Tatjana Pokorny
· 09.09.2021
Eine ehemalige und zwei neue olympische Disziplinen ziehen in der zweiten Kieler-Woche-Halbzeit die Blicke auf sich
Größer könnten die Gegensätze bei der Begegnung zwischen Starboot-WM und dem ersten Auftritt der iQFoil-Surfer bei einer Kieler Woche kaum sein: Die 1910 entworfene Kielbootklasse mit schillernder Historie und Stars wie „Mister America’s Cup“ Dennis Conner, Paul Elvström, Willy Kuhweide oder Torben Grael und Iain Percy war bis 2012 olympisch und bietet in der Spitze weiter Weltklassesport mit Olympiasiegern und America’s-Cup-Größen. Die olympische Reise der iQFoils dagegen beginnt gerade erst. Die „fliegenden“ Surfer werden 2024 vor Marseille in einer Disziplin für Männer und einer für Frauen erstmals um olympische Medaillen kämpfen. Bei der Kieler Woche demonstrieren die Starboot-WM und das neue Surfspektakel die enorme Vielfalt des Segelsports, der beides braucht: seine Geschichte und eine moderne Zukunft.
Zum Auftakt der zweiten Hälfte der Kieler Woche haben am Donnerstag Diego Negri und sein Berliner Vorschoter Frithjof Kleen die Führung bei der Starboot-Weltmeisterschaft übernommen. Das italienisch-deutsche Duo ließ einem vierten Rang vom Vortag zwei souveräne Tagessiege folgen. Vorschoter Kleen, 2012 Olympia-Sechster im Starboot mit Steuermann Robert Stanjek und Sieger im Finale der Star Sailors League 2017 mit Laser-Olympiasieger Paul Goodison, sagte im Olympiazentrum Kiel-Schilksee nach dem Durchmarsch seines Teams: „Die Winde waren leicht, das Spiel aber nicht, weil bei der großen Flotte viel los ist am Start und man keine Disqualifizierung kassieren will. Wir haben mit wenig Risiko und hervorragendem Speed punkten können.“ Da ging nicht allen WM-Teams so: Mit den WM-Titelverteidigern Mateusz Kusznierewicz/Bruno Prada (Polen/Brasilien), den italienischen Starboot-Könnern Enrico Chieffi/Nando Colannino (Italien) und den österreichischen Auftaktsiegern Hansi Spitzauer/Christian Nehammer kassierten gleich drei Top-Teams schwarze Frühstart-Flaggen und haben damit nach zwei Ausfalltagen eine schwere Bürde zu tragen. Auf den Plätzen zwei und drei liegen im Feld der 82 Starboote nach drei Wettfahrten der kroatische Laser-Silbermedaillengewinner Tonči Stipanovič mit Tudor Bilić und der Franzose Xavier Rohart mit Ante Sicic. Hier geht es zu den Ergebnissen (bitte anklicken!). Die WM wird bis Samstag fortgesetzt.
Die iQFoiler nutzen ihre Chance vor Kiel – Deutschlands Beste und der Nachwuchs sind im Einsatz. Bei den Herren führt nach fünf Rennen der Top-Favorit Sebastian Kördel vom Norddeutschen Regatta Verein (NRV) vor seinem Vereinskameraden Nicolas Prien, der Kördel in seinem Heimatrevier immerhin einen Rennsieg abknöpfen konnte. Bei den iQFoil-Surferinnen lag Theresa Steinlein (NRV) nach vier Durchgängen an der Spitze vor Sophia Meyer vom Windsurfing Verein Berlin. Alle Surfer haben erheblich mit Seegras zu kämpfen, das im September ein stärkeres Problem darstellt als im Stammzeitfenster der Kieler Woche im Juni. „Das fühlt sich an, als würde ständig jemand bei deinem Board auf die Bremse treten“, sagte Kördel, der in Kiel gerade viele neue Mannschaftskameraden vom German Sailing Team kennenlernt und das Eintauchen in die olympische Segelwelt als „interessant“ empfindet. Der 1,91 Meter große olympische Hoffnungsträger zählt zu den Besten seines Metiers, verpasste bei der gerade zu Ende gegangenen iQFoil-Weltmeisterschaft im Engadiner Silvaplana eine Medaille als Vierter nur knapp. Bereits aufgenommen in den Perspektivkader des German Sailing Teams, macht der Surfprofi keinen Hehl daraus, dass er in drei Jahren um den Olympiasieg kämpfen will: „Wenn ich irgendwo hinfahre, dann will ich da auch gewinnen.“
Insgesamt bestreiten in diesem Jahr nur rund 550 Teilnehmende die Wettfahrten in den kleineren Bootsklassen in der olympischen Hälfte der Kieler Woche. Von den zehn Olympia-Disziplinen sind in diesem Ausnahmejahr nur drei auf der Förde dabei: die iQFoil-Surfer, die iQFoil-Surferinnen und die Ilca-6-Steuerfrauen (ehemals Laser Radial), deren Flotte nach drei Rennen von der Polin Agata Barwinska mit drei Tagessiegen angeführt wird. Beste deutsche Starterin ist Julia Büsselberg als Gesamt-Vierte nach dem ersten Renntag. Die anderen sieben olympischen Disziplinen wurden nach der Corona-bedingten Verschiebung der Kieler Woche in den September aufgrund der Nähe zu den gerade erst beendeten Olympischen Spielen von Japan und mit Blick auf Kollisionen mit Kontinental- oder Weltmeisterschaften gar nicht erst ausgeschrieben.