunger (r.) und Holger Jess (Potsdamer Yacht Club/Wind und Welle e. V.) recken ihre Pokale in den blauen Himmel über Kiel. Für den Steuermann war es Titel Nummer 24! Auf Platz zwei segelten Jan-Philipp Hofmann und Felix Brockerhoff vom Düsseldorfer Yachtclub. Dritte wurden die Franzosen Philippe Boite und Marin Carnot

Ihre Vorjahressiege wiederholten auch Paralympics-Sieger Heiko Kröger vom Norddeutschen Regatta Verein im 2.4mR mit seinem Kieler-Woche-Titel Nummer zwölf und Batbold Gruner aus Ganderkesee im ILCA 4. Für Heiko Kröger, der mit dem 2.4mR-Feld am Finaltag von Teil eins der Kieler Woche zu den „Early Birds“ gehörte, aber um halb zehn auch keinen Wind auf der Bahn India vorfand, war es immerhin ein Basteltag weniger. Der paralympische Segelbotschafter und Titelverteidiger hatte während der Regattatage intensiv an seinem geliehenen Boot gewerkelt, um den zwölften Gesamtsieg unter Dach und Fach zu bringen. „Das Treppchen in Kiel ist und bleibt schon etwas Besonderes, weil prestigeträchtig mit großer Strahlkraft. Ich bin stolz und zufrieden, wieder ganz oben zu stehen“, so der 55-Jährige.

  Mit zwölf Kieler-Woche-Siegen zählte auch 2.4mR-Ass Heiko Kröger zu den bekannten Galionsfiguren des Segelgipfels im NordenFoto: ChristianBeeck.de
Mit zwölf Kieler-Woche-Siegen zählte auch 2.4mR-Ass Heiko Kröger zu den bekannten Galionsfiguren des Segelgipfels im Norden

Der erst 17 Jahre alte Batbold Gruner feierte das Ende seiner Laserkarriere zünftig, hatte auch dieses Jahr bis auf eine Kenterung im letzten Rennen alles im Griff und verwies seinen Vereinskameraden Paul Ulrich vom Zwischenahner Segel-Klub mit sechs Punkten Vorsprung auf den Silberrang. Dem nur knapp 60 Kilogramm schweren Steuermann fehlen Gewicht und Länge für eine Anschlusskarriere im olympischen ILCA 7 (Ex-Laser-Standard). Deswegen wechselt Gruner die Klasse. „Ich gehe in die Waszp“, so das Talent vom Zwischenahner Meer, wo er bereits so einen Foiler liegen hat, „damit komme ich nächstes Jahr wieder nach Kiel.“ Grünes Licht dafür gab es bereits indirekt von Regattachef Dirk Ramhorst, der den attraktiven Auftritt der foilenden „Wespen“ mit „sicher keine Eintagsfliege“ kommentierte und zu den Höhepunkten der ersten Kieler-Woche-Halbzeit zählte. Mit Blick auf die ausgeschriebenen Segeldisziplinen zum Auftakt freute sich der Regattachef über den großen Zuspruch in den Nachwuchsklassen 420er, Europe und ILCA 4. Auch die OK Dinghis seien aufgrund ihres hohen Grads an Internationalität zu Recht ein fester Bestandteil. Unstrittig stehe die Kieler Woche auch künftig offen inklusiv ausgeschriebenen 2.4mR.

  Michael Berghorns „Halbtrocken 4.5“ im einzigen Leichtwind-Rennen des TagesFoto: @ ChristianBeeck.de
Michael Berghorns „Halbtrocken 4.5“ im einzigen Leichtwind-Rennen des Tages

Immerhin ein Rennen konnten die ORC-Yachten am flauen, aber sonnigen Dienstag auf der Seebahn durchbringen. In der großen Klasse ORC I gewann Michael Berghorns Mills 45 Custom „Halbtrocken 4.5“ (Kieler Yacht-Club) vor der Ker 46 „Van Uden“ mit der Crew um Gerd-Jan Poortmann und Ralf Lässigs XP-44 „Xenia“ (Wassersportverein Wulsdorf). Die elfköpfige Berghorn-Mannschaft gewann auch die kombinierte Wertung von ORC I + II. Mit nur zwei Yachten in der ORC-II-Wertung machten Torsten Bastiansens siegreiche „Sydbank“-Crew und die „Farr-Lässig“ mit dem Team um Michael Schulz die Wettfahrt zum Duell. In ORC III + IV hatte die „Nemo“-Crew um Uwe Kleinvogel die Bugspitze vor der zweitplatzierten „Immac Fram“ mit dem Team um Kai Mares im Ziel. Die Kieler Woche soll am Mittwoch mit der Seeregattaserie Kiel Cup und der Starboot-Weltmeisterschaft fortgesetzt werden, bei der die Aktiven weiter auf ihre erste Wettfahrt warten. Die Welttitelkämpfe in der ehemaligen olympischen Starboot-Klasse dauern noch bis zum Sonntag an. Ab Donnerstag steigen auch drei von zehn Olympia-Disziplinen in den Wettkampf ein, die für Kiel mobilisiert werden konnten. Darunter sind die iQFoil-Surfer und Surferinnen, die ab 2024 erstmals um olympisches Edelmetall kämpfen werden. Die Teilnahme weiterer olympischer Flotten war mit Blick auf das nacholympische Zeitfenster und nach der erneuten Verschiebung der Kieler Woche in den September für dieses Jahr erst gar nicht ausgeschrieben worden. „Im kommenden Jahr sind es dann schon wieder nur noch zwei Jahre bis zu den nächsten Olympischen Spielen“, sagte Dirk Ramhorst, „da wird es dann schon wieder heiß.“ Soll heißen: Die olympischen Felder werden ab 2022 wieder verstärkt vor Kiel aufkreuzen. „Das gilt für Quantität wie Qualität“, sagte Ramhorst.

  Kieler-Woche-Sportchef Dirk Ramhorst (3. v. r., stehend) und sein Managementteam grüßen aus dem Olympiazentrum Kiel-Schilksee. Ramhorst sagte bereits zur Halbzeit: „Vor der Kieler Woche ist nach der Kieler Woche. Am kommenden Montag geht die Arbeit los für die 128. Auflage. Die Vorbereitungszeit beträgt dann ja nur noch neun Monate.“ Das liegt daran, dass die nächste Edition wieder an ihrem Stammtermin im Juni stattfinden sollFoto: ChristianBeeck.de
Kieler-Woche-Sportchef Dirk Ramhorst (3. v. r., stehend) und sein Managementteam grüßen aus dem Olympiazentrum Kiel-Schilksee. Ramhorst sagte bereits zur Halbzeit: „Vor der Kieler Woche ist nach der Kieler Woche. Am kommenden Montag geht die Arbeit los für die 128. Auflage. Die Vorbereitungszeit beträgt dann ja nur noch neun Monate.“ Das liegt daran, dass die nächste Edition wieder an ihrem Stammtermin im Juni stattfinden soll